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Gemeinsam den Rand gestalten

Der Bezirk Hellersdorf am äußersten Stadtrand Berlins hat den Ruf von Tristesse und steht für Plattenbau, Gewerbe- und Industrieparks. Seit der Eröffnung der Flüchtlingsunterkunft im vergangenen Jahr wurde Hellersdorf zum Symbol für populistische Stimmungsmache durch Neonazis. Doch lokale Initiativen halten stand, wollen ihren Bezirk nicht aufgeben und engagieren sich gegen menschenverachtende Einstellungen.

Von Luisa Wingerter

Am sogenannten „braunen Dienstag“ wurde eine Informationsveranstaltung über eine geplante Flüchtlingsunterkunft des Bezirksamts Hellersdorf zum Ort rechter Hetze. Organisierte Neonazis gaben sich als „besorgte“ Bürgerinnen und Bürger aus, heizten Anwohnende an und versuchten deren Ängste zu instrumentalisieren. Eine Szene, die sich nicht in den 1990ern abspielte, sondern im Sommer des vergangenen Jahres. Der Aufschrei in den Medien war groß. Die mediale Präsenz hat jedoch schnell abgenommen; es wurde ruhig um Hellersdorf. Geblieben sind allerdings die rassistischen Vorurteile gegenüber Asylsuchenden, auch aus der Mitte der Gesellschaft.

Menschenverachtenden Einstellungen entgegentreten

Doch in Hellersdorf gibt es auch Menschen, die nicht den Mut verlieren. Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen und sich bei Gegendemonstrationen oder in Initiativen wie „Hellersdorf hilft e.V.“ engagieren. So auch die Jugendlichen aus Marzahn-Hellersdorf, die am 30. August auf dem Gelände der AJZ Kita zum vierten Mal das Festival „Rand.Gestalten“ veranstaltet haben. Das Fest war der Höhepunkt einer Aktionswoche mit dem Motto „Aktiv gegen Rassismus und Ausgrenzung “. „Das letzte Jahr zeigte deutlich, dass es an solchen Strukturen im Bezirk nicht fehlen darf, da den Sommer über rassistische Parteien wie die NPD den Bezirk über zehn Mal mit Demos und Kundgebungen heimsuchten, um gegen die neue Notunterkunft für Asylsuchende Stimmung zu machen“, so die Jugendlichen.

Mit den Veranstaltungen wollen sie menschenverachtenden Einstellungen entgegentreten und den öffentlichen Raum im Randbezirk beleben. Denn auch die „Bürgerbewegung Hellersdorf“, hinter der Neonazis stecken, wird nicht müde ihre Hetze gegen Asylsuchende zu verbreiten, unter anderem auf Facebook mit „Nein zum Heim“-Seiten. Sogar in der Nacht vor dem Festival verteilte sie im Bezirk und auf dem Festivalgelände „Nein zum Heim“-Propaganda Flyer. Die schlimmsten Auswirkungen der rechten Stimmungsmache: rassistische Beleidigungen und Bedrohungen sowie tätliche Übergriffe auf die Bewohnenden und Mitarbeitenden der Unterkunft sowie die Unterstützenden der Flüchtlinge. Bereits zum Jahresbeginn beschädigten Knaller-Batterien die Türen der Unterkunft und einer Kita, in der sich die Unterstützergruppe „Hellersdorf hilft“ regelmäßig trifft. Ende Januar wurde erneut ein Feuerwerkskörper durch ein offenes Fenster in die Unterkunft geworfen. Auch das Auto einer Unterstützerin wurde angezündet.

Antirassistische Aktionswoche

Die engagierten Jugendlichen wenden sich an Menschen aus Hellersdorf, die diese rassistischen Vorfälle rund um die Unterkunft nicht mehr hinnehmen und sich nicht mehr instrumentalisieren lassen wollen. Das Festival „Rand.Gestalten“ war daher Teil einer antirassistischen Aktionswoche, die von der Studierendenvertretung der Alice-Salomon-Hochschule, lokalen Initiativen wie „Grenzen_Weg“ und „LaCasa“ sowie verschiedenen Einzelpersonen organisiert wurde. Die Veranstaltungen der Aktionswoche boten Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit der europäischen Asylpolitik sowie mit Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem. Die Veranstaltenden debattierten mit Interessierten auch über verschiedene Wege, sich solidarisch mit Flüchtlingen zu zeigen. Ein Kiezspaziergang zu verschiedenen Tatorten rassistischer Gewalt sollte den alltäglichen Rassismus im Kiez auch für diejenigen sichtbar machen, die nicht davon betroffen sind. Um nur einen dieser Vorfälle zu nennen: Im März dieses Jahres wurden zwei Flüchtlinge von sechs Jugendlichen mit Bierflaschen beworfen. Glücklicherweise konnten sie sich unverletzt in die Unterkunft retten.

Gemeinsam den Rand gestalten

Auf dem Gelände der AJZ Kita warteten auf rund 400 Besucherinnen und Besucher Bands unterschiedlicher Musikrichtungen. Gemeinsam mit den Flüchtlingen gestalteten die Jugendlichen auch einen Kids-Corner sowie verschiedene Essensstände. Festivals wie „Rand.Gestalten“, die sich explizit an die breite, demokratische Zivilgesellschaft richten, sind weit mehr als nur ein Freizeitangebot. Sie bieten Gelegenheit, fernab von rechter Stimmungsmache zusammenzukommen und ein Zeichen für zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt zu setzen. Gerade in Randregionen wie Hellersdorf können sie daher dazu beitragen, menschenverachtenden Einstellungen eine demokratische Alltagskultur entgegenzusetzen. Diese ist notwendig um zu verhindern, dass die populistische Hetze organisierter Neonazis auf fruchtbaren Boden fällt. Die rassistischen Vorfälle der vergangenen Monate unter geringer medialer Aufmerksamkeit zeigen deutlich, wie notwendig dieses stetige Engagement demokratischer Kräfte ist. Die Amadeu Antonio Stiftung fördert daher gerne die Organisationsgruppe rund um das Festival.

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