Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Demokratie muss schützen, wer sie verteidigt

Foto Karamba Diaby
Foto: Niklas Gerlach

Sicherheit für Demokrat*innen ist in Deutschland längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Hass, digitale Gewalt und rassistische Drohungen gehören für viele Menschen, die sich politisch engagieren, zum Alltag. Dr. Karamba Diaby – Chemiker, SPD-Politiker und einer der sichtbarsten Schwarzen Abgeordneten im Bundestag – hat diese Realität jahrelang erlebt. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen mit digitaler Gewalt, über Rassismus im politischen Raum und darüber, warum Sicherheit für Demokrat*innen eine zentrale Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist. Er erklärt, welche Folgen Hass für Betroffene und ihre Teams hat, warum Solidarität und Unterstützung entscheidend sind und wieso politische Strukturen dringend gestärkt werden müssen.

Wie fühlt es sich in Deutschland für dich an?

Ich habe in den vergangenen 40 Jahren Deutschland in all seinen Facetten erlebt – mit offenen Armen, aber auch mit verschlossenen Türen. Ich habe viel Rückhalt erfahren. In den letzten zwölf Jahren als Abgeordneter des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Halle (Saale) habe ich viel politische Zustimmung und Vertrauen erhalten. 2021 erzielte ich das Direktmandat mit dem besten Erststimmenergebnis aller Kandidatinnen und Kandidaten in Sachsen-Anhalt.

Gleichzeitig habe ich täglich erlebt, wie Hass, Hetze und rechtsextreme Gewalt im digitalen Raum Bahn brechen. Im Zusammenhang mit meiner parlamentarischen Arbeit habe ich viele Morddrohungen erhalten. Seit meinem Ausscheiden aus dem Bundestag lebe ich ruhiger, weil ich kaum noch in den sozialen Medien poste.

Was bedeutet Sicherheit für dich?

Sicherheit bedeutet für mich weit mehr als bloßen Schutz vor Gefahr. Sie heißt, mich jederzeit und an jedem Ort – emotional, physisch, materiell und sozial – auf die tragenden Strukturen unserer Demokratie verlassen zu können. Wahre Sicherheit entsteht dort, wo Teilhabe möglich ist, wo Menschenrechte geachtet werden und wo der Staat seine Verantwortung gegenüber allen Menschen ernst nimmt.

Deine Erfahrungen zeigen, wie brüchig Sicherheit für Demokrat*innen wird, wenn Hass und Einschüchterung zum Alltag gehören. Wo in deinem Alltag stellst du fest, dass die Demokratie unter Druck gerät?

Ich nehme täglich wahr, dass Einschüchterung – online wie offline – fester Bestandteil der Strategie rechtsextremer Gruppen geworden ist. Ihr Ziel ist nicht nur, einzelne Personen zu treffen, sondern die demokratische Arbeit insgesamt zu schwächen. Diese Angriffe haben eine klare politische Botschaft: „Wir wollen euch zum Schweigen bringen.“ Genau deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir hier widerstehen müssen, individuell, institutionell und politisch.

Wie machte sich das bemerkbar?

Das zeigte sich bei mir hauptsächlich dann, wenn ich etwas gepostet habe, meistens Berichte über meine Arbeit als Abgeordneter, um Transparenz zu schaffen. Es gab nur wenige sachliche Kommentare oder konstruktive Kritik. Stattdessen wurden völlig andere Themen hineingezogen und die Beiträge häufig mit herabwürdigenden, beleidigenden oder gar drohenden Kommentaren begleitet.

Welche Auswirkungen hat das?

Was oft übersehen wird: Nicht nur die betroffene Person steht im Fokus, sondern auch ihr Umfeld. Mein Team musste jede dieser Nachrichten lesen, bewerten, sichern und entscheiden, ob sie strafrechtlich relevant sind. Und das geschah ohne juristische Ausbildung und ohne psychologische Supervision.

Du warst unterschiedlichen Formen von gewaltvollen Angriffen ausgesetzt. Wie gehst du damit um? Was bedeutet das für dein Leben heute? Was hat sich dadurch verändert?

Jede Drohung, jede Hassbotschaft, die ich erhalten habe, ging zunächst durch die Hände meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese permanente Konfrontation mit Gewalt und Menschenverachtung hat Folgen, psychisch, emotional und gesundheitlich. Wir reden viel über „digitale Gewalt gegen Politiker*innen“, aber zu wenig über die Menschen, die diese Gewalt mittragen müssen, weil sie sie dokumentieren, weiterleiten und anzeigen.

