Ausgezeichnet
Ein Raum für Solidarität: Kulturwerkstatt Geithain e.V.
Der Sächsische Förderpreis für Demokratie 2022 geht an Kulturwerksatt Geithain e.V.

Die Chemnitzer Band Kraftklub singt auf ihrem aktuellen Album „Und Nazis raus ruft es sich leichter - Da wo es keine Nazis gibt“. Es geht um Ostdeutschland, und diese beiden kleinen Zeilen beschreiben genau das, was jeder, der sich als Antifaschist im Osten der Republik engagiert nur allzu gut nachvollziehen kann.
Geithain ist eine kleine Stadt südlich von Leipzig und hat, wie viele andere Gebiete in Sachsen, ein massives Problem mit Rechtsextremismus. Das verstörendste allerdings ist, dass die Grenzen zwischen wirklich radikalen und gewaltbereiten (Neo-) Nazis und der sprichwörtlichen Mitte der Gesellschaft mehr und mehr zu verschwimmen scheinen. Gewachsene rechte Strukturen haben sich mittlerweile so etabliert, dass viele „ganz normale Leuten“ es nicht mehr befremdlich finden, wenn (Neo-) Nazis durch die Straßen ziehen und offen und voller Stolz krude Inhalte propagieren, von denen wir eigentlich geglaubt hatten, dass sie schon lange der Vergangenheit angehören. Diese Aufmärsche oder auch die Patrouillen von so genannten „Bürgerwehren“, die offenen, oft gewalttätigen Einschüchterungsversuche Andersdenkender bis hin zu den Schändungen von Stolpersteinen - all das scheint mittlerweile erschreckend normal geworden zu sein, und dagegen müssen wir uns wehren.
Genau das macht die KULTURWERKSTATT GEITHAIN. Im Jahr 2017 haben 25 Aktivist*innen beschlossen, sich der rechten Dominanz-Kultur in ihrer Stadt entgegen zu stellen. Nachdem im Sommer des Vorjahres das Kinder- und Jugendhaus R9 geschlossen worden war, haben diese Leute einen Plan geschmiedet: Es ging um den Aufbau eines soziokulturellen Jugendzentrums, es ging und geht aber vor allem darum, die Räume zurück zu erobern, die in den letzten Jahren mehr und mehr von Rechtsextremist*innen, Querdenker*innen, so genannten Reichsbürgern oder Freien Sachsen besetzt worden waren.
Ja - ich weiß - mancher mag jetzt sagen: Du kannst doch nicht all diese Leute gleich als (Neo-) Nazis bezeichnen - viele sind ernsthaft besorgt, haben einfach nur Angst vor der Zukunft und wollen sich deswegen wehren. Ganz ehrlich: Wir haben diesen Menschen lange genug zugehört, wir haben lange genug versucht sie zu verstehen, währenddessen sie sich mehr und mehr radikalisieren konnten. Deshalb ist es wirklich höchste Zeit, dass wir ganz klar sagen: Jeder und Jede, der/die mit (Neo-) Nazis marschiert, muss sich gefallen lassen, auch so bezeichnet zu werden, und wir als Zivilgesellschaft haben die demokratische Pflicht uns diesen Menschen entschlossen entgegen zu stellen.
Die KULTURWERKSTATT GEITHAIN steht, was diesen Gedanken betrifft, sozusagen - und bitte verzeiht diesen martialischen Ausdruck - an vorderster Front, und wir sollten froh sein, dass es Menschen gibt, die sich furchtlos diesem Wahnsinn aussetzen - das ist alles andere als leicht. Nochmal: „Und Nazis raus ruft es sich leichter - Da wo es keine Nazis gibt“. In diesem Sinne:
Herzlichen Glückwunsch - macht bitte weiter und lasst euch nicht unterkriegen!
Sebastian Krumbiegel
Eine Nachbarschaft zeigt Flagge: Hausgemeinschaft Wartburgplatz
Ein Anerkennungspreis geht an die Hausgemeinschaft Wartburgplatz in Plauen

Es ist seit Jahren ein unsäglicher Trend. Rechte Parteien oder Einzelpersonen erwerben Land und Immobilien, überwiegend in kleineren Gemeinden, um dort Treffpunkte für Gleichgesinnte zu schaffen. In Plauen hat die Partei „III. Weg“ schon vor fünf Jahren ein Haus gekauft und dort ihr Hauptquartier eingerichtet. Von hier aus verbreitet sie nicht nur ihre rassistischen und völkischen Ideen, sie versucht auch in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. So bietet sie zahlreiche Freizeitaktivitäten an, wie Hausaufgabenhilfe, Kindernachmittage, Faschingsveranstaltungen, Selbstverteidigungskurse und Naturerlebnisse … nach ihrem Selbstverständnis natürlich nur für Deutsche.
