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Stellungnahme

Zum Thema Rassismus und Diskriminierung in Thüringen mit besonderem Fokus auf Hate Speech/Hassrede in den sozialen Netzwerken

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir danken Ihnen sehr herzlich für die Einladung und Möglichkeit zur Stellungnahme. Da sich von den eingeladenen Organisationen mehrere mit unseren Stiftungsthemen Rassismus, Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, rechtsextreme Gewalt und Opferschutz beschäftigen, möchten wir mit unserer Stellungnahme auf das Thema Hate Speech / Hassrede fokussieren, das nach unserem Wissen von keiner anderen Organisation in dieser Form bearbeitet wird.

Die Mobilisierung von Hass und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit über die sozialen Netzwerke hat nach unserer Einschätzung bundesweit eine neue Dimension erreicht. Auch in Thüringen werden insbesondere Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien in den sozialen Netzwerken von rechtsalternativen Akteuren für die Mobilisierung zu rechtsextremen und flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen benutzt. Solche Äußerungen stacheln zu Hass und Hetze auf und sind dazu geeignet, den politischen Diskurs in Deutschland dauerhaft zu beschädigen.

Dagegen setzen wir auf eine informierte und selbstbewusste digitale Zivilgesellschaft, die sich auch in Thüringen stärker gegen Hass und Hetze engagieren sollte. Unser Verständnis von Zivilgesellschaft umfasst dabei nicht nur Nichtregierungsorganisationen und Netzwerke, sondern schließt auch Behörden und Verwaltungen, Unternehmen und Politik ein.

Einleitung

Der digitale Raum ist ein wesentlicher Schauplatz gesellschaftlicher Debatten und Konflikte. Das Social Web und digitale Medien haben sich zu einer bedeutsamen Instanz für die Meinungsbildung entwickelt. Nicht nur Jugendliche suchen im Netz nach einfachen Lösungen für schwierige Probleme – ganz gleich, ob sie moralischer, politischer oder ganz praktischer Natur sind. Doch gerade die Vielstimmigkeit des Internets sorgt dafür, dass sich dort antidemokratische Positionen und menschenverachtende Ideologien als eine Meinung unter vielen präsentieren können. Durch ihre Aggressivität sowie implizite oder explizite Gewaltandrohungen werden demokratische Akteur_innen sowie Angehörige von Betroffenengruppen eingeschüchtert und ziehen sich aus Diskussionen zurück. Gleichzeitig beobachtet die Amadeu Antonio Stiftung, dass bei zivilgesellschaftlichen Akteur_innen Unsicherheiten hinsichtlich der Frage existieren, wie ein strategisches, langfristiges und effektvolles Engagement im digitalen Raum aussehen kann. In Folge dessen ist eine Zivilgesellschaft, die sich gegen Hate Speech positionieren und eine konstruktive Debattenkultur voran bringen könnte, im digitalen Raum zu wenig präsent und aktiv.

Was ist Hate Speech?

Hassrede (Hate Speech) ist kein sprachwissenschaftlicher, sondern ein politischer Begriff mit mehr oder weniger starken Bezügen zu juristischen Tatbeständen.

In Deutschland ist der juristische Bezugspunkt der Tatbestand der Volksverhetzung (StGB, §130(1)). Die im europäischen Zusammenhang relevante politische Definition von Hassrede versteht unter diesem Begriff „alle Ausdrucksformen, die Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen auf Intoleranz beruhendem Hass verbreiten, dazu anstiften, sie fördern oder rechtfertigen; einschließlich von Intoleranz, die sich in aggressivem Nationalismus und Ethnozentrismus, der Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, Migrant/innen und Menschen mit Migrationshintergrund äußert“ (Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung R (97) 20, 30.10.1997, unsere Übersetzung).

Nach unserer Ansicht fallen aber nicht nur juristisch relevante Aussagen unter den Begriff Hate Speech. Hate Speech unterscheidet sich weiterhin von Beleidigung oder „Cyber Mobbing“, da bei den letzteren Phänomenen ein Mensch als Individuum beleidigt oder verunglimpft wird. Im Unterschied dazu schlagen wir vor, Hate Speech als sprachlichen Ausdruck von Hass gegen Personen oder Gruppen zu verstehen, die der Herabsetzung und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen dient (in Anlehnung an Jörg Meibauer: Hassrede – Von der Sprache zur Politik, in: Meibauer (Hrsg): Hassrede,
2013).

Es gibt im Internet sehr viele toxische Erzählungen, die nicht strafrechtlich relevant und in ihrer Gesamtheit trotzdem geeignet sind, das gesellschaftliche Klima nachhaltig zu vergiften. Rassistische und diskriminierende Erzählungen werden in den sozialen Netzwerken von rechtsextremen und rechtspopulistischen Akteur_innen verbreitet. Diese Erzählungen besitzen mittlerweile eine breite Anschlussfähigkeit in die demokratische Mitte der Gesellschaft, vor allem, wenn es um rassistische Zuschreibungen oder antisemitische Verschwörungserzählungen zur Welterklärung geht. Deshalb ist es nach unserer Ansicht auch nicht möglich, Hate Speech allein mit gesetzlichen Verpflichtungen der Netzwerke zum Löschen zu bekämpfen.

