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Aktionswochen gegen Antisemitismus

LOBBI e.V. (Landesweite Opferberatung – Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern)

LOBBI e.V. (Landesweite Opferberatung – Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern): Der LOBBI e. V. (Landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern) unterstützt Menschen, die von rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt betroffen sind. Er bietet Beratung, Begleitung und Vernetzung an, um Betroffenen bei der Bewältigung von Angriffen und deren Folgen zu helfen.

„Der Wahlsieg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern zeigt die wachsende Normalisierung rechter Positionen und die Auswirkungen auf die Gesellschaft und insbesondere auf von rechter Gewalt Betroffene. Faktoren wie die Instrumentalisierung von Krisen, Schwäche demokratischer Parteien und populistische Strategien in sozialen Medien begünstigten diesen Erfolg. Jugendliche radikalisieren sich zunehmend über digitale Plattformen wie TikTok. Es braucht jetzt eine klare Abgrenzung, entschlossenes Vorgehen gegen rechtsextreme Netzwerke, langfristige Unterstützung demokratischer Initiativen und politische Bildung mit Haltung.

War der Wahlsieg der AFD abzusehen?

Zumindest sollte er nicht überraschen. In Mecklenburg-Vorpommern kann die Partei, wie vielerorts in Ostdeutschland, von längerfristigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen profitieren. Über Jahrzehnte gewachsene und durch die extreme Rechte, bis 2016 zumeist NPD und sogenannte Freie Kameradschaften, gepflegte Narrative werden von ihr dankbar übernommen. Zudem versucht sie, das Gefühl von Vernachlässigung und Entfremdung vieler Menschen in Ostdeutschland zu instrumentalisieren. Seit der Corona-Pandemie wurde dieser Effekt zusätzlich verstärkt und die Partei war (mal mehr, mal weniger offen) stets an vorderster Front, wenn es um die Instrumentalisierung der multiplen Krise ging. Ganz gleich, ob Pandemiebekämpfung, Krieg, Energiepolitik oder Migration.

Auch die Schwäche der demokratischen Parteien (strukturell wie inhaltlich) hat der AfD in die Hände gespielt. Eine deutliche Zuspitzung des öffentlichen Diskurses und in Folge dessen klare Verschiebung nach rechts haben ebenfalls dazu beigetragen – genau wie der wachsende Erfolg populistischer Strategien in den sozialen Medien.

Auch wenn es mit Blick auf Personal und Programmatik kaum weiter weg von der Wahrheit sein könnte, ist es die Partei geschickt angegangen, sich als Alternative zum „System“ zu präsentieren und sich als Stimme der vermeintlich „vergessenen Bevölkerung“ wahrgenommen zu werden.

Was bedeutet dieser Wahlsieg?

Wir sehen schon eine starke Signalwirkung – nicht nur in die parteipolitische Landschaft hinein, da sollte man vorsichtig sein, der Partei nicht weiter eine Allmacht herbeizureden – aber insbesondere für die demokratische Zivilgesellschaft und andere (potenziell) von rechter Gewalt Betroffene sind die Folgen jetzt schon erheblich. Die Diskursverschiebung stärkt nicht nur die extreme Rechte, sondern liefert auch ihre Feindbilder zusätzlich aus. Demokratische bzw. besser humanistische Werte werden zunehmend delegitimiert und eben auch jene, die dafür eintreten.

Die Normalisierung solcher Positionen – sei es durch fehlende Erwiderung, unverhohlene Unterstützung oder Reproduktion rechter Ideologeme – erschwert es, gegen Antisemitismus und Rassismus vorzugehen, da dies zunehmend als Teil eines abzulehnenden „Mainstreams“ wahrgenommen oder gar als vermeintlich „links“ geframed wird. Gesunder Menschenverstand als Feindbild.

Viele engagierte Menschen und Organisationen sind in der Folge massiv verunsichert und fühlen sich im Stich gelassen.

Habt ihr seitdem mit (einem Anstieg von) Anfeindungen zu kämpfen?

Unsere finale Statistik für das gesamte Jahr steht noch aus, aber wir haben bereits zum Halbjahr 2024 einen deutlichen Anstieg der Angriffszahlen feststellen müssen. Wir erklären das mit dem bereits erörterten Klima. Darin spielen grundsätzlich natürlich auch Wahlkämpfe und -ergebnisse eine erhebliche Rolle. Es gibt und gab Angriffe im Kontext des Wahlkampfes und es ließ sich feststellen, dass das Selbstbewusstsein der Täter*innen mit rechten Wahlerfolgen ansteigt, was in Gewalt umschlägt. Wir beobachten in diesem Zusammenhang eine Zunahme von Angriffen auf Gruppen und engagierte Einzelpersonen – seien es Initiativen gegen rechts oder queere Menschen und ihre Schutzräume.

