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Reflex NPD-Verbot

„Verbot der NPD: Ein deutsches Staatstheater in zwei Akten“ – Buchvorstellung und spannende Diskussion im Hause der Amadeu Antonio Stiftung.

Ob nach der Hetzjagd auf acht Inder im sächsischen Mügeln, der Aufdeckung der NSU-Terrorzelle oder dem Anschlag auf das Asylbewerberheim in Tröglitz: Immer dann, wenn rechtsextreme Gewaltverbrechen oder Anschläge die Titelseiten füllen, fordern Politiker unterschiedlichster Couleur reflexartig ein Verbot der neonazistischen NPD.
Doch wie wahrscheinlich ist der Erfolg des NPD-Verbotsverfahren tatsächlich? Welche verfassungsrechtlichen Bedenken gibt es und was für Folgen hätte ein Scheitern vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe? Lassen sich Rechtsextremismus und Rassismus einfach verbieten oder handelt es sich nur um ein Ablenkungsmanöver von tatsächlichen Problemen und Versagen?
Diesen und vielen weiteren Fragen widmeten sich Rechtsextremismus-Experten und Innenpolitiker auf einer Podiumsdiskussion Ende April in der Amadeu Antonio Stiftung.

Kein Parteiverbot als „Gefahrenvorsorge“

Horst Meier, Jurist, Autor und Herausgeber des Sammelbandes „Verbot der NPD: Ein deutsches Staatstheater in zwei Akten“, schätzt die Erfolgsaussichten für das erneute Verbotsverfahren sehr gering ein. Auch sieht er verfassungsrechtliche Bedenken: „Die Stärke unseres Grundgesetzes ist die Parteienfreiheit, nicht das Parteienverbot. Wir müssen daher lernen, auch falsche und absurde Meinungen auszuhalten. Denn solange das Parteiverbot als blanke „Gefahrenvorsorge“ missverstanden wird, ist es völlig wirkungslos.“ Ein Verbot ist aus seiner Sicht nur dann gerechtfertigt, wenn von der NPD eine reale Gefahr für die Demokratie ausgehe. Dies sei angesichts der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der NPD sowie gefestigter zivilgesellschaftlicher Strukturen gegen Rechtsextremismus jedoch nicht der Fall.

Parteiverbot ist keine Frage des Wollens, sondern des Könnens

Auch Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, warnt vor dem Scheitern eines erneuten Verbotsverfahrens: „Ein Parteiverbot ist keine Frage des Wollens, sondern des Könnens. Das habe ich auch schon beim ersten Verfahren zu Bedenken gegeben.“ Außerdem habe sich die Situation seit dem ersten Scheitern nur wenig verändert. „Die Verbreitung von V-Leuten könnte zu stark und ihre Abschaltung für entscheidende Beweise bereits zu spät sein, um die NPD erfolgreich zu verbieten. Und ein erneutes Scheitern würde letztlich nur der NPD nutzen. Und selbst wenn die NPD verboten wäre, so stünden genug andere Parteien als Sammelbecken für Rechtsextreme bereit.“

Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus bekämpfen

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, sieht in dem erneuten Verfahren vor allem ein symbolpolitisches Manöver: „Das Verbot der NPD lenkt von der dringenden Auseinandersetzung mit den Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus in unserer Gesellschaft ab. Pegida schafft es, mit rassistischen Parolen Zehntausende auf die Straße zu bringen. Anschläge und Übergriffe auf Asylbewerberheime und Geflüchtete sind beinahe an der Tagesordnung. Aber statt sich mit diesen Problemen zu beschäftigen, entziehen sich Politiker mit der Forderung nach einem NPD-Verbot der eigenen Verantwortung. Außerdem wird außer Acht gelassen, dass sich Rechtsextreme seit geraumer Zeit Kameradschaften organisieren, die weitaus gefährlicher sind“, meint Timo Reinfrank und verweist dabei auf eine Graphik der Amadeu Antonio Stiftung, die die Verbreitung vom Kameradschaften im Bundesgebiet vor Augen führt.

Reinfrank betont, dass die NPD und ihre Sympathisanten trotz ihrer schwindenden Bedeutung nicht verharmlost werden dürfen. Unter dem Begriff der „National befreiten Zone“ verfolge die NPD und ihre Untergliederungen eine Strategie, die darauf ausgerichtet sei, auf lokaler Ebene eine nationalistische, völkische und rassistisch geprägte Alltagskultur zu etablieren. Tatsächlich sei es der NPD gelungen, sich in einigen ländlichen Regionen fest zu verankern. In solchen Gebieten gäbe es regelrechte „No-Go-Areas“ für Menschen mit Migrationshintergrund. „Wenn der NPD-Funktionär aus dem Stadtrat als der freundliche Nachbar von nebenan wahrgenommen wird und die NPD zusammen mit demokratischen Parteien auf Podien vertreten ist, wird der Eindruck erweckt, es handle sich um eine ganz normale Partei im demokratischen Spektrum. Das ist der völlig falsche Umgang mit Rechtsextremen“, so Reinfrank abschließend.

Am Ende der Buchvorstellung und Diskussion wurde deutlich: Es gibt viele gute Gründe, das erneute NPD-Verbotsverfahren kritisch zu sehen. Einig waren sich die Diskutanten aber vor allem in einem Punkt: Rassistische Vorurteile und rechte Ideologie lassen sich nicht verbieten – egal ob mit oder ohne NPD. Vielmehr bedarf es einer offenen Debatte über den Umgang mit rassistischem und rechtsextremem Gedankengut, Aufklärung und die Stärkung von Zivilgesellschaft und demokratischer Kultur.

Von Karsten Stöber

Foto: Prokura (CC BY-NC-SA 2.0)

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