Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Interview

Konferenz „Connect – Willkommensstruktur trifft Selbstorganisation“

Informieren, diskutieren und gemeinsam neue Möglichkeiten des Engagements von Geflüchteten sowie Unterstützer_innen entwickeln – am 24. September findet die Konferenz „Connect“ in der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin statt. Was ist das Besondere an dieser Konferenz? Wir haben dazu Laura Piotrowski, Nicole Wiedemann und Tahera Ameer befragt, die die Konferenz organisieren.

Das Interview führte Roxana Erath

Die Konferenz trägt den Titel „Connect – Willkommensstruktur trifft Selbstorganisation“.  Ihr kommt aus unterschiedlichen Projekten der Stiftung und habt Euch bewusst für eine gemeinsame Konferenz entschieden. Warum?
Laura: In meinem Projekt Willkommenskultur gestalten geht es um die gezielte Stärkung der ehren- und hauptamtlichen Arbeit für Geflüchtete, die von der Aufnahmegesellschaft ausgeht. Seit 2015 engagieren sich unglaublich viele Menschen für die Neuankommenden – sie mit Fortbildungen dabei zu unterstützen ist uns ein Anliegen. Viele Unterstützer_innen wollen das Ankommen und die Integration erleichtern. Dabei ist es aber grundlegend, zunächst die Perspektive der Ankommenden einzubeziehen, zum Beispiel überhaupt erst einmal zu fragen, wo Hilfsbedarf besteht, bevor man ein Angebot organisiert, das dann niemand braucht.
Tahera: Ich arbeite mit Schutzschild vor allem an der Stärkung migrantischer Selbstorganisation. Die Neuankommenden haben genaue Vorstellungen davon, was sie brauchen und was nötig ist, um ankommen zu können. Es ist wichtig, dieses Wissen in die Arbeit, sei sie ehrenamtlich oder hauptamtlich, zu integrieren. Daher ist es unverzichtbar, dass die Menschen, ob mit oder ohne Fluchterfahrung, mit den Neuankommenden ins Gespräch gehen, um die Erfahrungen zu teilen.
Laura: Es gibt unter den geflüchteten Menschen zahlreiche Selbst-Hilfen; ich kenne einen jungen Syrer, der schon sehr gut deutsch spricht und deshalb für andere Asylsuchende als Dolmetscher mit auf’s Amt geht. Diese Selbsthilfe überhaupt sichtbar zu machen und die Stimmen zu hören ist wichtig, um Geflüchtete auch endlich als Handelnde zu begreifen.

Wie hoch schätzt ihr das Potential von Vernetzung und Austausch mit Geflüchteten ein? Vor welchen Herausforderungen sehen sich Projekte derzeit?
Tahera: Selbstorganisierte Projekte und Vereine von Migrant_innen und Geflüchteten stehen heute nicht vor anderen Herausforderungen als vor 10 oder 15 Jahren. Die vielen Organisationen und Vereine setzen sich schon seit jeher für ihre Rechte und größere gesellschaftliche Präsenz ein – von Teilhabe gar nicht zu sprechen. Es geht darum, von der Peripherie ins Zentrum zu gelangen, wie es der Gründer von Refugees Emancipation e.V., Chu Eben, sagt. Die Expertise, die Erfahrung – alles ist vorhanden. Daher ist das Potenzial von Vernetzung und Austausch hoch: wir sollten uns darauf konzentrieren, denjenigen zuzuhören, die erklären und erläutern können, was zu tun ist, was alles in der Vergangenheit falsch gelaufen ist und wie wir es jetzt besser machen können.
Laura: Ich denke, dass die Verschärfungen der Asylgesetze, die für mich diametral zum Engagement der Bevölkerung für eine Willkommenskultur stehen, die Schwierigkeiten verstärken. Aber ich möchte diese Frage nicht alleine beantworten, sondern sie auf der Konferenz allen Engagierten stellen – aus den Willkommensinitiativen und den Selbstorganisationen.

Ihr sprecht von Teilhabe und Austausch – kommen denn im Rahmen der Konferenz tatsächlich Geflüchtete selbst zu Wort?
Ja, dies ist ein Schwerpunkt der Konferenz, dass eben nicht immer nur „über“ eine bestimmte Gruppe geredet wird. Daher nehmen Selbstorganisationen von Migrant_innen und Geflüchteten eine zentrale Rolle ein. Refugees Emancipation e.V.  und Migranet MV werden in der Fishbowl-Diskussionsrunde dabei sein und auch im Rahmen des „Future.Café“ einen Input zum Thema „Selbstorganisation von Geflüchteten“  und „Frauen und Mädchen“ geben. Weiterhin sind Jibran Khalil und Rola Saleh von Jugendliche ohne Grenzen dabei, einer bundesweiten Organisation von jugendlichen Geflüchteten. Auch Vertreter_innen von Women in Exile e.V. und dem international women‘s space berlin wollen auf der Konferenz dabei sein.

