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Im Visier von Rechtsextremen: Mehr als 70 CSDs in 2025 wurden gestört

Sie waren in Potsdam, Dresden, Saarbrücken, Wetzlar, Berlin, Eberswalde, in Neumünster, Pforzheim, Gera und Chemnitz. In Ost- und Westdeutschland, im Süden und im Norden, auf dem Land und in der Stadt –  Neonazis mobilisieren in dieser Saison wie auch schon im letzten Jahr im großen Stil gegen Pride-Paraden und CSDs. 

Über 240 CSDs finden dieses Jahr insgesamt in Deutschland statt, so viele wie nie zuvor! CSDs machen queeres* und trans* Leben sichtbar. Sie sind kraftvolle Demonstrationen für gleiche Rechte, Selbstbestimmung, Toleranz und Vielfalt –  zentrale demokratische Werte, die Rechtsextremen ein Dorn im Auge sind. Besonders im ländlichen Raum sind sie oft die wenigen öffentlichen Orte, an denen Vielfalt, Gleichwertigkeit und Demokratie erfahrbar werden.

Unser Monitoring zeigt: Stand jetzt wurden in diesem Jahr mindestens 70 CSDs gestört. Nur etwas mehr als 70 Prozent konnten damit störungsfrei verlaufen. Vor, während und nach CSDs kam und kommt es zu rechtsextremer Mobilisierung, Hasskommentaren, tätliche Angriffen, Gegenveranstaltungen, Störversuchen auf kommunalpolitischer Ebene und Zerstörung von Pride-Symbolen.

Dennoch sprechen Medien von störungsfreien“ CSDs – Wie kann das sein?

Vor dem CSD in Bremen wird ein anonymer Drohbrief verschickt. Wenn der CSD am geplanten Termin stattfände, „wird es viele Tote geben. Niemand kann sie schützen.“ In Ronnenberg (Niedersachsen) versuchte die AfD im Stadtrat, den CSD per Antrag zu verbieten und forderte die Herausgabe der Namen der Verwaltungsbeamt*innen, die den CSD genehmigt hatten. Regelmäßig werden Regenbogenflaggen gestohlen, teilweise sogar verbrannt und zur Bewerbung der Gegendemonstration in Videos auf Social Media genutzt.

In der Kommentarspalte unter Postings zu CSDs von Nachrichtenkanälen oder Veranstalter*innen häufen sich menschenfeindliche, queer- und transfeindliche Aussagen bis hin zu Morddrohungen. Müssen wir uns daran gewöhnen, dass CSDs im Jahr 2025 nur noch mit ausgefeiltem Sicherheitskonzept und massiver Polizeipräsenz stattfinden können? Wird die rechtsextreme Drohkulisse „normal“?

Knapp 30 Prozent der CSDs von Rechtsextremen gestört

Die Amadeu Antonio Stiftung zählt bislang 27 Gegendemonstrationen und -veranstaltungen. Politik und Medien sprechen dennoch von „friedlichen CSDs“. Die rechtsextreme Raumnahme und Machtdemonstration wird das neue Normal. Unter diesen Umständen sind CSDs zwar möglicherweise „friedliche Veranstaltungen“ – aber deshalb trotzdem noch lang keine sicheren. Jede Person, die für Gleichstellung und Akzeptanz, gegen Gewalt und für queere* und trans* Rechte auf die Straße geht, beweist Mut. Mut, der vor ein paar Jahren so noch nicht nötig war. Was einst als safer space galt, wird vor allem für trans* und queer* gelesene Menschen zunehmend zum Ort der Bedrohung – nicht nur während des CSDs, sondern auch auf der An- und Abreise. Veranstalter*innen und Engagierte vor Ort sind wieder auf sich gestellt, sobald der CSD vorbei ist und seine (über-)regionale Aufmerksamkeit von außen nachlässt. Insbesondere in kleineren Städten, in denen man sich gegenseitig kennt, kommt es oft zu Bedrohungen, Einschüchterungen und Gewalt durch die lokale Neonazi-Szene.