Vielmehr muss es auch darum gehen, die demokratische Zivilgesellschaft in ihrem Umgang mit Hass, Rassismus und Diskriminierung zu stärken, um langfristig demokratische Gegenerzählungen zu reetablieren, die sich positiv auf Gleichwertigkeit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit beziehen. Wir halten es dabei für unabdingbar, Informationen über Hate Speech wissenschaftlich zu fundieren, Betroffene von Abwertung in die Diskussion einzubeziehen und möglichst viele Menschen zur Teilnahme an einer digitalen demokratischen Debatte zu befähigen.

Entwicklungen in Thüringen
Wer sich beispielsweise Online-Diskussion zu Flüchtlingsthemen anschaut, findet Gewaltaufrufe gegen Flüchtlinge und deren Unterstützer_innen. Er oder sie findet aber auch eine Radikalität und Brutalität des Vokabulars und eine Akzeptanz für Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung, wie es sie vor 2014 nur in der offen rechtsextremen Szene gab. Flüchtlingsfeindlichkeit auf Facebook Als die Stadt Erfurt im Februar 2015 bekannt gab, in einem leerstehenden Schulgebäude in Erfurt- Herrenberg übergangsweise Flüchtlinge unterbringen zu wollen, verbreitete ein Erfurter NPDStadtratsmitglied in den sozialen Netzen die Nachricht, die Stadt würde ein „Auffanglager für 50 Asylanten“ einrichten. Auch auf der lokalen flüchtlingsfeindlichen Facebook-Seite „Erfurt sagt Nein“ ergingen sich Facebook-Nutzer_innen in Gewaltfantasien. Eine Kommentatorin sprach von „Viehzeug“ und „Schweinen“, die sich überall einnisten würden. Ein Kommentator schrieb: „Macht die Öfen wieder an und los gehts“. Ein Anderer: „Im KZ ist noch genug Platz“. Alle drei Kommentator_innen posteten die Beiträge unter ihren Klarnamen. Ebenfalls 2015 berichtete die Presse bundesweit über den Fall einer Altenpflegerin, die wegen ihrer Hasspostings ihre Arbeitsstelle bei der AWO Thüringen verlor. Sie postete auf Facebook: „Irgendwann wird es eh so kommen, dass man hinz und kunz aufnehmen muss. Dank meiner medizinischen Ausbildung wird bei mir keiner überleben“. Der Suizid eines Flüchtlings in Schmölln im Jahr 2016 löste eine große Debatte in Thüringen aus. Augenzeugen sagten aus, es habe Aufrufe wie „Spring doch“ gegeben, Ermittlungen der Polizei konnten das nicht belegen. In den Sozialen Netzwerken posteten Nutzer zynische Beiträge wie „Ein Schmarotzer weniger“, einige brachten unverhohlene Freude über den Tod des jungen Mannes zum Ausdruck. Als im Juli 2016 die erste bundesweit koordinierte Razzia wegen Hassbotschaften im Internet stattfand, gab es auch Durchsuchungen gegen sechs Beschuldigte in drei Thüringer Orten.

 

„Fake News“

In den sozialen Netzwerken werden fortgesetzt Gerüchte über Asylsuchende in die Welt gesetzt und viral verbreitet. Die Seite www.hoaxmap.org sammelt solche Gerüchte und ihre Widerlegung durch die Medien. Allein für Erfurt verzeichnet diese Seite ohne Anspruch auf Vollständigkeit 12 solcher bösartiger Unterstellungen, die massenhaft bei Facebook verbreitet wurden, darunter Absurditäten wie die Behauptung, Geflüchtete erhielten in Erfurt bei Ankommen 2.000 Euro Begrüßungsgeld, oder die Falschmeldung, Flüchtlinge seien in die ega eingebrochen, hätten eine Ziege aus dem Streichelzoo entführt und geschlachtet.

Was wie eine harmlose Falschmeldung wirkt, verfestigt in den Köpfen derjenigen, die sich nur noch in der flüchtlingsfeindlichen und verschwörungstheoretischen Blase auf Facebook bewegen, die Narrative, Asylsuchende würden bevorzugt behandelt und Politiker seien Volksverräter, die nicht die Interessen der Bevölkerung vertreten. Ein Bedrohungsszenario wird aufgebaut, das die Notwendigkeit zu handeln nahe legt.
Flüchtlingsfeindliche Mobilisierung von Neonazis in sozialen Netzwerken

Facebook hatte für die Mobilisierung zu den „Thügida“-Protesten, also dem Thüringer Ableger von Pegida, eine zentrale Funktion. Im Unterschied zum Dresdner „Original“ Pegida wurden die Demonstrationen hier von bekennenden Neonazis organisiert.

