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Verschiebung des Sagbaren – Das Overton Window

Ein gesellschaftlicher Rechtsruck macht sich bemerkbar und im Zuge dessen wird immer wieder von der Verschiebung des Sagbaren gesprochen. Das Overton Window ist ein Modell, welches die sogenannte Diskursverschiebungen zu erklären versucht. In diesem Artikel soll ein Überblick über das Overton Window und seine Probleme gegeben werden und welche Bedeutung das Modell für verschwörungstheoretische und rechtsextreme Akteure hat.

Was ist das Overtonwindow?

Das Overton Window, auch Overton Window of Political Possibility genannt, ist ein Modell und Instrumentarium zur Erklärung von Verschiebungen der öffentlichen Meinung. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich innerhalb der öffentlichen Meinung nur einige Aussagen im Bereich des politisch akzeptablem befinden. Dieser Bereich wird als Fenster, also Window bezeichnet (vgl. o.V., 2010). Das Modell bezieht sich vor allem auf die öffentliche Meinung zu innenpolitischen Themen wie Bildung oder Sozialhilfe. Aussagen werden hierbei von unten nach oben in „least free“ zu „most free“ eingeordnet. Die Einteilung kann laut Overton auch von „am meisten durch die Regierung reguliert“ bis hin zu „am wenigsten durch die Regierung reguliert“ verstanden werden. Diese Einteilung muss im Kontext des Mackinac Centers, Overtons Wirkstelle, gesehen werden, welches sich selbst als „free market“-orientiert sieht (näheres im nächsten Absatz). Ein Modellzusatz teilt die Legitimität von Aussagen in „Unthinkable, Radical, Acceptable, Sensible, Popular, Policy“ ein.

Ursprung

Erfunden wurde das Modell von Joseph P. Overton, dem ehemaligen Vizepräsidenten des Mackinac Center for Public Policy. Das Mackinac Center ist das größte Think Tank in den USA und sitzt in Midland, Michigan. Es beschreibt sich nicht als konservativ, sondern „free market“-orientiert und setzt sich als Ziel, den Bürgern Michigans politische wie wirtschaftliche Themen verständlich zu machen. Besonders die Verbindung des Centers zu Glenn Beck muss beachtet werden. Auch wenn Beck seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA eine politische Kehrtwende beteuert, fiel er in der Vergangenheit vor allem durch rassistische und antisemitische Aussagen auf, welche u.a. von der Anti-Defamation League (ADL) verurteilt wurden. Genau zu dieser Zeit, kooperierte das Mackinac Center mit Beck und bewarb auch seinen Thriller „Overton Window“, welcher im Jahr 2010 veröffentlich wurde und auf dem Modell basiert.

Der Präsident des Think Tanks, Joe Lehman, war des Öfteren zu Gast in Becks Show auf Fox News, um das Overton Window zu erklären. Auch diese Auftritte werden auf der Website des Mackinac Centers beworben.

Außerdem wird das Mackinac Center finanziell von der Familie DeVos unterstützt. Die DeVos sind in der amerikanischen „Christian Right“ (etwa Religiöse Rechte) zu verordnen.

Der bereit genannte Modellzusatz stammt von Josh Trevino, Vizepräsident des rechten Think Tanks „Texas Public Policy Foundation“, welcher das Overton Window laut eigener Aussage gezielt als Tool rechter Politik sieht.

Wie wird das Overton Window angewandt?

Ursprünglich sollte das Overton Window genutzt werden, um Entscheidungen von Politker*innen und öffentliche Meinung zu erklären. Laut Autor hat ein*e Politiker*in keinen Einfluss auf den Inhalt des Windows und kann dieses auch nicht verschieben. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass Gesetzesänderungen auf politischem Wandel beruhen, welcher wiederum auf sozialen Änderungen basieren. Gesetzesänderungen seien vor allem dann von Dauer, wenn sie durch Forderungen von sozialen Bewegungen entstanden sind. Demnach seien soziale und politische Bewegungen imstande, das Window zu verschieben, es zu verkleinern oder zu vergrößern. Für Politiker*innen spiele dies eine Rolle, um die Akzeptanz eigener Positionen zu validieren. So befänden sich riskante Handlungen oder Positionen meist außerhalb des Fensters. Das Overton Window findet in Deutschland kaum Rezeption, lediglich zwei Lagern dient es als Erklärungsansatz bzw. Instrument: pro-russischen Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen.