Die grundsätzliche Zuspitzung des Diskurses ist allerdings ein Prozess, der bereits länger andauert und virulenter ist.

Hinzu kommt, dass ein großes Feld von Einschüchterungen und Anfeindungen kaum erfasst wird, außer vielleicht, wenn es zu einer Anzeige bei der Polizei kommt. Die Masse an Hasskommentaren, Diffamierungen und Hetzkampagnen – also das gesamte Vorfeld der Gewalt, die wir registrieren – wird nicht hinreichend abgebildet.

Sind neue Akteure in der letzten Zeit “aufgetaucht”?

Es lässt sich nicht unbedingt mit den Wahlen (Europa- und Kommunalwahlen in M-V) in Verbindung setzen, aber wir stellen fest, dass an vielen Orten vermehrt Jugendliche in Erscheinung treten, die außerhalb der organisierten Szene mobilisiert wurden und sich über Plattformen wie Telegram vernetzen und beispielsweise auf TikTok radikalisiert werden. Sie sind natürlich besonders anfällig für den beschriebenen „Ego-Schub“ nach rechtsextremen Wahlerfolgen.

Doch auch in der organisierten Neonazi-Szene gibt es (schon seit längerem) neue Versuche, kleinere, lokal Agierende zu vernetzen und Nachwuchs zu gewinnen, wie zum Beispiel durch den Dritten Weg im Landkreis Rostock und im östlichen Vorpommern.

Die Kultivierung rechtspopulistischer „Bürgerinitiativen“ während der Corona-Pandemie, die auf kommunaler Ebene etwa Stimmung gegen Geflüchtetenunterkünfte machen oder sich den Bauern- und Unternehmer-Protesten angeschlossen bzw. diese in Teilen gestellt haben, ist unter diesem Punkt ebenfalls von Bedeutung. Diese Gruppen hatten zwischenzeitlich eine enorme Dynamik und ein bemerkenswertes Mobilisierungspotenzial.

Wie war die Lage nach dem 7. Oktober 2023?

Infolge des Terrors der Hamas kam es in Mecklenburg-Vorpommern zu einer deutlichen Zunahme antisemitischer Vorfälle. Zwischen dem 7. Oktober und dem Ende des Jahres dokumentierte unser Monitoring-Projekt DIA.MV 35 Vorfälle, von denen fast die Hälfte einen direkten Bezug zum Konflikt hatten. Dazu zählten das gewaltsame Entfernen israelischer Flaggen, die als Solidaritätszeichen mit den Opfern des antisemitischen Massakers der Hamas gehisst wurden, volksverhetzende, terrorverherrlichende Aussagen und sogar Mordaufrufe im öffentlichen Raum.

Besonders erschreckende Beispiele waren die Nötigung eines jüdischen Gemeindemitglieds in Schwerin, eine palästinensische Flagge zu küssen, oder die antisemitischen Parolen wie „Tod den Israelis“ und „Sieg Heil“, die in Stralsund skandiert wurden. Diese Taten verdeutlichen, dass Täter*innen den Nahostkonflikt als Vorwand nutzten, um antisemitische Überzeugungen aggressiv auszuleben, die gar keinen Bezug zu Israel oder Palästina haben.

Trotz vergleichsweise weniger Demonstrationen und geringer Mobilisierung in Mecklenburg-Vorpommern – verglichen mit anderen Bundesländern – zeigt der Anstieg der Vorfälle, wie antisemitische Affekte in der Gesellschaft abrufbar bleiben. Die jüdischen Gemeinden spüren eine verstärkte Unsicherheit, selbst wenn direkte Angriffe auf Synagogen bisher ausblieben. Der erhöhte Polizeischutz vor Gemeindezentren wird zwar begrüßt, steht jedoch sinnbildlich für die allgegenwärtige Bedrohung.

Zusammenfassend zeigt sich, dass auch in Mecklenburg-Vorpommern der 7. Oktober ein Gelegenheitsfenster für antisemitische Taten bot – mit teils drastischen Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl jüdischer Menschen im Bundesland.

Warum hatte die AFD so viel Erfolg bei Jugendlichen?