Nach unseren Erkenntnissen sind in den meisten Städten, in denen „Thügida“-Demos vorbereitet wurden, auch Facebook-Gruppen und –fanseiten aufgetaucht sind, die Namen trugen wie „Wir lieben Gera“. Diese Gruppierungen waren zumeist dem Thügida-Umfeld zuzuordnen. Neben Demonstrationsaufrufen wurden hier auch lokale und bundesweite Meldungen über Flüchtlinge in einem rassistischen Kontext besprochen.

 

Empfehlungen für Thüringen
Aus unserer Sicht muss es darum gehen, eine digitale Zivilgesellschaft aufzubauen, die selbstbewusst rassistische Diskriminierungen zurückweist und sich für den Schutz von Minderheiten stark macht. Das Ziel muss daher sein, Initiativen zu stärken, die sich am Aufbau eines Netzes beteiligen möchten, in denen viele Meinungen respektiert-, jedoch Ausgrenzung und Hass kein Raum geboten wird. Damit soll der digitale Raum als partizipativer, pluralistischer und demokratischer Ort gestärkt werden – als Ort, an dem sich alle wohlfühlen können.

Mit dieser Auffassung sind wir nicht alleine: Zahlreiche internationale Organisationen, darunter die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), die OSZE und der Europarat fordern wirksame Instrumente zur Bekämpfung von Hassrede im Internet und eine verstärkte Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Achtung von Pluralismus und für die Gefahren durch Hassrede.

 

Konkret empfehlen wir daher:

Stärkung der Zivilgesellschaft und demokratischer Debattenkultur

• Stärkung des Gleichheitsgrundsatzes – Förderprogramme gegen Menschenfeindlichkeit

• Finanzielle und ideelle Förderung von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die

1. Sich für demokratische Debattenkultur und Strategien im Umgang mit Hass und Hetze im
Netz einsetzen

2. Über die Rechtslage und Hilfsangebote für Betroffene von Hassrede informieren

• Förderung von Informations- und Weiterbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit
digitaler demokratischer Debattenkultur, Quellen-Recherche und Informationspraxis im Netz

• Stärkung des Grundsatzes der Gleichheit und Gleichwertigkeit auch durch die Politik – durch
gelebte demokratische Debattenkultur statt völkischem Nationalismus

 

Qualifizierung von Mitarbeiter_innen in Behörden und Verwaltung, bessere Strafverfolgung

• Qualifizierungsprogramm zur Bekämpfung von Menschenfeindlichkeit durch Fortbildungenzu Rassismus, Sexismus und weiteren Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in
Polizei, Justiz und Staatsanwaltschaften, Verwaltungen

• Online-Meldeverfahren der Polizei müssen niedrigschwellig und benutzer_innenfreundlich
sein

• Verlässlicher Datenschutz von Opfern und Zeug_innen in Strafprozessen

• Aufklärung von Nutzer_innen über Straftatbestände und Meldeverfahren

 

Anpassung des Schul- und Bildungssystems an die Anforderungen des digitalen Raums

Politische Bildung muss ethische und normative Werte der Demokratie verstärkt vermitteln und demokratische Werte durch Debattier- und Diskussions- und Konfliktfähigkeit als zentrale Kompetenz – auch in Hinblick auf den digitalen Raum – stärken.

• Anforderungen an Kinder- und Jugendbildung müssen um die Kompetenz erweitert werden,
mit Konflikten, Demagogie und Unrecht im Internet umzugehen

• Konsequenter Ausbau der Aus- und Fortbildung von Pädagog_innen sowohl in
Netzkompetenz als auch in der Stärkung von Konflikt- und Debattierfähigkeit von
Schüler_innen

• Schüler_innen müssen als Expert_innen miteinbezogen werden

• Jugendliche sollten pädagogisch darin ermutigt werden und befähigt werden, digital aktiv zu
werden und für Menschenrechte und Gleichwertigkeit einzutreten.

• Quellenstudium, Informationspraxis, Recherche und Objektivitätskriterien müssen Teil der
schulischen und außerschulischen Allgemeinbildung werden

Für die weitergehende Auseinandersetzung empfehlen wir Ihnen:

Amadeu Antonio Stiftung: Toxische Narrative. Monitoring rechts-alternativer Akteure, Berlin 2017

Amadeu Antonio Stiftung: „Peggy war da!“ Gender und Social Media als Kitt rechtspopulistischer
Bewegungen, Berlin 2016.

Amadeu Antonio Stiftung: Gaming und Hate Speech. Computerspiele in zivilgesellschaftlicher
Perspektive, Berlin 2015.

Amadeu Antonio Stiftung, Freiwillige Selbstkontrolle Medien u.a.: Meinung im Netz gestalten.
Materialien für den Unterricht, Berlin 2016.

Amadeu Antonio Stiftung, Freiwillige Selbstkontrolle Medien u.a.: Hass in der Demokratie begegnen.
Materialien für den Unterricht, Berlin 2015.

 

 

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