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Tödliche Realität – Der rassistische Mord an Marwa El-Sherbini

Trauerzeremonie für Marwa El-Sherbini am Rathaus Dresden, von Lysippos via wikipedia, cc


Die rassistische Ermordung der Ägypterin Marwa El-Sherbini in einem Dresdener Gerichtssaal liegt nun fast zwei Jahre zurück. Zur Erinnerung an diesen grauenhaften Skandal unterstützt die Amadeu Antonio Stiftung das Publikationsprojekt „Tödliche Realitäten – Der rassistische Mord an Marwa El-Sherbini“ der Opferberatung der RAA Sachsen.

Es ist der 1. Juli 2009, als Marwa El-Sherbini nach ihrer getätigten Aussage den Dresdner Gerichtssaal verlassen will. Sie ist als Zeugin im Beleidigungsprozess gegen Alex W. geladen, der Marwa El-Sherbini ein Jahr zuvor auf einem Spielplatz als „Terroristin“ und „Islamistin“ beschimpft hatte. Beim Verlassen des Saals geht der Angeklagte auf die junge Frau los und rammt ihr 18 tödliche Messerstiche in den Körper. Ihr Ehemann eilt ihr zu Hilfe und wird dabei selbst von einem Schuss durch einen Polizisten verletzt. Der Beamte hielt ihn für den Angreifer.

Stillschweigende Öffentlichkeit

Die Presse berichtete zunächst sehr nüchtern und unpolitisch über diesen rassistischen Mord. Erst nach internationalem Druck, vor allem aus Ägypten, bekennt sich die Öffentlichkeit zur offensichtlich rassistischen Tat. „Da der Täter ein Deutschrusse war, wurde angestrengt versucht, den Mord als Folge eines ‚interkulturellen Konflikts’ darzustellen“, so Andrea Hübler, Herausgeberin der Publikation „Tödliche Realitäten – Der rassistische Mord an Marwa El-Sherbini“ von der RAA Sachsen. Gerade durch die Vorgeschichte zwischen Täter und Opfer kann hier jedoch, was sehr selten der Fall ist, definitiv von einer rassistischen Tat ausgegangen werden. „Es dauerte eine ganze Woche, bis die ersten richtigen Berichterstattungen veröffentlicht wurden. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft in Dresden schon am selben Tag die rassistische Motivation des Mords belegt hatte“, bemerkt Andrea Hübler.

Tödliche Realitäten

Die Opferberatung der RAA Sachsen hat sich nun entschieden, einen Sammelband zu veröffentlichen, der sich unter vielen Aspekten kritisch mit der Situation in Sachsen, im Bezug auf Rassismus, Antisemitismus und Neonazi-Gewalt, auseinandersetzt. Viele Autoren aus der Wissenschaft, aber auch aus aktiven Initiativen analysieren auf über 250 Seiten, welche Auswirkungen der Mord von Marwa El-Sherbini auf Dresden, Sachsen und die gesamte deutsche Gesellschaft hatte und welche Folgen daraus gezogen wurden. Zudem beinhaltet die Publikation eine Gegenüberstellung von Meinungen über die nach der Tat entstandene Debatte zu antimuslimischem Rassismus und ein Interview mit Mitgliedern eines muslimischen Frauentreffs in Dresden, der nach dem Mord an Marwa El-Sherbini gegründet wurde. „Wir wollten wissen, wie es den muslimischen Frauen nach der Tat ergangen ist und wie sie heute mit dem Fall umgehen“, so die Herausgeberin.

Juristische und Mediale Aufarbeitung

Einen sehr großen und wichtigen Teil nehmen die juristische sowie die mediale Aufarbeitung des Vorfalls ein. Der Prozessablauf wird rückblickend beurteilt und im Anschluss geprüft, wie sehr Tatmotive in der deutschen Justiz allgemein berücksichtigt werden. Es wird kritisch diskutiert, in welchem Maß, gerade bei rassistischen Taten, die Motive in das Strafmaß der Täter mit einbezogen werden. Ein Staatsanwalt aus Dresden beschreibt in der Publikation, welche Änderungen auf Grund des Vorfalls unternommen wurden und wie in Zukunft gearbeitet wird. Auch die mediale Öffentlichkeit wird durchleuchtet und ihre Reaktion sowie Berichterstattung im Fall El-Sherbini und allgemein bei rassistischen Gewalttaten kritisch reflektiert. Fraglich ist, inwiefern dieser rassistische Mord auf den Prozess des im letzten Jahr in Leipzig getöteten Kamal K. Auswirkungen haben wird.

Motivation und Hoffnung

„Wir möchten dem Mord an Marwa El-Sherbini offen Rechnung tragen“, sagt Andrea Hübler, auf die Frage nach ihrer Motivation, die sie zur Publikation geführt hat. „Es war ein rassistischer Mord, nach dem man nicht einfach zur normalen Tagesordnung übergehen konnte“. Sehr wichtig ist, dass mit der Veröffentlichung deutlich gemacht wird, dass dieser Mord bei Weitem kein Einzelfall ist, sondern einer von vielen rassistisch motivierten Morden ist. Das Buch erinnert also nicht nur an Marwa El-Sherbini, sondern an alle Opfer rassistischer Gewalt. Die Herausgeberin hat die Hoffnung mit der Publikation sehr viele Menschen in Deutschland zu erreichen sowie zu zeigen, welche tödlichen Folgen Rassismus annehmen kann und wie häufig diese Tatsache noch immer verschwiegen wird. „Wir hoffen daduch etwas gegen den Rassismus im Alltag unternehmen zu können“, so die Herausgeberin. Die ersten 1.000 Exemplare der Publikation werden auch aus diesem Grund kostenlos zur Verfügung gestellt und können direkt bei der Opferberatung angefordert werden. Die Amadeu Antonio Stiftung ist froh, diese wichtige Publikation unterstützen zu können.

Von Rainer Mai

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„Erinnern heißt verändern“

Über ein Modellprojekt der Amadeu Antonio Stiftung erhalten seit Mitte 2023 elf Initiativen von Betroffene und Angehörige von rechten, rassistischen und antisemitischen Anschlägen sowie das gesamte Netzwerk Unterstützung für eine selbstbestimmte Erinnerungskultur. Gefördert wird das Projekt „Selbstbestimmt vernetzen, erinnern und bilden“ durch die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus.

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