Prorussische Verschwörungsblogs

Um die Nutzung des Begriffes im deutschsprachigen Raum zu erfassen, wurde „Overton Window“ bei der Recherche ins Deutsche übersetzt. Indem nach „Overton Fenster“ gesucht wurde, sollte neben der Nutzung auch die dahinterstehenden Akteure untersucht werden. Die Ergebnisse sind neben WikiMannia ausschließlich private pro-russische Verschwörungsblogs. Eine besondere Rolle spielt das staatlich russische Portal Sputnik News. Die Blogs geben die Seite als Ursprungsquelle ihrer Artikel an. Das Overton Window wird als Beweis für eine gezielte Manipulationsstrategie, „der Medien“ und von Politiker*innen gesehen. Bürger seien dem Einfluss von Expert*innen ausgesetzt
und könnten sich durch das Wissen um das Overton Window dagegen wehren. Themen die als Beispiele angegeben werden, sind der Umgang mit Geflüchteten oder dem Islam, welche durch gewisse Parteien, Polizei und Medien gesellschaftsfähig geworden seien.

Das Overton Window als Strategie der neuen Rechten

Während Verschwörungsblogs im Overton Window den Beweis für eine Manipulation sehen, sehen Rechtsextreme das Overton Window als Grund für Diskursverschiebung an. Um den Umgang mit dem Modell zu untersuchen, wurde das geleakte Strategiepapier der Identitären Bewegung, sowie Videos des rechten Netzwerkes FSN (Frei-Sozial-National) ausgewertet. Für Rechtsextreme ist das Modell von Relevanz, da die Verschiebbarkeit des Diskurses als Methode zur Meinungsformung gesehen wird. Die ursprüngliche Verwendung des Overton Windows als Phänomenbeschreibung wird ignoriert. Die Existenz eines derartigen Fensters steht außer Frage. Für Rechtsextreme ist es nur von Relevanz, wie das Overton Window zugunsten der eigenen Ziele verschoben werden kann. Schritt für Schritt soll der Diskurs mitbestimmt werden, indem die eigenen von der Gesellschaft als „radikal“ eingestuften Forderungen Eingang in die Gesellschaft finden und akzeptiert werden. Für FSN erfolgt eine derartige Verschiebung durch die Unterstützung der AfD, Identitäre Bewegung usw., da alles auf dem Weg „zur reinen Lehre“ unterstützt werden müsse, selbst wenn sich nicht alle Positionen mit den eigenen decken. Die Identitäre Bewegung hingegen, will das „politische Fenster“ verschieben, in dem „Metapolitik“ betrieben werde. In der sog. Metapolitik liege der Schlüssel zum politischen Erfolg, da sie eine Einheit aus Propaganda und politischer Theorie bilde. Metapolitik schließe Bereiche wie Kultur, Sprache, Ideen, Parolen, Emotionen und Moral ein. Die Hauptstrategie besteht darin, Fragen zu etablieren, auf die nur die Identitäre Bewegung eine direkte Antwort haben.

Was bedeutet das?

Es ist davon abzuraten, das Overton Window als legitimes Diskursmodell zu verwenden. Nicht nur, dass der Erklärungsansatz extrem verkürzt ist, auch die Hintergründe des Mackinac Centers sprechen gegen eine Anwendung. Wichtig ist vor allem zu erkennen, welche Bedeutung Rechtsextreme in dem Overton Window sehen und welche Strategien von der angeblichen Funktionsweise abgeleitet werden. Für sie stellt sich nicht die Frage der Existenz eines derartigen Fensters. Wichtig ist nur, wie man es weiter nach rechts verschieben kann. Es gilt sich bewusst zu werden, dass durch verschiedene Strategien radikalen Positionen gesellschaftliche Akzeptanz und Legitimität verliehen werden soll. Das wiederholte Reden über radikale Ideen, die Inszenierung medienwirksamer Aktionen, sowie weitere Mittel als derartige Strategien zu erkennen, ist der erste Schritt.

Gastautorin: Ida Birnenbaum

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