Über die Jahre haben die Aktionen der Neonazis in Plauen zugenommen. Den Wartburgplatz unmittelbar in der Nähe ihres Hauptquartiers, haben sie als Aufmarschgebiet u.a. für ihre Fackelzüge auserkoren. Anfangs regte sich kaum Widerstand, die Stadt schien sich mit dem „III. Weg“ arrangiert zu haben. Doch 2019 hatten ein paar Anwohner*innen genug. Die Familien Adler, Richter und Bellmann wurden zum Motor kreativer Protestaktionen.
Ein Aufmarsch der rechtsextremen Kleinstpartei zum 1. Mai war genehmigt worden und rechtlich ließ sich nichts dagegen tun. Das wollte sich die Hausgemeinschaft nicht gefallen lassen. Spontan motivierten sie weitere Anwohner*innen und gemeinsam malten sie direkt vor Ort Plakate für eine bunte Gesellschaft. Anschließend wurden die Banner rund um den Platz an viele Häuser gehängt, argwöhnisch beobachtet vom „III. Weg“. Als schließlich die Polizei kam, musste die Plakataktion spontan als Demonstration angemeldet werden. Es war der Startpunkt für viele weitere Aktivitäten gegen die Rechtsextremen. Ungefährlich ist das nicht. Immer wieder kommt es zu Bedrohungen durch Parteianhänger*innen.
Trotzdem zeigt die Zivilcourage der Familien Wirkung. Die Stadt hat reagiert und in der Mitte des Wartburgplatzes ein großes Blumenbeet angelegt. So soll ein Betreten oder demonstrieren verhindert werden. Außerdem konnten immer mehr Plauener*innen bewegt werden, sich dem „III. Weg“ und seinen Aufmärschen entgegenzustellen. Inzwischen gibt es vielfältige und bunte Aktionen, oft auch in Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen. Zuletzt Anfang Oktober mit einem „Nachbarschaftscafé“ gegen einen Neo-Nazi Aufmarsch zum Wartburgplatz im Rahmen eines breiten Bündnisses unter dem Motto „Wir setzen bunte Punkte“.
Damit stellen sich die Familien Adler, Richter und Bellmann den subtilen Versuchen des „III. Weges“ entgegen, mit gemeinschaftlichen und sozialen Angeboten oder sogenannten „Mainstreamthemen“, in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Für ihre Aufmärsche fehlt ihnen zunehmend der Raum in Plauen.
Nicht nur beim Plakate aufhängen werden die Familien regelmäßig von Parteianhänger*innen beobachtet. Doch sie zeigen Zivilcourage und lassen sich nicht einschüchtern. Mit Kreativität und Ausdauer kommt mitten aus der Gesellschaft ein lautes und deutliches Zeichen für Demokratie und Toleranz. Die Familien wollen Rechtsextremen in Plauen keinen Raum geben. Durch ihre Aktionen möchten sie weitere Menschen motivieren, Gesicht zu zeigen. In der Stadt ist das inzwischen angekommen. Das zeigt u.a. das breite Bündnis, das sich am 2. Oktober den rechten Hetzereien entgegengestellt hat.
Die Hausgemeinschaft Wartburgplatz Plauen wird dafür von uns ausgezeichnet. In Anerkennung für ihre Zivilcourage und als Ermutigung sich weiter für eine bunte, demokratische und tolerante Stadtgesellschaft einzusetzen.
Arno Köster
Raus aus der Schule - rein ins Station! : Fanprojekt Dresden e.V.
Ein Anerkennungspreis geht an Fanprojekt Dresden e.V.

Raus aus der Schule – rein ins Stadion! Im Lernzentrum „Denk-Anstoß“ – einem der außergewöhnlichsten Lernorte Dresdens – geht es um die Förderung sozialer und demokratischer Kompetenzen.
