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Neue Mehrheiten, alte Probleme: Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit in Ostdeutschland

Neue Mehrheiten, alte Probleme: Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit in Ostdeutschland

Neue Mehrheiten, alte Probleme. Menschenfeindlichkeit in Ostdeutschland 

 

In den vergangenen Jahren hat die Alternative für Deutschland (AfD) insbesondere in Ostdeutschland bemerkenswerte Wahlerfolge erzielt. Nach der Gründung 2013 noch als “Anti-Euro-Partei” belächelt, ist die AfD mittlerweile nach den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Brandenburg und Sachsen entweder stärkste oder zweitstärkste Kraft. Mit stark polarisierenden und emotionalisierten Themen ist es der in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei über Jahre hinweg gelungen, sich gerade in ostdeutschen Bundesländern zu etablieren. Insbesondere im ländlichen Raum, der oft weniger von den wirtschaftlichen Fortschritten nach der Wiedervereinigung profitiert hat, erzielt die Partei hohe Zustimmungswerte und zielt dort auf Ängste und Unsicherheiten der den demokratischen Parteien gegenüber skeptischen Anwohner*innen ab. Im Mai 2025 stufte der Verfassungsschutz die gesamte AfD als „gesichert rechtsextrem“ ein, doch aufgrund eines Eilantrages der AfD ist diese Einstufung rechtlich ausgesetzt worden.

In der öffentlichen Diskussion ist die AfD omnipräsent. Ob “Abschiebetickets” im Bundestagswahlkampf 2025 oder Analysen, die den enormen Stimmenzuwachs der AfD in den neuen Bundesländern erklären: Die AfD als bloße irrelevante Protestpartei zu erklären, wie es die Jahre zuvor oft geschehen ist, ist hinfällig und gefährlich. Denn die Ergebnisse der Landtags- und Kommunalwahlen 2024 sowie letztendlich der Bundestagswahl 2025 verdeutlichen die Etablierung der AfD. 

Aber nicht nur die AfD bestimmt die rechtsextreme Raumnahme in Ostdeutschland. Parteien wie III. Weg, HEIMAT (ehemals NPD) oder Freie Sachsen sind zwar noch Kleinstparteien, doch erhielt Freie Sachsen bei der Landtagswahl 2024 in Sachsen beispielsweise mehr als doppelt so viele Zweitstimmen wie die FDP. Über die gewonnenen Mandate hat die Partei, die sich während der Covid 19-Pandemie zunächst in der sogenannten Querdenker*innen-Bewegung etablierte, Zugang zu sensiblen Informationen, wie Bürger*innenanfragen oder Orte, an denen Geflüchtetenunterkünfte geplant ist. Dafür kann Freie Sachsen anschließend mobilisieren, sich damit als volksnahe, besorgte Partei inszenieren und die Wählerschaft vergrößern.

Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) plant, Freie Sachsen zu verbieten. Denn in der Partei sollen auch Mitglieder der verbotenen rechtsterroristischen Gruppe Freital aktiv sein. Die Gruppe Freital verübte Mitte der 2010er Jahre mehrere Anschläge auf Asylunterkünfte, bei einer Festnahme 2016 wurde antisemitisches Material sichergestellt. Im Februar 2025 wurde im brandenburgischen Senftenberg ein Kugelbomben-Anschlag auf eine Asylunterkunft vereitelt. Sicher ist: Die Etablierung der AfD ebnet den Weg für gewaltbereite, neo-nazistische Parteien, die vor allem in Ostdeutschland langsam aber sicher an Bedeutung gewinnen.

Das Jugendzentrum Pankow (JUP) meldete im März 2024 mehrere Angriffe der Jugendorganisation von der III. Weg, Nationalrevolutionäre Jugend (NRJ), auf ihren Raum. Kurz danach wurden vom rbb Werbeaktionen der NRJ vor Berliner Schulen dokumentiert. Auch 2025 nimmt die NRJ Berliner und Brandenburger Schulen ins Visier - die Strategie ist darauf ausgerichtet, vor allem Jugendliche für rechtsextreme Positionen zu begeistern und zukünftige Wähler*innen zu etablieren. Dass diese Offensive bereits Wirkung zeigt, unterstreicht die Altersanalyse der Landtagswahlen 2024. Hier war die AfD die stärkste Kraft bei Jungwähler*innen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

Diese Entwicklung löst sowohl in der politischen Landschaft als auch in der Gesellschaft kontroverse Diskussionen aus – viele Menschen lassen diese Entwicklung auch hoffnungslos zurück. Denn die demokratiefeindlichen Ziele der AfD sind eindeutig: Einstampfen des Sozialstaats und Klimaschutzes, Asylpolitik verschärfen, die bürgerliche Kleinfamilie zum Ideal erheben sowie Reproduktionsrechte massiv einschränken. Gerade jetzt werden wieder zivilgesellschaftliche Stimmen laut, ein AfD-Verbotsverfahren offiziell zu prüfen und umzusetzen, um der drohenden rechtsextremen Landnahme und der Normalisierung menschenfeindlicher Narrative entgegenzusteuern. 

