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Baufällig, doch nicht verloren – Helfen Sie mit, die Synagoge in Stavenhagen zu retten!

Die baufällige Synagoge in Stavenhagen, Foto: Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn, c

Ein wichtiges Zeugnis jüdischer Kultur auf dem Lande ist bedroht. Seit Jahren bemüht sich die Amadeu Antonio Stiftung mit Partner_innen vor Ort um die Rettung der Synagoge in der Reuterstadt Stavenhagen. Nun kommt mit dem neugegründeten Verein „Alte Synagoge Stavenhagen“ Bewegung in die Sache. Ohne finanzielle Unterstützung wird er das Projekt jedoch nicht stemmen können.

Dieser Artikel erschien zuerst in „Monumente Online“, dem Magazin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung.

„Der alte Mann war recht und gerecht durch das Leben gegangen, und recht und gerecht ging er auch aus dem Leben. Er starb gefestigt in seinem Glauben, und wie er verstorben war, gaben sie ihm zu seinem Sarge jene Bretter, die dem Stamme Juda zustehen, denn er war aus dem Stamme Juda. (…) und zahlreiche Christenmenschen folgten dem Sarge- zum Friedhof, für den Moses selber noch die Einfriedung aus Eichenholz gestiftet hatte (…).“ Mit diesen Worten nimmt Fritz Reuter in seinem Roman „Ut mine Stromtid“ Abschied vom „alten Moses“, einer der Hauptfiguren seines plattdeutschen Werks, aus dessen hochdeutscher Übersetzung „Das Leben auf dem Lande“ das Zitat stammt.

Isaac Salomons Großvater, Moses Levin, hatte sich 1757 in der Stadt, die damals zum Herzogtum Mecklenburg-Schwerin gehörte, angesiedelt. Aus jenen Jahren sind dort die ersten jüdischen Spuren überliefert. Er erhielt von seinem Herzog einen Schutzbrief, der ihm erlaubte, in Stavenhagen zu leben, dort Handel zu treiben und zwei „unbeweibte Knechte“ zu beschäftigen. Für dieses Privileg, das befristet und nicht vererbbar war, zahlte er jährlich zwölf Taler.

Die jüdische Gemeinde Stavenhagens

Die Schutzbriefe, die es nicht nur in Mecklenburg-Schwerin gab, brachten den Landesherren beträchtliche Einnahmen. Dennoch schaffte Herzog Friedrich Franz I. dieses Regal 1813 ab. „Alle bisher in Unsern Landesherrlichen Schutz genommene privilegierte Juden“, heißt es in Kapitel 1 der Verfassung, „sollen hinfüro mit ihren Ehefrauen und unabgesonderten Kindern für Einländer geachtet werden, und nach Maaßgabe der weiter folgenden Modificationen gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.“

Die jüdische Gemeinde Stavenhagens war 1767 auf elf Familien angewachsen und hatte in dieser Zeit ein Gebäude in der Malchiner Straße erworben, das als Wohnhaus für den Rabbiner diente. Wann mit dem Bau der dahinterliegenden Synagoge begonnen wurde, ist nicht bekannt. Man nimmt 1820 an, weil laut einer dendrochronologischen Untersuchung das Holz in jenem Jahr geschlagen worden war.

Doch bereits viereinhalb Jahre später hob der Herzog dieses fortschrittliche Gesetz wieder auf, nachdem es massive Proteste seitens der Ritterschaft und einiger Städte gegeben hatte. Sein Urenkel Friedrich Franz II. unternahm 1849 einen erneuten Versuch, die jüdische Bevölkerung der christlichen annähernd gleichzustellen, scheiterte jedoch ebenfalls an den Ständen. Erst nach dem Beitritt Mecklenburg-Schwerins zum Norddeutschen Bund 1867 und einem entsprechenden Gesetz, das Bismarck zwei Jahre später verabschiedete, erhielten die Juden ihre Bürgerrechte.

Versteckt in zweiter Reihe

Isaac Salomon, dem Reuter in seinem Roman ein liebevolles Denkmal setzte, machte mit seinem Wollhandel ein beachtliches Vermögen. Wir wissen nicht genau, ob er sich am Bau der Synagoge in Stavenhagen finanziell beteiligt hat, doch darf man das vermuten. Er errichtete eine Familienstiftung, die seine Söhne später an den Magistrat der Stadt übergaben, und ließ tatsächlich eine Mauer um den 1764 angelegten jüdischen Friedhof ziehen, wie es auch Reuter erzählt. Allerdings war sie aus Stein und nicht aus Eichenholz.

Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden einige Synagogen in den Kleinstädten Mecklenburgs nach dem gleichen Typ gebaut, doch die Stavenhagener ist eine der wenigen, die bis heute erhalten ist. Es handelt sich um einen Ziegelfachwerkbau auf rechteckigem Grundriss mit einem großen Betsaal und einem Vestibül, von dem eine Treppe zur Frauenempore führt. Die Synagoge wurde im Hinterhof des Gemeindehauses, also versteckt in zweiter Reihe errichtet, weil man sich wohl den argwöhnischen Blicken der christlichen Mitbürger entziehen wollte. Erst mit ihrer vollständigen Emanzipation bauten die Juden repräsentative, im Straßenbild wahrnehmbare Synagogen.