Seit September 2010 werden Themen wie Gewalt oder Diskriminierung gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern lebensweltnah diskutiert und bearbeitet. Im Mittelpunkt stehen die Anziehungskraft des Stadions und die Faszination für den Fußball. Die Frauenfußball Europameisterschaft im Jahr 2022 hat nochmal gezeigt, dass Fußball nicht nur bei Jungs gut ankommt.
Das Dreieck “Fußball - Sozialarbeit - Schule” sorgt für ein niedrigschwelliges Angebot für alle Schülerinnen und Schüler. Über die handlungs- und lebensweltorientierten Angebote werden auch so genannte bildungsferne und sozial benachteiligte Jugendliche erreicht.
In den angebotenen Workshops werden wichtige Fähigkeiten und Fertigkeiten für ein demokratisches Miteinander vermittelt. Teilnehmende erfahren beispielsweise, warum Regeln wichtig sind und was hinter dem Begriff des Fair Plays steckt: in jedem Fall mehr als nur ein Slogan!
Aus meiner eigenen Jugend weiss ich, welche Faszination Fußball haben kann. Nicht nur habe ich jede Hofpause Fußball gespielt (damals noch als einziges Mädchen) und war an vielen Wochenenden im Weserstadion. Auch habe ich in den fast 10 Jahren, in denen ich im Verein gespielt habe, viele Freundinnen gefunden, war in einer Gruppe mit Gleichgesinnten auf Turnieren und bei Punktspielen und habe viele unterschiedliche Frauen und Lebenssituationen kennengelernt. Insbesondere gilt das für die zwei Jahre, die ich in der Sächsischen Frauenverbandsliga gespielt habe.
Der Bedarf an Präventionsangeboten – aber vor allem auch an Angeboten an denen Kinder, Jugendliche und Erwachsen “einfach nur” zusammenkommen – ist nach der Corona-Pandemie nochmal erheblich angestiegen: Viele Jugendliche haben ihre Freizeitaktivitäten nicht wieder aufgenommen bzw. haben sich in der Zeit umorientiert, aber noch nichts neues für sich gefunden.
Ich wünsche dem Fanprojekt Dresden e.V., dass sie ihre Arbeit noch möglichst lange fortsetzen können. Dass sie mit vielen weiteren Kindern, Jugendlichen und auch Pädagogen über das Fair Play im Leben diskutieren. Mein Respekt gilt den Mitarbeitenden vor Ort, die sich immer wieder auf neue Personen und damit Herausforderungen stellen!
Kai-Friederike Oelbermann
Onlineberatung für Menschen mit Behinderung: Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V.
Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen erhält einen Anerkennungspreis
Hilfe ist einen Klick entfernt mit dem Projekt "Onlineberatung zu Antidiskriminierung mit Schwerpunkt auf Behinderung"
Laut einer Umfrage der Aktion Mensch und YouGov, die im Sommer 2019 durchgeführt wurde, haben rund 60 Prozent der Menschen, die eine Behinderung, eine chronische Krankheit oder eine Erkrankung der Psyche haben, Diskriminierung im Alltag erfahren, zum Beispiel durch rücksichtsloses Verhalten von Mitmenschen. Von direkter verbaler Belästigung, Beleidigung oder Beschimpfung berichteten derweil rund 41 Prozent der Befragten. Und auch beim Antidiskriminierungsbüro Sachsen stehen 27 Prozent aller Anfragen in Zusammenhang mit Behindertenfeindlichkeit.
Ableismus ist eine verbreitete Diskriminierungsform, für deren Bewältigung den Betroffenen mit dem Projekt Onlineberatung zu Antidiskriminierung mit Schwerpunkt auf Behinderung des Antidiskriminierungsbüros Sachsen eine wirksame Unterstützung angeboten wird. Die Onlineberatung für Menschen mit Behinderung berät in konkreten Einzelfällen von Diskriminierung in Sachsen, stärkt Betroffene und unterstützt sie darin, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen.
Die Beratung online durchzuführen, nimmt die spezifischen Bedürfnisse der Zielgruppe besonders in den Blick: Eine Inanspruchnahme des Angebots kann ohne die Nutzung des barrierevollen öffentlichen Nahverkehrs auskommen, eine Überanstrengung durch Reize kann vermindert werden und eine unkomplizierte Zuschaltung von Gebärdendolmetschung ist jederzeit möglich.
