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Amadeu Antonio Stiftung erhält Joseph-Ben-Issachar-Süßkind-Oppenheimer-Auszeichnung

© IRGW/Werner Meier

Die Amadeu Antonio Stiftung hat am 21. September die erstmals verliehene Joseph-Ben-Issachar-Süßkind-Oppenheimer-Auszeichnung erhalten. Der baden-württembergische Landtag und die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg würdigen damit herausragendes Engagement gegen Minderheitenfeindlichkeit und Vorurteile in Wissenschaft und Publizistik.

„Es ist für das Team der Amadeu Antonio Stiftung eine große Ehre, diese Auszeichnung anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes zu erhalten. Eine offene Gesellschaft mit Werten und Rechten, die für alle gleichermaßen gelten, das ist das Ziel der Stiftungsarbeit. Dabei ist es egal, ob jemand einer Minderheit angehört oder nicht“, erklärt Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. „Im Zuge der steigenden Flüchtlingszahlen zeigt sich, wie sehr unsere Gesellschaft im Wandel ist. Auf der einen Seite haben wir eine große Welle der Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die diesen Wandel mit Gewalt und Hetze aufhalten wollen. Wir müssen der Realität rechter Gewalt ins Auge blicken. Die Amadeu Antonio Stiftung versteht diese Auszeichnung als Ansporn, weiter gegen Menschenfeindlichkeit und für demokratische Alltagskultur einzutreten.“

Die Amadeu Antonio Stiftung mit Sitz in Heidelberg setzt sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ein. Seit ihrer Gründung hat sie mehr als 950 lokale Initiativen und Projekte auf den Gebieten demokratische Jugendkultur, Schule und Opferhilfe sowie kommunale Netzwerke gefördert. Der Namensgeber der Stiftung, Amadeu Antonio, wurde 1990 von rechtsextremen Jugendlichen im brandenburgischen Eberswalde aus rassistischen Gründen zu Tode geprügelt, weil er Schwarz war.

Der jüdische Kaufmann Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer war Finanzberater des Herzogs von Württemberg. Er wurde 1738 nach dem Tod von Herzog Carl Alexander zum Sündenbock für dessen Verfehlungen gemacht. Oppenheimer, von allen nur „Jud Süß“ genannt, wurde das Opfer antisemitischer Vorurteile und nach einem Schauprozess hingerichtet.

Wir dokumentieren im Folgenden die Dankesrede von Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung:

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen des Vorstands und aller Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung danke ich von Herzen für diese große Ehrung. Dass wir den allerersten Süßkind Oppenheimer Preis entgegennehmen dürfen hat uns tief bewegt. Sein Name ist verbunden mit den Ideen moderner Reformen gegen rückständige Ständeinteressen. Und er steht für alle Zeiten für den antisemitischen Justizmord, der Generationen in Deutschland in ihrem antisemitischen Weltbild prägte. Mit der Ermordung der europäischen Juden durch Deutsche im Dritten Reich fand dieser Wahn seinen vorläufigen Höhepunkt. Joseph-Ben-Issachar-Süßkind-Oppenheimers Geschichte und seine Ermordung waren Vorboten und Symbol eines Antisemitismus, der von Neid und Kleingeist getrieben, mit den Juden stets die Moderne und das Kosmopolitische bekämpften. Und damit den größten Zivilisationsbruch in der Geschichte hervorbrachte: den Holocaust.

Wenn Sie heute die Amadeu Antonio Stiftung mit dieser Anerkennung ehren, dann verstehen wir das als Auszeichnung für eine Arbeit, die sich seit Gründung der Stiftung für Weltoffenheit und demokratische Kultur eingesetzt hat, also den wichtigsten Voraussetzungen, Völkermord zu verhindern. Und demokratische Kultur bedeutet eine starke Zivile Gesellschaft, die sich mit Ungleichwertigkeit, mit Antisemitismus UND Rassismus in unserer Mitte auseinandersetzt. Wir freuen uns daher sehr, dass Sie unsere Arbeit in diesem Sinne ehren. Denn das, was die Amadeu Antonio Stiftung erreichen will ist im Sinne des Namensgebers: eine offene und moderne Gesellschaft gleichwertiger Menschen unabhängig davon ob sie Minderheiten angehören oder nicht. Vielen Dank.

An dieser Stelle möchte ich aber daran erinnern, dass dies nicht von allein kommt und leider auch nicht selbstverständlich ist. Gerade vorgestern Nacht ist in BW wieder eine Unterkunft für Flüchtlinge angezündet worden. Die Zahl der rechtsextremen Übergriffe in diesem Land hat sich stark erhöht. Seit Januar sind 25 rechte Straftaten, darunter einige schwere Körperverletzungen zu beklagen. Wir mussten auch Fälle antisemitischen Charakters registrieren und waren in einem Fall besonders erschrocken, dass ein jüdisches Kind nicht vor Mobbing geschützt werden konnte. So beschloss die Familie am Ende in die USA zu gehen. Diese und andere Fälle haben wir in der Opferberatungsstelle bearbeitet. Die Amadeu Antonio Stiftung bemüht sich zurzeit ihre Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, nun auch mit Hilfe des Landes auf solide Füße zu stellen. Auch angesichts der Zahlen von gewalttätigen Übergriffen ist es dringend nötig die Opfer zu schützen und professionell beraten zu können. Meine Bitte an dieser Stelle: setzen Sie sich dafür ein, dass wir mit dieser Arbeit im Sinne und im Geiste des Preises, den Opfern beistehen können.

Die Preisverleihung an diesem wunderbaren Ort ist auch im Moment gut gewählt. Es sind die Tage zwischen RohHashona und Jom Kippur im jüdischen Kalender, zwischen Neujahr und Versöhnungstag. Diese Zeit ist sehr wichtig im jüdischen Jahr, vielleicht sogar die Wichtigste. Sie wird gleichermaßen getragen von Schwere und Optimismus. Zu Rosh Hashona beginnt die Zeit des Nachdenkens über das eigene Handeln. Es ist eine ernsthafte und tiefe Selbstprüfung die 10 Tage andauert. Mit allem, was dazu gehört: das Reflektieren darüber was man im vergangenen getan hat, Trauer und Reue über all die Fehler, die man stets wiederholt, eingeschlossen. Der Vorabend von Jom Kippur konfrontiert uns mit der eigenen Begrenzung und Endlichkeit. Und doch ist er optimistisch, denn Optimismus ist der Kern des Judentums. Das Nachdenken macht es möglich, dass der Mensch immer wieder neu anfangen kann, jedes Jahr, jeden Tag. Der Optimismus ist dialektisch an die Vergänglichkeit geknüpft. Sonst wäre das Leben nicht lebendig, sondern nur fatalistisch und ohne Hoffnung. Es gibt kein Vertrösten sondern nur den Neuanfang im Alltag. Das praktische Tun. Das eigene Gewissen und das höchste aller Gebote im Judentum: Zedaka, die Gerechtigkeit. Wir sollen gerecht sein. Das ist immer wieder der Plan für das nächste und alle folgenden Jahre. Zedaka sollen alle leben Juden wie Nicht-Juden. Zedaka bedeutet eine Gerechtigkeit, die weit über das Materielle hinausgeht. Zedaka – ist das, was Josef Süßkind Oppenheimer nicht erfahren durfte. Zedaka ist das Wort für Gleichwertigkeit.

Vielen Dank.

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