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„NSU als Zäsur“ – Das Ausmaß des Rassismus aufdecken

Wandbild zum Gedenken an Enver Şimşek


Von „Döner-Morden“, „Mordserie Bosporus“ und Drogenkriminalität war die Rede. Dass hinter der Mordserie des NSU ein rechtsextremer Hintergrund steckt, wurde von den Behörden lange ausgeblendet. Deshalb fördert die Amadeu Antonio Stiftung ein zivilgesellschaftliches Hearing, das sich mit dem Problem des institutionalisierten Rassismus in deutschen Sicherheitsbehörden befasst.

Als trauriges Beispiel gilt der Mord an Enver Simsek, dem Besitzer eines Blumenladens im hessischen Schlüchtern und ersten Opfer des NSU. Erst geriet Enver Simseks Witwe ins Visier, später wurde der Ermordete selbst des Drogenschmuggels verdächtigt. Erst nach elf Jahren war klar: Weder er noch seine Angehörigen waren Schuld an seinem Tod. Seine Mörder waren Neonazis.

Der Fall Enver Simsek verdeutlicht, dass die Gräueltaten des NSU-Terrors nur die Spitze des Eisberges sind. Die Aufarbeitung der NSU-Morde hat ein weiteres Problem ans Tageslicht gebracht, das maßgeblich für die Ermittlungspannen verantwortlich ist: Den institutionellen Rassismus der staatlichen Sicherheitsbehörden.

Lange kämpften migrantische Verbände vergebens. Dabei ging es ihnen nicht nur um die Aufklärung der Morde des Terror-Trios NSU, sondern auch um die Aufdeckung rassistisch motivierter Ermittlungsstrategien von Polizei und Verfassungsschutz. Nun bestätigen die Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse ihre Befürchtungen und verdeutlichen, wie groß das tatsächliche Ausmaß des institutionalisierten Rassismus ist: Während intensiv im Umfeld der Hinterbliebenen ermittelt und von organisierter Kriminalität im migrantischen Milieu ausgegangen wurde, schenkten die Behörden den Ermittlungen in Richtung eines rechtsextremen Hintergrundes nur wenig Beachtung. So trugen sie mit dazu bei, dass der NSU über Jahre hinweg unerkannt weitere Morde begehen konnte.

Institutionellen Rassismus aufdecken

Innerhalb der Gesellschaft – vor allem der migrantischen Communities – ist das Vertrauen in deutsche Sicherheitskräfte zutiefst erschüttert. Um dieses Vertrauen wiederherzustellen, fordern das Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg, der Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württemberg und weitere Verbände neben einer lückenlosen Aufklärung des NSU-Skandals auch nachhaltige und langfristige Strategien zur Bekämpfung des institutioneller Formen des Rassismus.

Um die angestoßene Debatte weiterzuführen, richten sich die Verbände mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit. Darin fordern sie ein konsequentes Aufarbeiten des institutionellen Rassismus und eine offensive Auseinandersetzung mit rassistischen Ressentiments in staatlichen Sicherheitsbehörden. Außerdem wird im Rahmen einer breit angelegten Veranstaltung mit zahlreichen VertreterInnen aus Opferverbänden, migrantischen Communities, Politik und Polizei ein Raum geschaffen, um das Problem aus verschiedenen Sichtweisen zu beleuchten.

Vertrauen wiederherstellen – Strategien entwickeln

Vor dem Hintergrund des Vertrauensbruchs werden die Auswirkungen des NSU-Skandals auf MigrantInnen thematisiert. Darüber hinaus wird über rassistisch motivierte Ermittlungsmethoden (das sog. „Racial Profiling“) und der kritiklosen Verbreitung dieser Vorverurteilung in den Medien aufgeklärt. So kann endlich eine Diskussion darüber angestoßen werden, wie konkrete Maßnahmen zum Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Kontrolle der Sicherheitsorgane aussehen könnten.

Rassismus und Rechtsextremismus äußern sich nicht ausschließlich in Gewalttaten und Parolen. Die NSU-Morde haben wieder einmal deutlich gemacht, wie tief sie in staatlichen Behörden strukturell verwurzelt sind. Rassismus und rechtes Gedankengut müssen in all ihren Facetten und umfassend bekämpft werden. Weil diese Veranstaltung wichtige Impulse zur Auseinandersetzung mit diesem bislang viel zu selten thematisierten Problem liefern wird, unterstützt die Amadeu Antonio Stiftung das Engagement der VeranstalterInnen mit einer finanziellen Förderung.

Weitere Informationen finden Sie hier:
Zum Aufruf gegen institutionalisierten Rassismus
Zum Programm des Hearings


Von Karsten Stöber

Foto: seven_resist (CC BY-NC-SA 2.0)

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„Erinnern heißt verändern“

Über ein Modellprojekt der Amadeu Antonio Stiftung erhalten seit Mitte 2023 elf Initiativen von Betroffene und Angehörige von rechten, rassistischen und antisemitischen Anschlägen sowie das gesamte Netzwerk Unterstützung für eine selbstbestimmte Erinnerungskultur. Gefördert wird das Projekt „Selbstbestimmt vernetzen, erinnern und bilden“ durch die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus.

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