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Zum Begriff ‚rechte Gewalt‘ und den Kriterien für eine Aufnahme als Todesopfer rechter Gewalt

Von den Pfadfinder*innen noch vor Corona gestaltet: Mauer zum Thema rechte Gewalt. Copyright: Bildwerk Rostock

Der Begriff „rechte Gewalt“

Mit dem Begriff „rechte Gewalt“ sind Gewalttaten gemeint, die auf Grundlage der Vorstellung einer Ungleichwertigkeit von Menschen begangen werden. Der Begriff wird in der Kriminologie, der Sozialwissenschaft, der Strafverfolgung, der Politik und der Zivilgesellschaft nicht einheitlich verwendet, auch die Bezeichnungen Hassgewalt, Hate Crime, politisch motivierte Kriminalität rechts, Hass- oder Vorurteilskriminalität sind geläufig – beziehen sich jedoch auf dasselbe Phänomen. Bei rechter Gewalt werden Täter*innen durch spezifische Einstellungen dazu motiviert, eine Gewalttat zu begehen. Diese Einstellungen sind nicht wahllos, sondern damit sind historisch gewachsene Abwertungsideologien im Sinne Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gemeint. Darunter fallen beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Autoritarismus, Chauvinismus, Antifeminismus, Nationalssismus, Homo- und Trans*feindlichkeit oder Sozialdarwinismus. Diese abwertenden Einstellungen bilden das Tatmotiv bei rechter Gewalt. Sie sind alle Wesenselemente des Rechtsextremismus, aber leider auch weit darüber hinaus in der Gesellschaft verbreitet. Die Zugehörigkeit der Täter*innen zum oder Selbstverortung im Rechtsextremismus ist deshalb keine Voraussetzung für rechte Gewalt. Rechte Gewalttaten werden ebenso von Menschen begangen, die sich selbst nicht als rechtsextrem betrachten und keine Berührungspunkte zu rechtsextremen oder neonazistischen Szenen oder Strukturen haben.

 

Betroffene rechter Gewalt werden wegen ihrer vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer (oder mehreren) der abgewerteten Gruppen angegriffen – weil sie den Täter*innen als jüdisch, homosexuell, migrantisch, politische*r Gegner*in, wohnungslos etc. erscheinen. Die Täter*innen übernehmen bei rechten Gewaltangriffen die Definitionsmacht über die Gruppenzugehörigkeit der Betroffenen. D.h. es ist nachrangig, ob ein Mensch sich selbst beispielsweise als homosexuell versteht. Wenn er den Täter*innen als homosexuell erscheint, dann bietet allein diese Wahrnehmung den Anlass für einen homofeindlich motivierten Angriff. Betroffene werden einer Gruppe häufig lediglich aufgrund äußerer Merkmale zugeordnet.

 

Weil rechte Gewalttaten auf abwertenden Einstellungen gegenüber gesellschaftlichen Gruppen basieren, gelten sie auch nie nur dem individuellen Opfer. Betroffene werden stellvertretend für eine ganze Gruppe „ausgewählt“, der einzelne Angriff ist immer auch ein Angriff auf die Gruppe als Ganze. Man spricht deshalb bei rechten Gewalttaten auch von Botschaftstaten, die Verunsicherung bei einer Vielzahl an Menschen auslösen können. Wird eine Person beispielsweise angegriffen, weil sie schwarz ist, dann können sich von diesem Angriff auch andere People of Colour mit adressiert, abgewertet und bedroht fühlen. Die Folgen rechter Gewalt unterscheiden sich somit von den Folgen anderer Formen der Gewaltanwendung.

Kriterien für eine Klassifikation als rechte Gewalttat

Zentrales Kriterium für eine Bewertung als rechte Gewalttat ist die zugrundeliegende Tatmotivation – nicht die politische Selbstverortung der Täter*innen. Die Tatmotivation bezieht sich auf die Einstellungsebene der Täter*innen, also auf einen inneren Vorgang. Um die Tatmotivation objektiv zu ermitteln, müssen deshalb verschiedene Aspekte berücksichtigt werden:

  • Die Zuschreibung einer rechten Tatmotivation durch Betroffene, Zeug*innen, die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder dem*der Richer*in. Täter*innen versuchen häufig, das „politische Tatmotiv“, wie es in der Strafverfolgung heißt, zu vertuschen – insbesondere, weil sich dieses nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vor Gericht strafverschärfend auswirken kann. Betroffene als Adressat*innen einer Gewalttat sowie Zeug*innen sind hingegen meist in der Lage, zu sagen, warum ein Angriff erfolgte. Ihre Perspektiven werden deshalb bei einer Klassifikation stärker berücksichtigt als die der Täter*innen
  • Die Umstände der Tat. Rechte Gewalt unterscheidet sich von anderen Formen der Gewaltkriminalität. Während viele Gewalttaten aus Bereicherungsmotiven (Raub etc.) oder Konflikten (Rache, Streit etc.) resultieren, ist bei rechter Gewalt die abwertende Einstellung die Ursache. Rechte Gewalttaten werden deshalb häufig spontan verübt und es sind oft keine anderen Ursachen neben dem „politischen“ Motiv erkennbar. Auch üblich ist, dass die Einstellung vor oder während der Gewalttat artikuliert wird, also beispielsweise rassistische Beschimpfungen fallen. Liegen diese Umstände vor, spricht das für eine rechte Tatmotivation.
  • Der Hintergrund der Täter*innen. Auch wenn die Täter*innen selbst keine Aussage zu ihren menschenfeindlichen Einstellungen machen, können diese trotzdem häufig ermittelt werden. Sind Angreifer*innen in rechtsextremen Strukturen oder Organisationen aktiv, sind sie in der Vergangenheit schon durch menschenverachtende Straftaten aufgefallen oder haben in irgendeiner Form Bekenntnisse zum menschenfeindlichen Einstellungen abgelegt, dann sind das Anhaltspunkte für eine rechte Tatmotivation.
  • Der Hintergrund der Betroffenen. Da rechte Gewalt auf Einstellungen basiert, die sich abwertend auf konkrete Gruppen beziehen, gibt auch die Gruppenzugehörigkeit der Gewaltopfer Aufschluss über die Tatmotivation. Bei einem Angriff auf beispielsweise Geflüchtete, Jüd*innen oder Trans*Personen sollte deshalb immer auch ein rechtes Tatmotiv in Betracht gezogen werden.
  • Die Beziehung zwischen Täter und Opfer. Typisches, wenn auch nicht ständiges Merkmal rechter Gewalt ist, dass zwischen Täter*innen und Opfern keine Beziehung bestand und diese sich nicht kannten. Die Opfer werden scheinbar zufällig als Stellvertreter*innen einer Gruppe ausgewählt, ohne das es vorher bereits Konflikte gab.

Bei der Bestimmung einer Tat als rechte Gewalttat zählt immer das Zusammenspiel all dieser Aspekte. Jeder Fall wird auf Grundlage dieser Kriterien individuell und gründlich bewertet.

 

Sind bei einer Gewalttat neben einem rechten Tatmotiv auch andere Tatmotive erkennbar, dann gilt eine Tat dann als rechte Gewalttat, wenn das rechte Motiv tateskalierend ist. Dies stellt einen Unterschied zu den Ermittlungsbehörden dar, die eine Tat nur dann als politisch werten, wenn das rechte Motiv tatauslösend war. Eine Straftat kann jedoch beispielsweise aus Habgier (z.B. Raub) begangen worden sein, aber trotzdem als rechte Gewalttat gelten, weil die Täter*innen sich bei der Tat rassistisch äußerten und in ihren rassistischen Ausfällen zu Gewalt gegriffen haben. Aufgrund der menschenfeindlichen Einstellung neigen rechte Gewaltäter*innen häufig dazu, spontan in einen Gewaltrausch zu fallen. So muss eine rechte Gewalttat von den Täter*innen gar nicht beabsichtigt gewesen sein. Es kann aber passieren, dass der Hass eine andere Straftat so eskalieren lässt, dass diese in Gewalt umschlägt. Dann war das rechte Motiv zwar nicht tatauslösend, aber tateskalierend.

 

Die hier genannten Kriterien sind angelehnt an die Kriterien der Erfassung politisch motivierter Kriminalität -rechts (PMK-rechts) des Bundeskriminalamtes und die Kriterien der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt. Dies lässt eine Vergleichbarkeit der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Zahlen zu rechter Gewalt zu.

 

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