Es sind nur wenige Daten aus der Geschichte der Synagoge in Stavenhagen bis 1938 bekannt: 1843 – die jüdische Gemeinde war auf rund 130 Personen und damit auf die fünftgrößte im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin angewachsen – wurde eine Synagogenordnung verabschiedet, zwanzig Jahre später erhielt die Frauenempore ein Gitter und 1865 wurden einige Reparaturen vorgenommen.

Pogrome auch in Stavenhagen

Als die Synagogen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten, wurde die Stavenhagener nicht verschont. Sie überstand den Anschlag, weil Schuhmachermeister Bilsath aus Sorge um sein benachbartes Haus das Feuer löschte. Aron Hakodesch – der Toraschrein – und Bima – das Pult, an dem aus der Tora gelesen wird – sowie weitere Ausstattungsstücke waren zuvor zerschlagen worden. Am 2. März 1939 verkaufte die jüdische Landesgemeinde Mecklenburgs das Rabbinerhaus und die Synagoge an den Tischler Carl Dubbert, der im Betsaal eine Werkstatt einrichtete. Er starb 1952. Seit den 1980er Jahren standen die Gebäude leer und verfielen. 1995 wurden sie an eine Erbengemeinschaft und vier Jahre später an die Enkelin von Carl Dubbert, Rosemarie Rieger, übertragen, da die Jewish Claims Conference keine Ansprüche geltend gemacht hatte. Die Erbin ließ das Vorderhaus sanieren und war ratlos, was mit der Synagoge geschehen sollte.

Eine Notsicherung, die die Stadt 1996 finanzierte und bei der die baufällige Südwand abgetragen wurde, konnte den weiteren Verfall der Synagoge in der Reuterstadt Stavenhagen, wie der Ort seit 1949 heißt, nicht stoppen. Heute ist sie in einem so katastrophalen Zustand, dass schnell gehandelt werden muss, will man sie nicht verlieren.

Rettung der Synagoge

Zum Glück ist man auf einem guten Weg, um dieses wichtige Zeugnis jüdischer Kultur auf dem Lande zu bewahren. Am 30. Mai 2011 wurde der „Verein Alte Synagoge Stavenhagen e. V.“ gegründet, dem auch Rosemarie Rieger angehört. Sie übergab dem Verein die Synagoge per Erbbaupachtvertrag. Bereits ein Jahr zuvor hatte die Stadtvertretung beschlossen, die Kultur und Geschichte der ehemaligen jüdischen Mitbewohner Stavenhagens noch stärker als bisher aufzuarbeiten, zu fördern und zu pflegen. Man könnte leicht denken, dass jede Hilfe für dieses Denkmal in Not zu spät kommt. Das sieht die betreuende Architektin Andrea Ruiken ganz anders: „Wir haben Glück, dass das Fachwerk aus Eichenholz errichtet wurde. Es ist besonders widerstandsfähig, so dass wir die Sanierung trotz des dramatischen Zustands mit einem hohen Anteil an Originalsubstanz durchführen können.“

Im Sommer geht’s los

Für den Sommer 2012 ist der erste Bauabschnitt geplant, der auch mit Mitteln aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) finanziert wird. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat ebenfalls eine Förderung zugesagt. Zunächst soll die äußere Hülle der Synagoge gesichert und bei der sich anschließenden Sanierung das noch verwertbare Material – Biberschwanz-Dachziegel, Eichenholzbalken sowie Ziegel aus den Gefachen – gereinigt und verwendet werden. Die Tür zum Betsaal der Männer wurde bei der Notsicherung geborgen und wartet in der Synagoge von Röbel auf ihren Wiedereinbau. Jugendliche der Leo Baeck Schule in Haifa/Israel, aus Stavenhagen, Berlin und Schleswig-Holstein beteiligen sich einige Wochen lang an den Maßnahmen. Weitere Bauabschnitte werden sich der Restaurierung des Innenraums widmen.

Nach Abschluss der Sanierung soll dort in Zusammenarbeit mit dem Stavenhagener Fritz-Reuter-Literaturmuseum eine Dauerausstellung zu den Verdiensten jüdischer Autoren und Wissenschaftler Mecklenburg-Vorpommerns gezeigt werden. Zum Beispiel über den bedeutenden Lexikographen und Sprachforscher des 19. Jahrhunderts Daniel Sanders aus Alt-Strelitz oder über Felix Hausdorff, einen der bedeutendsten Mathematiker Deutschlands, der von 1913 bis 1921 an der Greifswalder Universität lehrte und unter dem Pseudonym Paul Mongré philosophische Essays und Dramen veröffentlichte.
 

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