Hast du neben deinem Team weitere Unterstützung erfahren, die dir den Umgang erleichtert hat?

Ja, ich bin froh, dass wir von HateAid unterstützt wurden. Diese Zusammenarbeit war Gold wert. HateAid prüft Fälle, übernimmt die rechtliche Weiterverfolgung, berät und begleitet uns. Das entlastet, fachlich wie menschlich. Solche Unterstützungsangebote dürfen kein Glücksfall sein, sie müssen zur Regel werden.

Was benötigst du konkret, um dich sicher zu fühlen?

Rechtsextreme und Hass-Akteure wollen Angst verbreiten, Sprachlosigkeit erzeugen und Rückzug erzwingen. Deshalb benötigen alle Betroffenen von Hass und Hetze Solidarität, Sichtbarkeit und konkrete politische Strukturen, die schützen.

Widerstand im Netz bedeutet für mich heute nicht nur, Haltung zu zeigen. Es bedeutet, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Haltung zeigen, dabei nicht allein gelassen werden.

Wie kann verhindert werden, dass die politische Kommunikation immer weiter verroht, gerade im digitalen Raum?

Unsere Demokratie gerät zunehmend unter Druck, durch gesellschaftliche Polarisierung, wachsende Gewalt und gezielte Desinformation. In dieser Lage darf Demokratieförderung kein Lippenbekenntnis sein, sondern muss dauerhaft, strukturell und verbindlich abgesichert werden. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Hass und Hetze gegen Minderheiten oder Andersdenkende als Geschäftsmodell gelten, um Wahlen zu gewinnen. Als Gesellschaft müssen wir uns immer wieder fragen: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Diese Form der digitalen Gewalt zeigt, warum Sicherheit für Demokrat*innen dringend politisch gestärkt werden muss.

Du hast gesagt, um die Demokratie zu schützen, braucht es Menschen und Haltung. Was bedeutet das konkret für dich, damit du dich sicherer fühlst?

Was wir jetzt benötigen, ist ein Demokratiefördergesetz, das diesen Namen verdient. Eines, das Bildung, Beteiligung und Medienkompetenz flächendeckend stärkt. Denn Demokratie schützt nicht von allein. Sie braucht Menschen. Sie braucht Haltung. Und sie braucht den politischen Willen, sie aktiv zu verteidigen und zu fördern, jeden Tag. Die Politik auf europäischer Ebene, im Bund und in den Ländern muss ernst nehmen, dass die Demokratie unter Druck steht und verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, um sie nachhaltig zu verteidigen.

Inwiefern würde das Demokratiefördergesetz Menschen helfen, die von Rassismus betroffen sind, sich in Deutschland sicherer zu fühlen oder sicherer zu sein?

Wenn es der jetzigen Koalition nicht gelingt, die Demokratieförderung auf ein hohes Niveau zu bringen, dann haben wir versagt. Demokratie ist eine Daueraufgabe und Daueraufgaben brauchen Dauerförderung. Es ist ein Armutszeugnis, dass wir heute immer noch auf ein Demokratiefördergesetz warten müssen. Damit Sicherheit für Demokrat*innen Realität wird, braucht es ein starkes Demokratiefördergesetz und verlässliche politische Strukturen.

Weiterlesen

Amadeu Antonio Preis 2025
In eigener Sache

Dessau Afro Festival gewinnt Amadeu Antonio Preis 2025

Die Amadeu Antonio Stiftung würdigt mit dem Amadeu Antonio Preis zum fünften Mal Initiativen, die sich im ländlichen Ostdeutschland engagieren. Angesichts zunehmender rechter Mobilisierung richtet der Preis seinen Fokus neu aus. Der mit 3.000 Euro dotierte erste Platz des Amadeu Antonio Preises ging an das Dessau Afro Festival.

Bleib informiert!

Melde dich jetzt zum Newsletter an und verpasse keine unserer nächsten Publikationen!

Schön, dass du dich für unsere Publikation interessierst! In unserem monatlichen Newsletter erhältst du spannende Einblicke in den Alltag demokratischer Zivilgesellschaft und in unsere Arbeit.
Publikation bestellen Direkt zum PDF