Neben der konkreten Beratung für Betroffene nimmt das Projekt aber auch die Teile der Gesellschaft in den Blick, die nicht von Ableismus betroffen sind und klärt mit einer breit angelegten Kampagne auf: So sind bei einer Fotokampagne zu Ableismus in Sachsen die Betroffenen selbst zu sehen. Die Abgebildeten wurden sowohl bei der Entwicklung der Motive als auch bei den begleitenden Sprüchen mit eingebunden.
Mit der Nominierung zum sächsischen Förderpreis soll das wichtige Angebot des Antidiskriminierungsbüros Sachsen in besonderer Weise gewürdigt werden.
Die Onlineberatung für Menschen mit Behinderung schließt eine Lücke in der Antidiskriminierungsberatung. Es bestärkt Menschen durch ein niedrigschwelliges Angebot und erleichtert den Zugang zu psychosozialer Beratung, zur Beschwerdeführung bis hin zur Vermittlung von rechtlichem Beistand.
Wir wünschen dem Antidiskriminierungsbüro Sachsen weiterhin viel Erfolg für ihre so wichtige Arbeit und alle Kraft beim Kampf gegen Diskriminierung.
Stefan Vogt
Eine starke Stimme Stimme der Zivilgesellschaft: Freiberg für Alle
Freiberg für Alle erhält einen Anerkennungspreis

Freiberg ist eine Stadt mit rund 40.000 Einwohner*innen im Landkreis Mittelsachsen. Es beherbergt u.a. eine Universität und hat eine reiche Geschichte im Bergbau. In Freiberg leben viele Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Religionen zusammen und bestreiten das alltägliche Leben. Um das friedvolle und respektvolle Zusammenleben zu unterstreichen, gründete sich bereits im Juni 2019 die Initiative „Freiberg für Alle“. Dies war auch eine Reaktion auf die Ergebnisse der sächsischen Kommunalwahlen, bei denen die rechtsradikale AfD 22% der Stimmen im Landkreis Mittelsachsen und auch bei den Stadtratswahlen in Freiberg erringen konnte. Die Initiative bestand und besteht aus vielen ehrenamtlichen Bürger*innen der Stadt und Region. Sie organisieren gemeinsam Veranstaltungen und Aktionen und starten immer wieder Kampagnen zur Sichtbarmachung des vielfältigen und toleranten Freibergs. Eine besonders beeindruckende Aktion kann man bis heute auf der Webseite (www.freibergfueralle.de) anschauen. Dort haben sich 100 Bürger*innen der Stadt beteiligt und ihr Gesicht für ein Video gespendet. Unter dem Motto „Freiberg für alle – Das sind wir“ und dem Hashtag #gesichtzeigen sind die Menschen in rund vier Minuten zu sehen sowie mit Bild und eigenem Statement auf der Webseite dokumentiert. Die Existenz einer solchen vitalen und starken Zivilgesellschaft ist ohne Zweifel eine wichtige Institution, wenn Krisen auf eine Stadtgesellschaft treffen. Das war und ist der Fall, wenn Freiberg Geflüchtete aus Bürgerkriegs- oder Krisenländern aufnahm und besonders zeigte sich dies in den Pandemiejahren 21 2020-2022. Auch in Freiberg gingen in dieser Zeit immer wieder unterschiedliche Personen und Gruppen gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße. Dabei kam es mehrmals zu Übergriffen auf Polizist*innen oder Journalist*innen. An den Demonstrationen beteiligten sich regelmäßig auch Rechtsextreme, wie beispielsweise Anhänger*innen der Kleinpartei „Freie Sachsen“. Zudem waren die Demonstrationen auch ein Ort für das Verbreiten von gefährlichen Desinformationen und Verschwörungsideologien. Die Engagierten von „Freiberg für Alle“ veröffentlichten regelmäßig Stellungnahmen auf ihrer Webseite, in denen beispielsweise für den gesellschaftlichen Zusammenhalt geworben wurde oder Artikel, die gefährliche Falsch-Informationen zu den Impfungen richtigstellten. Wohl auch aufgrund der stärker und aggressiver werdenden Demonstrationen im Herbst 2021 schrieb die Initiative einen Offenen Brief und richtete sich damit an die Freiberger Bürger*innen. In diesem warben sie nicht nur für die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen, um beispielsweise die Arbeit der Krankenhäuser zu erleichtern, auch zeigten sie klare Kante gegen die Agitation der Rechtsextremen in Freiberg. Bis heute (14.10.2022) haben den Brief 5331 Menschen unterschrieben. Diese Aktion ist vorbildlich, um mit einem stilvollen Mittel zu zeigen, dass die Menschen in Freiberg mit den laufenden Demonstrationen nicht einverstanden sind. Außerdem machen diese Aktionen Mut, sich zu äußern, weil man sich mit seiner Meinung nicht mehr länger allein fühlen muss. Und so wurde die Freiberg Aktion auch zum Anlass für weitere Aktionen in anderen sächsischen Städten. Initiativen wie „Bautzen gemeinsam“ oder „Zwönitz – Miteinander - Füreinander“ veröffentlichten ebenso Briefe und Petitionen und riefen zu eigenen Aktionen auf. Die Initiative „Freiberg für Alle“ wird damit nicht nur für ihr großartiges Engagement in Freiberg gewürdigt, sondern auch, weil sie damit viele andere Menschen in Sachsen inspirierte.
