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Aktionswochen gegen Antisemitismus

RAA Sachsen & BgA-Ostsachsen: „Was noch zu sagen wär“ – Eine ostsächsische Perspektiven auf die Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen in Sachsen

Opferberatung „Support – für Betroffene rechter Gewalt“ (RAA Sachsen, Büro Dresden) und „Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen“ (BgA-Ostsachsen)

Die RAA Sachsen (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie) unterstützt Menschen, die von rechtsextremer oder diskriminierender Gewalt betroffen sind, und fördert demokratische Bildungsarbeit. Sie bietet Beratung und Fortbildungen an. Das Projekt “Support für Betroffene rechter Gewalt” der RAA Sachsen ist eine Beratungsstelle, in der sich Opfer rechtsmotivierter Gewalt sowie deren Angehörige Unterstützung und Hilfe suchen können.

„Was noch zu sagen wär“ – Eine ostsächsische Perspektiven auf die Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen in Sachsen

„Mit großer Anspannung und Sorge blickten 2024 weite Teile der (ost-)sächsischen (Zivil-)Gesellschaft auf die anstehenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen im Juni und September. Würden rechtsextreme Parteien ihre Erfolge von 2019 fortschreiben und weiterhin Stimmengewinne im zweistelligen Bereich verbuchen können? Könnte eine rechtsextreme Partei gar stärkste Kraft auf Kommunal- und Landesebene werden? Und welche Auswirkungen hätte dies auf die wieder zunehmend feindseligen Auseinandersetzungen auf den Straßen und in den Parlamenten sowie auf die ohnehin fragile Infrastruktur der demokratischen Zivilgesellschaft in Sachsen?

Trotz unzähliger, engagierter Wahlinitiativen und -aufrufe aus Wirtschaft, Kirche, Soziokultur und Zivilgesellschaft, die vor den Gefahren eines rechtsextremen Wahlerfolges warnten und eine andere politische Kultur anmahnten, konnten die Ängste und Sorgen vieler Sächsinnen*Sachsen durch die Wahlgänge im Juni nicht zerstreut werden. Im Gegenteil: Mit Ausnahme von Leipzig entpuppten sich Rechtsextreme auf der Ebene der Kreisräte und in den Stadträten von Chemnitz und Dresden als die Gewinner*innen der Wahlen und erreichten Zugewinne von bis zu 15 Prozentpunkten. Vor allem in den Landkreisen Ostsachsens bedeutete dies einen Zweitstimmenanteil von annähernd 40 Prozent bei den Kommunalwahlen.

Mit diesen Erfolgen im Rücken konnte die extreme Rechte auch bei der Landtagswahl im September Zugewinne verzeichnen. Wahrscheinlich nur aufgrund eines Stimmenanteils von 2,2 Prozent für die Freien Sachsen entging der AfD mit mehr als 30 Prozent der Zweitstimmen dennoch die Rolle der stärksten Fraktion im Landtag. Außerdem verfehlte sie so nur knapp eine eigenständige Sperrminorität, die ihr Einfluss auf Verfassungsfragen oder die Wahl von Verfassungsrichter*innen gewährt hätte. Das Fazit der Wahlen 2024 kann nur lauten: Nicht aus Protest, sondern aus Überzeugung wählen immer mehr Menschen rechtsextreme Parteien in Sachsen und stellen die Demokratie und ihre Errungenschaften damit vorsätzlich infrage.

Die sich nach und nach abzeichnenden Erfolge der Rechtsextremen bei den Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen dürften auch einer der Gründe für die überall in Sachsen zunehmende Mobilisierung junger und alter Neonazis sein. Versehen mit hunderten von Mandaten in den Gemeinde- und Kreisräten, erhalten sie nicht nur mehr Einfluss und mediale Aufmerksamkeit, sondern auch ein neues Selbstbewusstsein, das sich in der scham- und hemmungslosen Androhung und Anwendung von Gewalt niederschlägt.

Bundesweite Aufmerksamkeit erlangte z. B. eine Reihe von Angriffen auf Wahlkampfteams in und um Dresden vor den anstehenden Kommunal- und Europawahlen. Ihr Tiefpunkt: Die schweren Verletzungen des sächsischen Spitzenkandidaten der SPD für die Europawahlen, Matthias Ecke, nach einer Attacke junger Neonazis aus der Gruppe „Elbland Revolte“. Diese und andere Neonazigruppen machten auch in der Folge immer wieder von sich Reden. Sei es durch ihre Beteiligung an den zum Teil massiven und einschüchternden Protesten gegen die CSD’s in Dresden (1.6.24), Bautzen (10.8.24) oder Görlitz (28.9.24) mit bis zu 700 Teilnehmenden aus der Neonazi- und Hooliganszene oder durch weitere Angriffe auf politische Gegner*innen – z.B. im als alternativ geltenden Dresdner Stadtviertel Neustadt (26.10. und 16.11.24) oder in der ostsächsischen Stadt Görlitz (4.11. und 20.12.24). Letzterer hatte dann endlich eine Reihe von Hausdurchsuchungen Ende Dezember 2024 zur Folge, die zur Untersuchungshaft eines Rädelsführers der Gruppe „Elblandrevolte“ führten.

