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Aktionswochen gegen Antisemitismus

Prof. Dr. Jens-Christian Wagner: „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos: Schwere Zeiten in Thüringen“

Prof. Dr. Jens-Christian Wagner (Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Weimar)

Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora bewahrt die Erinnerung an die NS-Verbrechen in den ehemaligen Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora. Sie fördert Gedenk- und Bildungsarbeit in verschiedenen Ausstellungen auf dem Gelände, bietet historische Aufarbeitung und Forschung an und setzt sich für die Vermittlung von Demokratie und Menschenrechten ein

„Fast 33 Prozent der gültigen Stimmen entfielen bei der Landtagswahl in Thüringen auf die AfD. Für die Gedenkstätten war es ein bitteres Ergebnis. Notorisch verharmlosen Politiker der AfD die NS-Verbrechen und diskreditieren die Erinnerungskultur und damit auch die Arbeit in den Gedenkstätten als „Schuldkult“. Dahinter steht die geschichtsrevisionistische Legende, die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und die Würdigung ihrer Opfer dienten „fremden Mächten“, vorzugsweise “den Juden”, dazu, Deutschland kleinzuhalten bzw. seine „Selbstfindung“ zu verhindern, wie der Thüringer AfD-Chef Höcke im Sommer 2024 auf X schrieb. Höcke ist es auch, der ständig von „raumfremden Mächten“ raunt, die aus Deutschland vertrieben werden müssten. Raumfremde Mächte – das ist ein Begriff, den der NS-Staatsrechtler Carl Schmitt 1941 eingeführt hat, mitten im Zweiten Weltkrieg.

Dass die AfD ausgerechnet in Thüringen erstmals stärkste Kraft wurde, ist bitter und weckt historische Assoziationen, blicken wir historisch doch auf drei Thüringer Sündenfälle auf dem Weg zum NS-Staat: 1924 die erste Tolerierung einer bürgerlichen Minderheitsregierung durch Nationalsozialisten im Deutschen Reich, 1930 die erste Koalitionsregierung mit Nationalsozialisten und 1932 die erste NSDAP-geführte Landesregierung. Thüringen, von den Nazis als „Schutz- und Trutzgau“ bezeichnet, war für die NSDAP ein Experimentierfeld und Sprungbrett auf dem Weg zur Macht in ganz Deutschland.

Nun ist die AfD trotz aller ideologischen Ähnlichkeiten keine NSDAP 2.0, zumindest noch nicht. 2024 ist nicht gleich 1933. Die Unterschiede liegen aber weniger in der Programmatik der beiden Parteien als im historischen Kontext. Die Weimarer Republik stand nicht nur unter Beschuss durch die NSDAP, sondern auch von links, nämlich durch die stalinistische KPD. Diese Gefahr gibt es heute nicht. Der zweite Unterschied: Weimar war eine Republik ohne Republikaner. Heute stehen die meisten Menschen in Deutschland und auch in Thüringen fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Vergessen wir nicht: 70 Prozent der Thüringer haben die AfD nicht gewählt. Der dritte Unterschied: Anfang der 1930er Jahre herrschte in Deutschland infolge der Weltwirtschaftskrise blanke Not. Heute geht es – bei allen Problemen – den meisten Deutschen so gut wie noch nie.

Der vierte Unterschied hat mit historischen Kenntnissen zu tun: Anders als die Zeitgenossen des Jahres 1933 wissen wir, wie das damals ausgegangen ist. Und das verpflichtet uns, wachsam zu sein, und die demokratischen Parteien im Thüringer Landtag mahnen dieses Wissen, jegliche Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen zu unterlassen. Ob sich die Abgeordneten dieser Verantwortung bewusst sind, wird sich zeigen. Immerhin ist es gelungen, eine Regierung ohne Beteiligung oder Duldung durch die AfD zu bilden. Dass die viel beschworene Brandmauer aber brüchig ist, zeigt die Ankündigung von Politikern aus BSW und CDU, den notorischen Holocaust-Verharmloser Jörg Prophet, der die amerikanischen Befreier des KZ Mittelbau-Dora als „morallos“ bezeichnet hat, zum Vizepräsidenten des Landtages wählen zu wollen.

Wie die AfD zur Gedenkstättenarbeit in Thüringen steht, hat sie nach der Wahl mehr als einmal deutlich gezeigt. So klagte sie etwa vor dem Verwaltungsgericht Weimar gegen die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, weil diese vor der Wahl öffentlich vor den geschichtsrevisionistischen Positionen der AfD gewarnt hat. Erfreulicherweise wies das Gericht die Klage ab und betonte ausdrücklich, dass es für die Gedenkstätten keine Neutralität geben kann, wenn die Würde der NS-Opfer in Frage gestellt wird. Es folgte eine Kleine Anfrage im Landtag, welche Gelder für welche Veranstaltungen zum 80. Jahrestag der Befreiung der KZs Buchenwald und Mittelbau-Dora im April 2025 vorgesehen seien. Der Subtext für die eigene Klientel: Das Geld kann man besser für andere Zwecke ausgeben.“

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