Benjamin Winkler
Wie aus Geflüchteten Freunde werden: Bürgerinitiative Mark Schönstädt
Ein Anerkennungspreis geht an die Bürgerinitiative Mark Schönstädt

Im Januar 2022 hatte sich die Zahl der Bewohner eines Dorfes östlich von Leipzig von einem Tag auf den Anderen um ein Drittel vergrößert. Der Landkreis verfügte im Weiler Mark Schönstädt über eine geräumige Immobilie und quartierte dort fünf Familien, insgesamt 57 Personen, ein. Es waren Geflüchtete aus Georgien, Libyen, Afghanistan und Iran. Dieser beachtliche Zuzug traf das Dorf unvorbereitet. Die Behörden, so hieß es, hätten eine Gemeindeversammlung abhalten wollen, aber aus Mangel an Eigenen Informationen wurde sie verschoben.
Wer aber kam war die AFD. Schon drei Tage später. Mit 40 Personen. Auch sie hatten keine Kenntnis von diesen Schutzsuchenden, deren Motiven, deren Strapazen der Flucht, deren Heimat und deren akuten Bedürfnissen. Aber als Berufsprotestler wussten sie eines, sie sind dagegen. Gegen diese Neuankömmlinge und alle zukünftigen. So rückten sie bereits am ersten Wochenende mit einem Flyer “ Asylflut in Mark Schönstädt stoppen“ an. Doch einige Menschen vor Ort reagierten prompt. Und es begann etwas, was auch andernorts erfolgreich erprobt worden war. Ein Gegenprotest auf Bettlaken, ein bürgerlicher, mutiger Widerstand: „Kein Asyl für AfD! AfD raus!“ Mutig deshalb, weil noch nicht klar war, wie die Dorfgemeinschaft selber auf die alle überrumpelnde Herausforderung reagieren würde. Die Antwort der angereisten AfD ließ nicht lange auf sich warten. Aus ortsfremder PKW‘ s heraus wurde das Transparent heruntergerissen. Aber nur, um umgehend wieder aus dem Dorf ersetzt zu werden. Eine Zweckentfremdung von Bettwäscher der besonderen und besonders sympathischen Art!
Zugleich aber lief im Ort eine praktische Hilfswelle an auch ohne behördliche Unterstützung. Zunächst stellten sich Dorfbewohner am Sonntag schützend vor die Unterbringung der Geflüchteten. Diese stille Aktion hatten sie sogar zügig ganz offiziell angemeldet. Ihre Botschaft: die Haltung der rechtsextremen Partei ist hier nicht mehrheitsfähig. Und dann begann eine beispielhafte Solidaritätskampagne. Man wartete nicht auf die Versammlung vom Landratsamt, angekündigt für Anfang Februar. Man ging ganz praktisch die Aufgabe an und schaute, was kann als Gemeinschaft geleistet werden. Denn jeder hier kennt die desolate Situation abgehängt zu sein, über keine Infrastruktur zu verfügen. Es hält keine Bahn, es praktiziert kein Arzt, es gibt keine Schule, keine Einkaufsmöglichkeit, kein Café.