Wie weit die Vernetzung zwischen Straße und Parlamenten im gewaltbereiten, rechtsextremen Spektrum mittlerweile reicht, machen zwei andere Ereignisse des vergangenen Jahres deutlich. Am 22. Juni trafen sich Vertreter*innen diverser rechtsextremer Parteien und Bewegungen bei einer Sonnenwendefeier in Herrnhut – neben kommunalen Mandatsträgern der AfD u. a. mit dabei: Anhänger*innen der paramilitärischen Reichsbürger Organisation „Vaterländischer Hilfsdienst Meißen“ und Mitglieder der Dresdner Neonazi-Kameradschaft „Werra Elbflorenz“. Zusammen sangen sie ein Lied der Hitlerjugend und huldigten einem regionalen SS-Standartenführer. Zwei der Teilnehmer dieser Feier mit AfD-Parteibuch, einer davon sogar Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten im sächsischen Landtag, gehörten schließlich auch zu einer Gruppe von acht Personen, die Anfang November wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung namens „Sächsische Separatisten“ verhaftet wurden. Laut Generalbundesanwaltschaft habe sich die Gruppe auf einen staatlichen und gesellschaftlichen Kollaps vorbereitet, um bei dieser Gelegenheit mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen und anderen ostdeutschen Bundesländern zu erobern und in diesen durch ethnische Säuberungen ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Staats- und Gesellschaftswesen zu errichten. Nach dem sogenannten Treffen von Potsdam zeigte die extreme Rechte hier weitere Male, wer die wahren Wegbereiter und Vorbilder ihrer Politik sind.

Besonders für marginalisierte Gruppen, die sich alltäglichen Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt sehen, sind solche Nachrichten nur schwer zu ertragen. So äußerten Mitglieder der jüdischen Community in Dresden im Rahmen der Initiative „#SolidarischWählen – Demokratie stärken“ bereits vor den Wahlen, dass sie es leid seien, sich verstecken und ihre Identität verbergen zu müssen und dass sie sich nach dem Treffen von Potsdam ihrer Erwünschtheit in Deutschland nicht mehr sicher seien. Ihre (vielleicht letzte) Hoffnung setzten sie damals auf eine starke moralische Unterstützung der demokratischen Parteien, in ein Werben für Akzeptanz in der breiten Bevölkerung bzw. in eine Politik, die sich auf Visionen versteht und das andauernde Reparieren undichter Stellen in der Sozial- und Kulturpolitik endlich hinter sich lässt. Doch diese Hoffnung scheint heute, im Januar 2025, bitter enttäuscht.

Mit dem Platzen der Ampelkoalition auf Bundesebene und dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, SPD und BSW in Sachsen Anfang November 2024, offenbarten die demokratischen Parteien nicht nur ihre Unfähigkeit einer demokratischen Kompromissfindung im Angesicht tiefgreifender gesellschaftlicher Verwerfungen, sondern sie verschärften auch die (finanzielle) Unsicherheit jener, die sich dem Erstarken des Rechtsextremismus mit Bildungs-, Kultur- und Sozialprogrammen noch entgegenstellen. Während die extreme Rechte mit ihrer neuen Machtstellung in den Landkreisen Ostsachsens versucht, öffentliche Stellen in der Integrations- und Migrationsarbeit unter scheinheiligen Vorwänden neu zu besetzen oder ganz abzuschaffen, reagieren die bürgerlichen Parteien im Dresdner Stadtrat mit einer chauvinistischen Sozialpolitik auf die unsichere Haushaltslage und den Verlust von Wähler*innen.

Doch selbst wenn diese Strategie kurzfristig von Erfolg gekrönt sein sollte, werden ihre langfristigen Auswirkungen katastrophal sein: Eine Gesellschaft, die an den zentralen Säulen ihres Zusammenlebens – der Bildung, der Kultur, der Gesundheits- und Sozialfürsorge – die Axt ansetzt, wird ihren Anspruch auf demokratische Mitbestimmung und Pluralismus nicht aufrechterhalten können. Statt einer chauvinistischen Politik, die marginalisierte Gruppen gegeneinander ausspielt und die Gesellschaft aufwiegelt, benötigen wir ein klares Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten für alle. Die Geltung von fundamentalen Rechten darf nicht von Ethnizität oder sozialem Status abhängig gemacht werden. Die nachhaltige Finanzierung von Beteiligungs-, Bildungs-, Kultur- und Sozialprogrammen muss unabhängig von den Wechselfällen der Tagespolitik gewährleistet sein. Nur so kann dem Umsichgreifen rechter Raum- und politischer Einflussnahme Einhalt geboten werden.

Im Übrigen sind wir der Meinung, dass die AfD verboten werden muss.“

Anbei die PDF mit allen verwendeten Quellenverweisen:

RAA Sachsen_BgA Ostsachsen_was noch zu sagen wär 

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