Ihr konzentriert Euch in Eurer Arbeit und auch in der Konferenz auf den ländlichen Raum. Ist die Situation dort wirklich so viel problematischer?
Nicole: In der Regel ist das Leben für Geflüchtete und Migrant_innen im ländlichen Raum erheblich schwieriger und mit diversen Problemen verbunden. So ist im ländlichen Raum die Infrastruktur häufig schlechter ausgebaut, fährt zum Beispiel der Bus nur dreimal am Tag, wodurch die Betroffenen sehr in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Gleichzeitig gibt es besonders im ostdeutschen ländlichen Raum organisierte Neonazi-Strukturen und weit verbreitete rassistische Einstellungen, die geflüchtete Menschen ungleich stärker bedrohen; traurige Realität sind tägliche rassistische Anfeindungen und auch Angriffe. Dennoch finden sich auch in kleinen Städten und auf dem Dorf engagierte Menschen, die sich gegen den Rassismus stellen und den Betroffenen Alternativen aufzeigen: sie gestalten Willkommensinitiativen, nehmen Ankommende herzlich in der neuen Gemeinschaft auf und wollen mit ihnen ein Zusammenleben auf Augenhöhe im ländlichen Raum umsetzen. Auch gute Erfahrungen sind wichtig und sollen auf der Konferenz aus unterschiedlichen Perspektiven besprochen werden.

„Integration, Inklusion, interkulturelle Öffnung?“ – Werden noch weitere Themen aufgegriffen?
Laura: Um diese drei Konzepte dreht sich die Kernfrage auf der Konferenz. Deutschland hat das erste Mal seit 1992 wieder ein Zuwanderungsplus, viele der asylsuchenden Menschen werden in Deutschland bleiben und die Gesellschaft verändern. Wir müssen uns nun endlich gemeinsam fragen, wie wir Gesellschaft gestalten können, damit alle Menschen, Alteingesessene und Neuangekommene, teilhaben können. Wir müssen und werden dabei aber auch über Probleme, wie Rassismus und die prekäre Lage von geflüchteten Frauen und Mädchen sprechen – und über Chancen, wie Selbstorganisation, die eben zeigt, dass Geflüchtete nicht nur hilflos und bedürftig, sondern vielmehr schon immer selbst aktiv für ihre Belange eintreten.

Bis zum 15. September gibt es noch die Möglichkeit, sich anzumelden – für wen lohnt es sich unbedingt zu kommen? Was erwartet die Teilnehmenden?
Laura: Natürlich sind alle willkommen, die das Thema interessiert. Wir freuen uns besonders, wenn sich Menschen anmelden, die im ländlichen Raum aktiv sind. Wir wollen mit der Konferenz nicht nur einen Austausch zwischen migrantischer Selbstorganisation und den Willkommensinitiativen schaffen, sondern auch zwischen Stadt und Land. Im zurückliegenden Jahr habe ich gelernt, wie viele wunderbare Initiativen es auf dem Land gibt, die aus den Städten heraus und auch von uns als institutionalisierter Zivilgesellschaft zu selten wahrgenommen werden. Ich würde mich freuen, wenn sich davon noch mehr auf unserem Markt der Möglichkeiten präsentieren.

Ich wünsche Euch und allen Teilnehmer_innen eine Konferenz ganz im Sinne Eures Titels – mit echten Begegnungen und viel Austausch für alle, die daran teilnehmen. Vielen Danke für das Gespräch!

Bei Interesse können Sie sich zur Teilnahme oder für einen Präsentationsstand per Mail anmelden – der Eintritt ist kostenfrei.

Weitere Infos finden Sie hier.

Weiterlesen

Roma Day 2024 Beitragsbild

Romaday: Ein Tag der Widerstandsfähigkeit von Sinti*zze und Rom*nja

Sinti*zze und Rom*nja sind eine seit mehreren hundert Jahren in Europa lebende Bevölkerungsgruppe und die größte Minderheit Europas. Ihre Geschichte ist auch eine jahrhundertelange Erfahrung von Ausgrenzung, Abwertung und Diskriminierung – und genauso langer Kämpfe um Gleichberechtigung und Anerkennung. Der Internationale Tag der Roma erinnert an die Anfänge der Bürgerrechtsbewegung mit dem ersten Welt-Roma-Kongress, der am 8. April 1971 in London stattfand.

image00004

„Erinnern heißt verändern“

Über ein Modellprojekt der Amadeu Antonio Stiftung erhalten seit Mitte 2023 elf Initiativen von Betroffene und Angehörige von rechten, rassistischen und antisemitischen Anschlägen sowie das gesamte Netzwerk Unterstützung für eine selbstbestimmte Erinnerungskultur. Gefördert wird das Projekt „Selbstbestimmt vernetzen, erinnern und bilden“ durch die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus.

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.