Professionalisierung der rechtsextremen Mobilisierung

Die Mobilisierung gegen die CSDs hat sich in den letzten Monaten massiv professionalisiert. Rechtsextreme Jugendgruppen, die immer mehr Follower und Aufrufe erhalten, nutzen ihre Reichweite auf Social Media für eine organisierte Bewerbung ihrer Veranstaltungen. Sie verwenden dieselben Layouts sowie Slogans und fluten damit ihre Infokanäle und Accounts.

Zur Demonstration gegen den CSD in Bautzen organisierten Neonazis aus dem erweiterten Umland eine gemeinsame An- und Abreise und ein prominent besetztes Bühnenprogramm. Zwei rechtsextreme Szenegrößen, Proto und Kavalier vom rechtsextremen Raplabel „Neuer Deutscher Standard“, begleiteten den rechtsextremen Aufmarsch mit Livemusik. Eine solche Organisation im Vorfeld trägt nicht nur zur Mobilisierung bei und senkt die Hemmschwelle zur Teilnahme. Bereits auf dem Hinweg konnten die angestachelten Rechtsextremen ihren Hass gemeinschaftlich und selbst ermächtigt in die Tat umsetzen. Pöbeleien und Bedrohungen gegen CSD-Teilnehmende wirken identitätsstiftend nach innen und bedrohlich nach außen. „Angstfrei sind hier die wenigsten“ dokumentiert ein MDR-Reporter am Rande des CSD-Bautzen.

Letztes Jahr standen hier rund 1.000 Teilnehmende fast 700 Rechtsextremen gegenüber. Der Aufmarsch in Bautzen war eine der größten rechtsextremen Gegenveranstaltungen der CSD-Saison 2024. Der Vorfall erzeugt ein großes mediales Echo und ist einer der prägenden Angriffe Rechtsextremer im Jahr 2024. Bereits am Tag davor ist eine geplante Abschlussparty abgesagt worden – aus Angst vor rechtsextremen Demonstrationen.

Auch in diesem Jahr eskalierte die Gewalt. Bei der Abreise wurden Journalist*innen und CSD-Teilnehmende von einer Gruppe Neonazis bedroht, geschlagen und getreten. Trotzdem scheiterten die rund 500 vor Ort anwesenden Nazis daran, eine Drohkulisse wie 2024 aufzubauen. 4.000 Menschen konnten ein kraftvolles Zeichen für ein queeres Hinterland und damit demokratische Räume setzen.

Wird Magdeburg das neue Bautzen?

Nach Bautzen konzentriert sich die Mobilisierung der Neonazis schnell auf einen neuen Ort: Magdeburg. Hier finden am 23. August der CSD, aber auch eine Gegendemonstration gegen den „LGBTQ+ Zirkus“ statt, wie rechtsextreme Jugendorganisationen auf Telegram schreiben. Nach Magdeburg wird ebenfalls mit rechtsextremen Szenegrößen und Neonazikadern gelockt: Phil von Flak tritt auf, stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei Die Heimat sowie Mitglied der Rechtsrockband FLAK. Der bereits mehrfach verurteilte Neonazi Sven Skoda hält eine Rede. Auch eine nicht näher beschriebene, als „Aktivistin“ bezeichnete Person wird als Rednerin angepriesen. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich hierbei um die verurteilte Rechtsextreme Marla-Svenja Liebich handelt. Erst kurz vor dem bevorstehenden Haftantritt ließ Liebich ihren Geschlechtseintrag von männlich zu weiblich ändern, um das Selbstbestimmungsgesetz verächtlich zu machen.

Ob die Mobilisierungsstrategie fruchtet, wird sich in Magdeburg zeigen. Die Zahl der Teilnehmenden an der rechtsextremen Gegendemonstration in Bautzen hat sich im Vergleich zum Vorjahr halbiert –  ein Etappensieg der demokratischen Zivilgesellschaft, die trotz der massiven Bedrohungslage und erschreckender Bilder vergangener CSDs den Mut gefunden hat, zu bleiben, mitzumachen und laut zu sein.

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