Da ist es eine glückliche Fügung, dass Conny Hanspach, eine Mitarbeiterin bei der Stadt Wurzen, eine der treibenden Kräfte wurde. Sie organisierte erst einmal tägliche Treffen einer Handvoll Bürgern mit den Familien. Es entstanden feste Termine: mittwochs Deutschkurs, donnerstags Spielen mit Kindern. Das Ziel, über diese Familienaktionen in zwei Richtungen zu wirken, in die neue und die ansässige Gemeinschaft. Im Wohnblock selber entstand ein Gemeinschaftsraum für alle, und ein eigenes Testzentrum, es bildete sich eine WhatsApp-Gruppe zur schnelleren Absprache, es wurden Dinge des täglichen Bedarfs gesammelt, vom Elektrokocher bis zu diversen Kindersachen bis hin zu Fahrrädern.
Inzwischen ist daraus eine richtige Dorfinitiative geworden mit 40 Mitgliedern. Durch die vielen gemeinsamen Gespräche in der Unterkunft und den gemeinsamen Aktivitäten im Ort konnten Ressentiments und Ängste auf beiden Seiten abgebaut werden. Und wie es scheint verpufft hier auch die Propaganda der AfD.
Helga Dierichs
Zur kritischen Reflexion medialer Stereotype: Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.
Den Peter-Henkenborg-Preis für die Didaktik der politischen Bildung der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf. e.V. für die Materialbox "Macht und Medien"

Wir wissen alle, dass Sachsen unter den deutschen Bundesländern leider nicht als starker Akteur im Kampf gegen Rassismus bekannt ist. Viele von uns hören das von Kolleg*innen, manche von Freund*innen und einige erleben das selbst fast jeden Tag. Aus meiner Arbeit mit bedrohten Medienschaffenden aus unterschiedlichen Ländern, die wir nach Leipzig ins Schutzprogramm bringen, weiß ich, wie oft Menschen mit Einwanderungsgeschichte in ihrem Alltag Rassismus erleben. Ich betone – wir bringen sie ins Schutzprogramm – und vielleicht schützen wir sie vor einer Art von Bedrohung, dabei sind sie hier in Sachsen sehr oft neuen Bedrohungen ausgesetzt – vor allem rassistischen Diskriminierungen. Die passieren in staatlichen Behörden, in Geschäften, in der Straßenbahn, in einer Bar – überall. Das ist nicht zu tolerieren und das darf nicht so bleiben.
Umso mehr freut es mich, dass es in Sachsen Initiativen gibt, die den stetigen Kampf gegen rassistischer Diskriminierung führen. Heute habe ich die Ehre den „Peter-Henkenborg-Preis“ an ein Projekt des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V. Leipzig zu verleihen. Der Verband bietet schon seit 30 Jahren Beratungs-, Begleitungs- und Bildungsangebote zu Migration, Diskriminierung, Diversität und Empowerment an. Sein Fokus liegt auf der Stärkung migrantischer Selbstorganisationen und -vertretungen. Initiativen wie der Verband binationaler Familien und Partnerschaften spielen mit ihrer unermüdlichen Arbeit eine zentrale Rolle für die Veränderung der Diskriminierungslage in Sachsen und in Deutschland.
Offenkundig fehlt muslimischen Jugendlichen eine positive Narration der sächsischen Migrationsgesellschaft und antimuslimischer Rassismus stellt eine bedeutende Herausforderung für die sächsische Zivilgesellschaft dar. Deshalb hat der Verband binationaler Familien und Partnerschaften in Kooperation mit der Akkon Hochschule Berlin und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt das heute ausgezeichnete Projekt entwickelt. Es umfasst eine Materialbox, die „Macht und Medien“ heißt.
Durch drei Übungen – „Bilder“, „Wörter“ und „Zeiten“ – wird eine rassismuskritische Perspektive eingeübt, um damit die Konstruktionen des „muslimischen Anderen“ zu reflektieren. In der Übung „Bilder“ werden mediale Stereotype von Muslim*innen gezeigt und problematisierend reflektiert. In der Übung „Wörter“ rücken sprachliche Ausdrücke der antimuslimischen Stereotypisierung aus den Medien in den Vordergrund. In der Übung „Zeiten“ wird die mediale Darstellung historischer Ereignisse der migrantischen Gesellschaft rassismuskritisch aufgegriffen. Die Konzeption beruht auf rassismuskritischen, postkolonialen und migrationspädagogischen Ansätzen und orientiert sich explizit an migrantisch situiertem Wissen.
