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10 Jahre „Jamel rockt den Förster“

Das Ehepaar Lohmeyer wehrt sich gegen die Vereinnahmung des Ortes Jamel durch Neonazis. Mit dem Festival „Jamel rockt den Förster“ setzten sie auch dieses Jahr ein Zeichen für Demokratie und Toleranz gemeinsam mit Bands, Künstler_innen und mittlerweile 1200 Besucher_innen. 

Von Roxana Erath

„Frei, sozial, national“ steht auf einem arischen Wandgemälde an der Ortseinfahrt des 40-Seelen Dorfes, ein Wegweißer zeigt Himmelsrichtung und Distanz zu Hitlers Geburtsort Braunau an, zwei Drittel der Einwohner_innen sind bekennende Nazis. Sven Krüger, NPD-Mitglied und bekannter Rechtsextremist veranstaltet regelmäßig Feste für und mit Gleichgesinnten. Nach der gezielten Besiedlung durch rechte und rechtsextreme Personen, sprach der ehemalige Bürgermeister von einem Dorf, das man aufgegeben habe.

Nicht aufgegeben haben die Lohmeyers – ein Hamburger Künstlerpaar, das wegen der schönen Landschaft in der Gegend 2004 den alten Forsthof in Jamel kaufte und renovierte. Sie waren nicht willkommen. Zahlreiche Übergriffe und massive Anfeindungen begegneten Ihnen vonseiten der übrigen Dorfbewohner_innen. Doch sie wollen und werden sie nicht weichen – 2007 fingen sie an, Konzerte mit rund 100 Freund_innen und Interessierten auf dem ehemaligen Forsthof zu veranstalten. Die Öffentlichkeit sollte auf Jamel aufmerksam werden. Das ist ihnen gelungen. Jamel steht mittlerweile für das Problem von Landvereinnahmung durch Neonazis und das Festival für den Protest dagegen. Die Sicherheitsmaßnahmen und das Polizeiaufgebot waren daher auch dieses Jahr sehr hoch. Trotzdem wurden Autoreifen von Besucher_innen zerstochen. An den 363 übrigen Tagen im Jahr gehören Einschüchterungen und Übergriffe zum Alltag der Lohmeyers. Letztes Jahr brannte ihre Scheune kurze Zeit vor dem Festival bis auf die Grundmauern nieder – die Polizei ermittelte wegen Brandstiftung mit rechtsextremem Hintergrund. Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt seit vielen Jahren das Festival. Nach dem Brand startete die Stiftung letztes Jahr eine Spendenkampagne, bei der über 20.000 Euro gesammelt werden konnten. „Uns war es wichtig den Lohmeyers zu zeigen, dass sie jetzt nicht allein sind. Die Nazis werden es nicht schaffen, mit ihrem Alltagsterror demokratisch Engagierte einzuschüchtern“, betonte Anetta Kahane. Der Schweizer Harry Schaffer konstruierte aus den Überresten der Scheune eine „Pyromide“, die heute gut sichtbar anzeigt, wo ehemals die Scheune stand. Die aufeinandergestapelten Eichenbalken sollen „daran erinnern, dass es Menschen gibt, die aus einer Zerstörung Neues schaffen können,“ so der Künstler.

Mit neuer Kraft und Überzeugung ist die Solidarität seitdem so groß wie nie. Letztes Jahr kamen Die Toten Hosen als Überraschungsgast, dieses Jahr brachte der Musiker Bela B. seine beiden Bandkollegen Farin Urlaub und Rodrigo Gonzalez spontan mit zu seinem Auftritt. So ließen sie am Freitagabend einen „Schrei nach Liebe“ über Jamel ertönen. In diesem Song beschreiben Die Ärzte den stumpfen Hass eines jugendlichen Neonazis und singen gegen gewaltverherrlichende und ausgrenzende Überzeugungen an. Dieses Jahr standen 10 weitere Bands aus unterschiedlichsten Ecken der Musiklandschaft auf der Bühne. Mit dabei unter anderem Fettes Brot, die Reggae und Hip-Hop Combo Ohrbooten, die feministische Rapperin Sookee, die Skatepunk-Band ZSK und die Singer-Songwriter Chawa Lilith Band – ganz nach dem Motto „Mecklenburg bleibt bunt“ unter dem das Festival stand.
Es ist den Lohmeyers ein Anliegen, zu zeigen, dass „sich jede_r  Einzelne  gegen die Unterwanderung gesellschaftlicher Felder durch Nazis zur Wehr setzen kann“.  Und so mahnt „Jamel rockt den Förster“ jedes Jahr die Öffentlichkeit, den Blick vor rechter Gewalt nicht abzuwenden. Deshalb unterstützte die Amadeu Antonio Stiftung auch dieses Jahr das Engagement der Lohmeyers, die die Stellung halten und Mut dazu machen, gemeinsam rechten Parolen demokratischen Gegenwind zu geben.

Mehr Infos gibt es hier.

„Jamel rockt den Förster“ findet jedes Jahr im August statt und bietet zwei Tage „Rockmusik für Demokratie und Toleranz“. Auf der großen Waldbühne spielen Bands der regionalen und überregionalen Musikerszene vor wachsendem Publikum. Das Festival ist nicht-kommerziell und ehrenamtlich organisiert.  

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