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RICE AND SHINE // INTERVIEW

Rice and Shine // Interview

Die Journalistinnen Minh Thu Tran und Vanessa Vu betreiben seit 2018 den Podcast „Rice and Shine“. Dort diskutieren sie aktuelle Themen aus ihrer vietdeutschen Perspektive. Wir haben uns mit ihnen über ihren Podcast und digitale Kommunikation unterhalten.

 

1. Eure drei #’s:

Minh Thu: Aktuell benutzen wir #GOA19 viel, weil wir super stolz darauf sind, dass wir für den Grimme Online Award 2019 nominiert worden sind. Mal schauen, ob es vielleicht mehr als eine Nominierung wird. Ansonsten twittern wir häufig wenn es um Alltagsrassismus geht, mit Hashtags wie #vonhier oder #metwo.

 

2. Wie engagiert ihr euch im Netz?

Vanessa: Wir haben einen Podcast, der im Netz veröffentlicht wird. In unserem Podcast geht es um vietdeutsche Perspektiven auf Themen, die uns interessieren. Das reicht von Politik über Essen und kulturelle Aneignung bis hin zum Umgang psychischen Belastungen. Dabei sind wir nicht klassisch engagiert in dem Sinne, dass wir eine politische Agenda hätten und den Podcast als Form des Aktivismus begreifen.

 

3. Wie geht ihr mit Hass im Netz um?

Minh Thu: Das meiste Feedback, das wir bekommen, ist gut überlegt und deshalb nehmen wir uns auch viel davon zu Herzen. Stumpfer Hass trifft uns vergleichsweise wenig. Außerdem haben wir eine relativ aktive Community, die bei Hasskommentaren schnell einspringt und aktiv wird.

Vanessa: Das liegt wahrscheinlich am Format: Er ist weniger schnelllebig, man muss sich Zeit zum Hören nehmen und wenn man sich zu einem Podcast äußern will, dann ist das relativ aufwändig.

 

4. Was ist digitale Zivilcourage?

Minh Thu: Man kann online Zivilcourage zeigen, indem man Hate Speech entgegentritt, oder indem man Menschen, die diversere Stimmen in die Medienlandschaft bringen, bewusst fördert. So kann man Vielfalt normalisieren. 

 

5. Wie verändert eurer Meinung nach digitale Kommunikation Politik und Gesellschaft?

Vanessa: Durch unseren Podcast haben sich viele Hörer*innen vernetzt und sich gegenseitig empowert. Es gibt nicht so viele vietnamesische Menschen in Deutschland, und diese leben oft verstreut. Das Internet bietet Tools und Möglichkeiten, trotzdem verbunden zu sein.

Minh Thu: Zusätzlich ermöglicht die digitale Kommunikation neue Zugänge zur Politik. Dadurch, dass wir wachsen, können wir mehr Aufmerksamkeit für unsere eigenen Anliegen erzeugen. Wenn es zum Beispiel rassistische Werbekampagnen gibt, wird unsere Kritik nicht gehört, wenn wir uns nur einzeln darüber aufregen. Wenn es aber über unsere gesammelten Kanäle geht, dann gehen Werbetreibende eher darauf ein.

Olivia Hyunsin Kim und Sung Un Gang hatten die Hornbach-Werbung „So riecht das Frühjahr“ als rassistisch und sexistisch kritisiert. Sie haben eine Petition gestartet, die so erfolgreich verlief, dass der deutsche Werberat die Kampagne ebenfalls als rassistisch eingestuft hat. Daraufhin hat Hornbach den Werbeclip aus dem Internet genommen.

 

6. Wieso habt ihr euch dazu entschlossen, einen Podcast zu machen?

Vanessa: Unsere ursprüngliche Idee war es, für mehr Sichtbarkeit einen YouTube-Kanal zu machen. Über unsere Stimmen kann man ja nicht sehen, wer dahintersteht. Aber das war uns zu aufwändig, wir machen das ja nur neben unseren Jobs. Der Podcast ist ein Medium, das vergleichsweise barrierefrei ist. Es ist relativ einfach, sich ein Aufnahmegerät zu besorgen, sich aufzunehmen, Schnittsoftware gibt es kostenlos im Internet. Die fertige Tonaufnahme kann man dann über einen beliebigen Host hochladen. So ist der Podcast schnell verfügbar für alle. Er ist für mich eine sehr niedrigschwellige Möglichkeit, Inhalte öffentlich zu machen und zu konsumieren.

 

7. Wen wollt ihr mit eurem Podcast erreichen?

Minh Thu:  Als wir damit angefangen haben, war es uns vor allem wichtig, Themen aus unserer eigenen Perspektive zu diskutieren. Wir hatten kein bestimmtes Zielpublikum vor Augen. Erfreulicherweise hören uns einer Höher*innenumfrage zufolge zur Hälfte weiße Deutsche. Die andere Hälfte hat einen Migrationshintergrund, und davon hat die Hälfte einen vietnamesischen Hintergrund. Das heißt, unser Podcast richtet sich an alle und er kommt auch bei allen an.

Vanessa: Uns ist außerdem wichtig, dass wir bei unserem Podcast keine Unterdrückungsmechanismen weitergeben, dass wir inklusive Sprache verwenden, wenig bis keine Fremdwörter benutzen. Wenn wir mit nicht-deutschen Sprachen arbeiten, erklären wir sie. Wir wünschen uns, dass Menschen jeden Alters und jedes Bildungshintergrunds unserem Podcast folgen können.