Diese innovative Bildungsmethode ist aus meiner Sicht für alle Alters- und Interessengruppen geeignet. Sie schult kritisches Denken, sie sensibilisiert unter anderem Medienschaffende in Deutschland für das Thema antimuslimischer Rassismus und hinterfragt den Einfluss medialer Berichterstattung auf die Rezipient*innen.
Meine herzliche Gratulation, großer Respekt und Dankbarkeit für ihre Arbeit gehen heute an den Verband binationaler Familien und Partnerschaften!
Alina Toropova
Eine Kommune als Partner der Zivilgesellschaft: Stadt Zittau
Die Stadt Zittau erhält den Titel "Kommune der Demokratie"

Selten ließ sich die Absurdität der Corona-Leugnung so auf den Punkt bringen. Durch Zittau zog eine Prozession mit leeren Särgen auf dem Ring um die Stadt, die laut rufend fragte: „Wo sind die Toten?“, während das Zittauer Krankenhaus seit Wochen immer wieder eine übervolle Leichenhalle meldete. Im Hochwasserstützpunkt der Stadt mussten die Leichen gestapelt werden, weil die Krematorien in ganz Sachsen nicht mit der Einäscherung hinterherkamen. Während viele Zittauer*innen die Proteste und Demonstrationen der Corona-Leugner*innen ignorierten, hielt die Stadtspitze dagegen. Bürgermeister Thomas Zenker flehte, bettelte und diskutierte in den sozialen Netzwerken doch selbst nachzurechnen, die Übersterblichkeit in Zittau anzuerkennen und sich zu schützen. Während man anfangs noch die Corona-Maßnahmen kritisieren und infrage stellen konnte, wurde später immer deutlicher, dass es gar nicht mehr um die Maßnahmen an sich ging, sondern um eine Infragestellung der demokratischen Ordnung. Die Corona-Proteste waren vollständig von Antidemokrat*innen, Verschwörungsideolog*innen und Rechtsextremen vereinnahmt worden.
Doch der Reihe nach. Ab 2020 versammelten sich auch in Zittau Personen zu so genannten Spaziergängen, Mahnwachen oder Demonstrationen, um gegen die Corona-Politik oder eine angebliche Verschwörung hinter der Pandemie zu demonstrieren. Solche Ereignisse stellen eine Herausforderung für die Zivilgesellschaft, aber auch für die kommunale Verwaltung dar. Einerseits ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sehr wichtig, andererseits galt es besonders in den Pandemiejahren umsichtig zu sein, um beispielsweise eine Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zu verhindern. Die Stadt Zittau und ihre Bewohner*innen standen, wie viele andere Kommunen in Sachsen, vor der Frage, wie man auf die Proteste reagieren sollte. Die Rathausspitze entschied sich, Haltung zu zeigen und mit Verantwortung voran zu gehen. So wurden beispielsweise Dialogveranstaltungen angeboten, bei denen auch lokale Wissenschaftler*innen, Ärzte oder andere Fachkräfte eingebunden wurden. Außerdem förderte die Stadt das Engagement zur Aufklärung über Desinformationen und Verschwörungsideologien. Im Herbst 2021 gründete sich das Bündnis „Zittau gemeinsam“. Der Bürgermeister unterschrieb als einer der ersten die Petition des Bündnisses. Als ein Highlight des Engagements von „Zittau gemeinsam“ und der Stadt Zittau wurde die Aktion „Licht aus“ entfaltet. In dieser wurde die Weihnachtsbeleuchtung während der „Spaziergänge“ abgeschaltet. Auf diese Weise wurde verhindern, dass die Stadtkulisse für die Propaganda der Corona-Leugner*innen oder Corona-Verharmloser*innen genutzt werden konnte.
Nach Meinung der Jury des sächsischen Demokratieförderpreises gebührt dem vorbildlichen Handeln der Stadt Zittau und der Initiative „Zittau gemeinsam“ Respekt, Anerkennung und Dank für ihre Auseinandersetzung mit antidemokratischen Haltungen und rechtsextremen Bestrebungen. Dafür zeichnet die Jury die Stadt mit dem Kommunalpreis 2022 des Demokratiepreises aus.
Timo Reinfrank