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Rassismus vor der eigenen Haustür bekämpfen

Engagiert gegen Rassismus und Rechtsextremismus: Steffi Bormann, die Leiterin des Jugend- und Kulturvereins im sächsischen Schwarzbach.

Die stern-Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“ fördert Projekte, die sich kreativ gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus engagieren. Zum Beispiel im sächsischen Schwarzbach, wo Jugendliche eine beeindruckende Ausstellung zu den Themen Rassismus, Demokratie und Toleranz organisiert haben.

Im Frühjahr 2007 geriet eine Region in die Schlagzeilen, in der die inzwischen verbotene rechtsextreme Kameradschaft „Sturm 34“ lange Zeit ihr Unwesen trieb und die Bevölkerung mit gewalttätigen Übergriffen einschüchterte: Die Rede ist vom sächsischen Landkreis Mittweida. Die wenigen Aktiven vor Ort, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus stark machen, können bisher nur selten mit Unterstützung durch Kommunalpolitiker und die Bevölkerung rechnen. Um so dringender, dass der Jugend- und Kulturverein Schwarzbach die Menschen mit einer neuen Ausstellung wachrütteln will. Der Titel: „Demokratie, Toleranz und gegen Rassismus“. Jugend- und Sozialarbeiterin Steffi Bormann über die Projektidee: „Wir wollen erreichen, dass sich die Menschen hier mit den Problemen Rassismus und Rechtsextremismus offensiv auseinandersetzen, anstatt sie zu ignorieren“. Schließlich entstand die Idee zu einer Wanderausstellung, die als Rahmen für weitere Veranstaltungen dienen soll.

Zahlreiche Menschen folgten im November 2007 der Einladung des Vereins und besuchten die fertige Ausstellung in der Festhalle in Schwarzbach. Teilweise kamen die Leute von weit her angereist – unter anderem aus Bitterfeld und Glauchau. Zwei Jahre lang hatten sich die Engagierten vor Ort darauf vorbereitet und Material zu den Themen Demokratie, Toleranz und Rassismus gesammelt. Für das Material, den Aufbau und die Durchführung der Ausstellung sowie für die Organisation eines Diskussionsgespräches stellte das Magazin stern im Rahmen der Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“, die 2000 gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung ins Leben gerufen wurde, eine Fördersumme von 1.000 Euro zur Verfügung.

Kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart

Die Initiatoren wollen mit ihrem Projekt sowohl die deutsche Geschichte als auch die aktuelle Situation ansprechen, um den Menschen bewusst zu machen, wie wichtig Demokratieerziehung für die Zukunft der Region und wie gefährlich der neu aufkeimende Rechtsextremismus ist. So wird bereits im Eingangsbereich das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte thematisiert: Mit einer Bildergalerie über das Konzentrationslager Auschwitz. Aber auch vor aktuellem Antisemitismus werden die Augen nicht verschlossen. Die Ausstellung beschreibt auf anschauliche Weise, wie erschreckend selbstverständlich es beispielsweise für viele Fußballfans ist, antisemitische Einstellungen in den Stadien offen zur Schau zu tragen.

Wichtigstes Thema in Schwarzbach war die Dokumentation der brutalen Überfälle bewaffneter Jugendlicher aus der Region. Konkret thematisiert wurden rechtsextrem motivierte Fälle aus den Jahren 2002 bis 2007 im Landkreis Mittweida. Die Dokumentation soll den Menschen klarmachen: Rassismus und Rechtsextremismus finden nicht irgendwo weit weg statt, sondern direkt vor der eigenen Haustür. Gerade für Jugendliche bietet die Ausstellung eine Möglichkeit, sich kritisch mit Geschichte und Gegenwart auseinander zu setzen, und zwar nicht anhand von abstrakten Beispielen, sondern durch konkrete Ereignisse im eigenen Wohnort.

Ein Theaterstück gegen Vorurteile

Im Rahmen der Ausstellung veranstaltete das Team um Steffi Bormann verschiedene Themenabende, um unter den Interessierten neue Diskussionen anzuregen. So präsentierte die Theatergruppe des Begegnungszentrums Großhennersdorf ihr Stück „Hallo Nazi“, in dem erstaunlich offen das Thema Rassismus angesprochen wird – nicht nur Rassismus unter Neonazis, von denen man nichts anderes erwarten würde, sondern auch im ganz normalen Alltag der Menschen. Die Schauspieltruppe tourt mit ihrem Theaterstück durch ganz Sachsen. „Unser Ziel ist es, Vorurteile zu zerstören, aufzuklären und die Menschen dazu zu animieren, über unser Land nachzudenken“, erzählt Armin Pietsch, der Referent der Gruppe.

Besonders viel Aufmerksamkeit unter den Jugendlichen erhielten der Journalist und Autor Thoralf Staud, der sein Buch „Moderne Nazis“ vorstellte, und Jörg Fischer, der über seine Erfahrungen als Aussteiger aus der rechtsextremen Szene berichtete. Die Reaktionen auf das gesamte Projekt waren geteilt. Einige Besucher äußerten ihren Unmut gegenüber vermeintlich integrationsunwilligen „Ausländern“, distanzierten sich aber von Gewalt. „Von den Jugendlichen wird vieles gedankenlos nachgeredet“, beobachtet dagegen eine andere Besucherin. „Dabei kennen sie oft die Zusammenhänge nicht und unterliegen dem Gruppenzwang. Es braucht mehr als Mut, sich davon zu distanzieren“. Wieder andere sind überrascht von der präzisen Darstellung der Themenbereiche in der Ausstellung, hätten sich aber noch mehr Interesse gewünscht.

Tatsächlich hatten sich auch die Veranstalter eine noch größere Resonanz unter den Schwarzbachern erhofft. Auch auf das Erscheinen der Gemeindevertreter warteten sie vergebens. Das zeigt, wie unglaublich schwierig es ist, die breite Öffentlichkeit für eine aktive Auseinandersetzung mit einem der dringendsten Probleme vor Ort zu gewinnen. Viele ignorieren den Rechtsextremismus lieber, anstatt sich der Problematik zu stellen. Um so wichtiger, dass sich Steffi Bormann und ihre Mitstreiter nicht entmutigen lassen, sondern weitermachen. Damit sich vielleicht bald eine Mehrheit der Schwarzbacher und Mittweidaer offen gegen Rechtsextremismus und Rassismus ausspricht, anstatt sich taub und blind zu stellen.

Jan Schwab

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