 

8. Welche Rolle spielt Sichtbarkeit für euch?

Vanessa: Die Motivation von vielen Podcaster*innen wie uns war der Umstand, dass es, als wir aufgewachsen sind, nicht viele Menschen gab, die ähnliche Geschichten erlebt haben oder so aussehen wie wir. Deswegen war es uns wichtig, diesen Podcast zu machen und einen aktiven Instagram-Account zu führen. Die Menschen sollen sehen: Hey, die Geschichten, die ich zuhause erlebt habe, mit denen bin ich nicht alleine, die haben andere auch erlebt. Dabei wollen wir so vielfältige Perspektiven wie möglich abbilden. Das betrifft nicht nur Berufe, sondern auch Körperbilder, Lebensentwürfe, Studienentscheidungen, den Umgang mit der Familie, politische Haltungen. In all diesen Bereichen wollen wir zeigen, dass mehr möglich ist als das, was die Mehrheitsgesellschaft uns glauben macht.

 

9. Wie geht ihr in eurem Podcast mit gesellschaftlichen Machtstrukturen um?

Minh Thu: Wir sind nicht perfekt, wir tappen auch mal in Fettnäpfchen und reproduzieren etwas Problematisches. Das wird uns dann von unseren Hörer*innen rückgemeldet. Wir setzen uns dann mit der Kritik auseinander und versuchen sie auch innerhalb unseres Podcasts zu besprechen. Deshalb haben wir auch eine Folge über Rassismus innerhalb unserer Communities gemacht. In der asiatischen Community ist es so, dass wenn man über Asiat*innen spricht, viele nicht an unsere Geschwister aus Südasien denken, dass es sogar Feindseligkeiten gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe gibt. Auch über solche Themen sprechen wir in unserem Podcast.

Vanessa: Uns ist auch bewusst, dass Vietdeutsche innerhalb der Gesellschaft eine relativ anerkannte Gruppe sind. Spätestens seit 2010 Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ erschienen ist, gelten vietnamesische Menschen als Musterbeispiele für Einwander*innen: Die Fleißigen und Strebsamen, die sich nicht beschweren. Das klingt erstmal positiv, ist aber ein sehr problematisches Bild.

 

10. Warum ist es wichtig, das Narrativ des „guten Einwanderers“ der asiatischen deutschen Communities zu durchbrechen?

Vanessa: Zum einen wird es dazu benutzt, andere Minderheiten abzuwerten. Zum anderen sorgt dieses Bild innerhalb der eigenen Communities für einen Druck, diese Beliebtheit zu halten. Es entsteht eine Erwartung, maximal unauffällig zu bleiben, sich nicht zu beschweren, besonders gut in allem zu sein, um eben diesem öffentlichen Bild gerecht zu werden. Denn es besteht die Angst, dass man sonst am Ende so behandelt wird wie andere Minderheiten.

Minh Thu: Durch das Narrativ, dass Asiatische Deutsche die gut integrierten Einwander*innen seien, denken viele Menschen, dass es keinen Rassismus gegenüber asiatischen Personen gibt. Das stimmt einfach nicht. Da muss man sich nur die Geschehnisse um Rostock-Lichtenhagen anschauen, was zu den größten rassistischen gewaltsamen Vorfällen der Nachkriegszeit zählt. Oder Hamburg 1980, wo der erste rassistische Mord in der BRD dokumentiert ist. Beide Opfer waren Vietnamesen: Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân. Gerade diese zwei sehr gewaltsamen Ereignisse sitzen noch vielen vietnamesischen Menschen sehr tief im Gedächtnis. Sobald man laut wird, droht man Gefahr zu laufen, nicht mehr der „gute Ausländer“ zu sein, sondern der, dessen Gebäude im Zweifel wieder niedergebrannt wird. Deswegen ist es doppelt wichtig, dieses Narrativ des „guten Einwanderers“ zu durchbrechen und unsere eigenen Perspektive darauf zu berichten.

 

11. Haben die Erfahrungen um Rostock-Lichtenhagen bis heute Auswirkungen auf viet-deutsche Communities?

Minh Thu: Das war auf jeden Fall Thema bei vielen Menschen der zweiten Generation, die das durch ihre Eltern mitbekommen haben. Ich bin nicht in einem Asylbewerberheim aufgewachsen, aber Rostock-Lichtenhagen war sehr präsent.

Vanessa: Ich war damals in einem Asylbewerberheim und natürlich haben meine Eltern es mitbekommen, dass es eine progromartige Stimmung gegen vietnamesische Menschen in Deutschland gab. Aus diesem Grund hatte mein Vater ein Seil neben seinem Fenster, damit wir bei einem Anschlag jederzeit aus dem Fenster klettern konnten. Ich kenne viele andere Vietnamesinnen und Vietnamesen, die diese Anschläge ebenfalls sehr bewusst wahrgenommen haben und andere Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben. Sie haben zum Beispiel ihren Kindern Selbstverteidigung beigebracht, damit sie sich im Zweifel wehren können.

 

12. Debate//Dehate heißt für mich:

Minh Thu: Debatte ist nur eine mögliche Maßnahme gegen Hass. Es ist sinnvoll, in eine Debatte zu gehen, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet und alle Beteiligten Interesse an einem Austausch haben. Aber grundsätzlich ist Hass – Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Homophobie und so weiter – nicht nur mit Reden zu lösen. Das sind gesellschaftliche Probleme, an denen die Politik verstärkt arbeiten muss, für die es viel mehr Sensibilisierungsprogramme braucht. Außerdem sollten Plattformbetreiber*innen der sozialen Medien Betroffenen von Hass mehr Handlungsmöglichkeiten anbieten, wie mit solchen Situationen umgegangen werden kann.

 

 

Rice and Shine: https://riceandshine.podigee.io/

Interview geführt von der Debate//De:hate Redaktion

 

Bild: Valerie-Siba Rousparast

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