Die AfD versteht es, jugendliche Zielgruppen über moderne Kanäle wie TikTok, Instagram und YouTube zu erreichen. Mit kurzen, prägnanten Botschaften und emotional aufgeladenen Videos gelingt es ihr, komplexe Probleme zu vereinfachen, Dinge aus ihrem Kontext zu reißen und sich als rebellische Gegenkraft zum „Establishment“ zu inszenieren.

Viele junge Menschen wachsen zudem in Umfeldern auf, in denen humanistische Werte nicht selbstverständlich gelebt werden. Demokratie ist häufig nicht mehr als eine Floskel, der kein Nutzen beigemessen wird. Das Leben in einer strukturschwachen Region, das Fehlen kultureller Angebote und die Abwanderung Gleichaltriger hinterlassen Lücken, die die AfD gezielt anspricht. Sie verspricht Halt und Identität – auch wenn dies auf rückwärtsgewandten und ausgrenzenden Ideologien basiert und die realen Probleme nicht löst. Die extreme Rechte insgesamt geht ganz gezielt in diese Lücken – Themen wie Migration oder Klimapolitik werden bewusst polarisiert, um Ängste und Ressentiments zu schüren und politisches Kapital daraus zu schlagen – ohne dass die Partei selbst ein Angebot hat. Man kann auch in Frage stellen, ob diese Absicht überhaupt besteht.

Warum ist der Rechtsruck so deutlich in Ostdeutschland zu sehen?

Dieser Frage sollten sich vor allem Sozialwissenschaftler*innen annehmen. Transformation, Demokratieferne, wirtschaftliche Stagnation sind die Stichworte der populärsten Erklärungsversuche. Wenige davon scheinen bisher jedoch hinreichende Antworten zu geben. Auch unbeantwortete Identitätsfragen und Frustrationen, die bei vielen Menschen zu einem gesteigerten Nationalismus und einem permanenten nach unten Treten führen, sind im Gespräch. Die AfD setzt überall dort an, gibt einfache Antworten vor und positioniert sich als Verteidiger*in einer vermeintlich „ostdeutschen Kultur“, was bei vielen Menschen resoniert.

Was erwartet und wünscht ihr euch von der Regierung/Zivilgesellschaft?

Unabhängig von Erklärungsversuchen, die allzu oft entschuldigend ins Feld geführt werden, braucht es eine klare Abgrenzung.

Klare und wirklich unmissverständliche Positionierungen gegen rechte Gewalt, ihre Täter*innen und geistige Brandstifter*innen, die auch mit Handlungen untermauert werden, sind längst überfällig. Politische Verantwortungsträger*innen und demokratische Parteien müssen mit einer Stimme sprechen. Unterschiedliche Signale oder Relativierungen menschenverachtender Positionen geben Rechtspopulisten unnötig Raum.

Sicherheitsbehörden und Politik müssen entschlossener gegen rechtsextreme Netzwerke vorgehen. Das betrifft sowohl die Strafverfolgung als auch die Offenlegung von Verbindungen zwischen der AfD und extremistischen Akteuren.

Die demokratische Zivilgesellschaft braucht diese Rückendeckung, anstatt als Nestbeschmutzer*in diffamiert zu werden. Die Mehrheitsverhältnisse sind vielerorts schon längst vor den Wahlen gekippt und nicht wenige Engagierte sind unter dem Druck der ständigen Anfeindungen bereits ausgebrannt.
Dazu gehört natürlich auch eine kontinuierliche finanzielle und strukturelle Unterstützung von Initiativen, Projekten und Programmen. Förderungen sollten mit Blick auf fragilere parlamentarische Mehrheiten langfristig angelegt sein, um nachhaltiges Engagement zu ermöglichen und „wetterfest“ zu machen.

Das Demokratiefördergesetz wäre eine Maßnahme gewesen, die auch den politischen Willen unterstrichen hätte, nicht nur Betroffene rechter Gewalt wirklich nachhaltig zu unterstützen, sondern auch die jahrzehntelange Erfahrung der Beratungsstellen zu würdigen. Dass dies jedoch von Teilen der Ampel-Koalition und der Opposition verhindert wurde, hat gezeigt, dass dieser Wille offensichtlich aktuell keine Mehrheit hat und die Arbeit der Projekte eben nicht wertgeschätzt wird. Das wird es in Zukunft erschweren, überhaupt noch Menschen zu finden, die unsere Arbeit machen können und wollen.

Politische Bildung braucht praktische und lebensnähere Ansätze. Für viele Menschen sind Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit jenseits der eigenen Freiheit und Gerechtigkeit ganz offensichtlich nur noch Worthülsen oder werden sogar ganz offen in Frage gestellt.“

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