Zwischen Hoffnungslosigkeit und Engagement

Der öffentliche Diskurs um die AfD sowie weitere rechtsextreme Parteien und Organisationen ist wichtig. Dennoch lässt er oft Stimmen außen vor, die der rechtsextremen Landnahme trotzen. Denn während die Zahl der menschenfeindlichen Übergriffe steigt, bangen ostdeutsche Beratungsstellen, soziale Träger und Dokumentationsstellen um ihre Finanzierung und somit Zukunft. Diese Einrichtungen sind gerade in den schwach besiedelten Gegenden wichtige Anlaufstellen für Beratung, sozialen Austausch und schlicht Hilfe für Menschen, die Opfer antisemitischer und rassistischer Gewalt werden. Für dieses Faltblatt wurden zahlreiche antisemitismus- und rassismuskritische Initiativen, Gedenkstätten und Vereine in Ostdeutschland für ein Stimmungsbild nach den AfD-Wahlerfolgen angefragt – nur wenige haben die Zeit gefunden, nicht zuletzt auch sicherlich wegen der unsicheren Finanzierungslage. 

Einseitige Analysen, schlechte Versprechen

Um zu verstehen, wie brenzlig die Lage solcher Initiativen in Ostdeutschland ist, lohnt sich auch ein Blick in die AfD-Programme der Landtagswahlen 2024. Antisemitismus spielt nur in dem thüringischen und sächsischen Wahlprogramm eine Rolle. Während man sich in Thüringen auf die vom Christentum mit dem Judentum geteilten Werte bezieht und sich deswegen gegen Antisemitismus positioniert, wird in Sachsen Antisemitismus hauptsächlich zu einem von muslimischen Migrant*innen importierten Problem gemacht. Ein taktischer Zug, denn so findet eine Auslagerung des deutschen Antisemitismusproblems statt. Denn Antisemitismus, der von außen kommt, kann und soll strategisch den Weg zu einer verschärften Asyl- und Migrationspolitik ebnen. 

 

Die AfD Sachsen, Brandenburg und Thüringen spricht sich gegen die Finanzierung von NGOs und zivilgesellschaftlichen Vereinen aus. Die AfD Brandenburg formuliert es im Regierungsprogramm zur Landtagswahl 2024 rigoros: “Das Profitgeschäft von NGOs und Wohlfahrtsverbänden ist zu beenden". Die AfD Thüringen behauptet gar, von NGOs ginge “die größte Gefahr für unsere Demokratie” aus. Nach der Landtagswahl 2024 ist die AfD in Thüringen die stärkste Kraft und besitzt damit ⅓ der Sitze im Landtag. Dadurch erhält die AfD die Sperrminorität – ohne die Stimmen der AfD können keine Entscheidungen von Verfassungsrang mehr getroffen werden.
 

Die Normalisierung rechter Narrative

 

Die AfD kommuniziert mittlerweile unverblümt ihre rechtsextremen Positionen, gerade im Vergleich zu älteren Wahlprogrammen. Wo es zum Beispiel im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025 heißt “Ab jetzt bestimmen wieder wir, wer zu uns kommt und wer nicht” und wo das 2021 zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern noch mit “Illegale Migration stoppen: Heimat bewahren” beschrieben wird, heißt es im ersten Parteiprogramm 2013 hingegen noch deutlich gemäßigter: „Wir fordern eine Neuordnung des Einwanderungsrechts. Deutschland braucht qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung”.

Somit merkt man nicht nur an den AfD-Wahlprogrammen, dass sich die Grenzen des Sagbaren längst verschoben haben. AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel spricht in einem Interview mit dem ZDF offen über die geplante „Remigration” von Migrant*innen. Auch hier wird deutlich: Rechtsextreme können sich immer sicherer in ihren Forderungen wiegen. Das untermauert auch die Leipziger Autoritarismus Studie aus dem Jahr 2024: 33,8 % der Befragten sehen Deutschland „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet”.

 

Der damalige AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland bezeichnete 2018 den Nationalsozialismus als „Vogelschiss in der deutschen Geschichte”. Mittlerweile findet sich diese Einstellung in den AfD-Wahlprogrammen deutlich wieder: Antisemitismus ist Nebensache, NGOs „eine Gefahr für die Demokratie”. Gleichzeitig ist die Zahl antisemitischer Straftaten nach RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus), die antisemitische Vorfälle bundesweit dokumentiert, auf einem neuen Höchststand. Doch Betroffenenperspektive und -bedürfnisse, Erinnerungskultur sowie Antisemitismusbekämpfung spielen im Ostdeutschland der Rechtsextremen keine Rolle.

 

Und jetzt!?
 

Die Stimmung der für unser Faltblatt angefragten Initiativen ist entmutigt, skeptisch und verunsichert. Aufgeben ist dennoch keine Option. Auch, wenn viele von einem Gefühl der Schutzlosigkeit erzählen, das durch die Normalisierung rechtsextremer Positionen geebnet und gestützt wird. Letztendlich wird dieses Gefühl mit dem Anstieg von Angriffen bestätigt. RIAS Thüringen verzeichnet eine Zunahme (gemeldeter) antisemitischer Vorfälle von knapp 25 % von 2023 auf 2024. Der LOBBI e. V., die landesweite Opferberatungsstelle für Opfer und Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, vermerkt ebenfalls Angriffe im Kontext des Wahlkampfes der Kommunalwahlen 2024. Die Beratungsstelle fasst zusammen, dass das Selbstbewusstsein der Täter*innen mit rechten Wahlerfolgen ansteigt. 

Gleichzeitig bemerkt die Mehrzahl der Initiativen die Normalisierung antisemitischer und rechter Narrative beispielsweise bei Gesprächen mit Bekannten oder Nachbar*innen, wie Anne Tahirovic (Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Thüringen, IDZ) beschreibt. Der Sprecher*innenrat der Sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG) bemerkt zudem nüchtern, dass AfD-Funktionär*innen den Nationalsozialismus relativieren – wie zum Beispiel der sächsische Parteichef, der für den Bundestagswahlkampf eine SA-Parole auf Alice Weidel umformulierte.

 

Alexander Tayterer, Gründer der Jüdischen Allianz Mitteldeutschland, thematisiert den Ausschluss von Jüdinnen*Juden aus Netzwerken und warnt vor den Folgen der Isolation und Auswanderung. Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Weimar, weist immer wieder öffentlich auf antisemitische Äußerungen der AfD hin. Zuletzt warnte er vor den Landtagswahlen in zig Briefen an Thüringer Anwohner*innen vor der AfD. Er erhielt anschließend Morddrohungen. Für unser Faltblatt formuliert er seine Gedanken zur Landtagswahl 2024 in Thüringen und ordnet diese auch historisch ein.

 

Jetzt das! Was ihr gegen Antisemitismus tun könnt

1. Seid solidarisch! Zeigt Opfern von Antisemitismus, Rassismus und Islamismus, dass sie nicht alleine sind! Greift ein, verbündet euch gegen die Anfeindungen, solidarisiert euch nachhaltig mit den Betroffenen und fragt nach, wie ihr unterstützen könnt. Macht in eurem Umfeld aufmerksam auf den Vorfall, kontaktiert die Presse, haltet Kundgebungen ab, organisiert euch in Initiativen. Traut euch!

2. Hört Betroffen zu und macht ihre Perspektive sichtbar! Jüdinnen*Juden sind tagtäglich Anfeindungen ausgesetzt, jüdisches Leben wird dadurch in Deutschland immer unsichtbarer – geht dadurch immer davon aus, dass Betroffene in euren Räumen anwesend sind, ob ihr es wahrnimmt oder nicht. 80 Jahre nach Kriegsende darf “Nie wieder ist jetzt!” nicht zur leeren Floskel verkommen!


3. Gerade in Zeiten, in denen rechtsextreme Positionen normalisiert werden, heißt es: Zeigt Haltung! Ob am Küchentisch, auf der Arbeit oder in der Straßenbahn, ob Antisemitismus verharmlost oder reproduziert wird: Antisemitismus immer widersprechen. Denn ein demokratisches Weltbild spricht nicht einfach für sich - aber durch euch. Ihr bekommt Gegenwehr? Macht darauf aufmerksam, haltet dagegen und veröffentlicht Argumentationshilfen!

4. Unterstützt Initiativen vor Ort! Seid selbst die Initiative! Spendet, wenn ihr könnt, aber vor allem euer Engagement hilft, um antisemitismuskritische Organisationen sichtbarer zu machen. Organisiert an eurer Universität einen Thementag gegen Antisemitismus! Ihr habt einen riesigen Einflussbereich – nutzt ihn! Ergreift Partei für die Welt, in der ihr leben wollt!

 

5. Sucht euch Verbündete unter euren Kolleg*innen, Kommiliton*innen, im Sportverein oder Familie. Antisemitismus darf nicht konsequenzlos bleiben!

 

Sicher, der Kampf gegen Antisemitismus kann frustrierend sein. Aber ihr seid nicht allein! Je mehr wir sind, desto besser! Denn die nächste Wahl kommt - macht‘ einen Unterschied! 

 

Die Publikation ist hier als PDF zu finden.

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