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Handlungsempfehlungen

10 Punkte gegen Rechtsextremismus an Schulen

Symbolbild: Klassenzimmer. Foto: Unsplash.

Hakenkreuze im Heft, Hitlergrüße im Klassenchat, homofeindliche Parolen rund um CSD-Gegendemonstrationen: Was früher als Ausnahme galt, ist für manche Schulen zur belastenden Realität geworden. Gleichzeitig treten Eltern und Peers mit menschenfeindlichen Haltungen sichtbarer auf. Das verunsichert: Was ist strafbar, was pädagogisch zu klären? Welche Maßnahmen greifen – und wer unterstützt, wenn es eskaliert?

Von Benjamin Winkler

Lehrkräfte berichten von Hakenkreuzen oder Hitlergrüßen in der Klasse, Schüler*innen schildern dominante rechte Cliquen auf dem Pausenhof und Eltern sorgen sich, dass ihre Kinder an der Schule radikalisiert werden. In den letzten Wochen erschienen viele Berichte über Vorfälle und Ereignisse an Schulen in Zusammenhang mit Rechtsextremismus oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Ebenso berichten Jugendforschende von einem regelrechten Trend unter manchen Jugendlichen, sich selbst als „rechts“ zu identifizieren. Im Kontext der Gegendemonstrationen zu CSD-Paraden zeigten sich immer wieder sehr junge Rechtsextreme, die offenbar durch homofeindliche oder anti-queere Aufrufe angesprochen werden.

Hinzu kommt, dass der steigende Rechtsextremismus in der Gesellschaft keineswegs ein Jugendproblem ist. Die AfD ist bereits gemäß einer Umfrage des Forsa-Instituts mit 27 Prozent stärkste Partei. Rechtsextremismus-Studien ergaben für 2023 die höchsten Werte für rechtsextreme Einstellungen seit Langem. Für die Schulen scheinen auch hiermit neue Probleme zu wachsen. Einige berichten nicht nur von rechtsextremen Schüler*innen, sondern ebenso von Eltern mit menschenfeindlichen Einstellungen.

Das Leipziger Büro der Amadeu Antonio Stiftung berät seit vielen Jahren Schulen in Sachsen sowie im übrigen Bundesgebiet zum Umgang mit Rechtsextremismus. Auch aktuell erreichen mindestens zwei Anfragen pro Woche das Büro.

Die jahrelange Beratungsarbeit des Büros macht es möglich, zehn gut verständliche Empfehlungen an Schulen weiterzugeben, die dabei helfen, das aktuelle Problem des Rechtsextremismus und der Menschenfeindlichkeit in den Griff zu bekommen. Sie sind schnell umsetzbar, stärken Haltung und Routinen und sorgen für Schutz – für Schüler*innen, Lehrkräfte und die Schule als demokratischen Lernort.

1. Vorbereitet sein

Seien Sie vorbereitet: Auch, wenn es an Ihrer Schule bisher noch nicht zu einem Vorfall kam oder es sich eher um Einzelfälle handelt, sprechen Sie untereinander über Ihre Erfahrungen im Umgang mit dem Problem und verabreden Sie ein grundlegendes Handlungsmuster im Sinne einer Präventionsstrategie.

Vermitteln Sie insbesondere als Schulleitung eine positive Haltung zur Arbeit am Thema Rechtsextremismus oder Menschenfeindlichkeit. Viele Praxisfälle zeigen, dass diese Arbeit oft einen positiven Effekt auf das Schulklima und den Zusammenhalt im Kollegium haben kann.

2. Netzwerke kennen

Informieren Sie sich über lokale Hilfsangebote: Inzwischen gibt es deutschlandweit ein breites Netz der Informations- und Beratungsangebote von Schulen. Sie reichen von mobilen Beratungsangeboten, über politische Bildung bis hin zu Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit. Ein guter erster Anlaufpunkt ist das landesweite Demokratiezentrum des Bundeslandes. In der Regel bietet auch die jeweilige Schulbehörde eine erste Anlaufstelle. Je nach Bundesland können Sie dort Koordinator*innen für Politische Bildung oder Extremismus-Beauftragte kontaktieren.

3. Grundlagenwissen aufbauen

Bilden Sie ein Grundlagenwissen unter allen Lehrkräften und dem pädagogischen Personal der Schule aus. Weder die Schulleitung, noch die Lehrkräfte müssen Expert*innen im Themenfeld Rechtsextremismus oder Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sein. Wichtig ist aber, dass einige Begriffe verstanden werden. In Ansätzen sollten Ursachen für rechtsextreme oder menschenfeindliche Einstellungen bekannt sein. Ein Grundwissen darüber, was strafbar ist und welche Symbole und Äußerungen gegen Gesetze verstoßen, ist ebenfalls von Vorteil.

In diesem Beitrag finden Sie Informationen über die gängigen Symbole und Codes der rechtsextremen Szene.

Nicht immer besteht im Kollegium ein breiter Konsens zum Handeln gegen Rechtsextremismus oder Menschenfeindlichkeit. Dies kann auch daran liegen, dass die Begriffe unterschiedlich verstanden werden. Ziel einer Fortbildung oder eines pädagogischen Tages sollte daher nicht nur die reine Wissensvermittlung sein, sondern ebenso der Austausch über Begriffe und Phänomene und die Erarbeitung eines gemeinsamen Problemverständnisses.

4. Instrumente schärfen

Überprüfen Sie Ihre schulischen Instrumente, die bei Kontakt mit rechtsextremen oder menschenfeindlichen Vorfällen helfen können. Hierzu gehören die Hausordnung, das Leitbild der Schule sowie die im jeweiligen Schulgesetz des Landes verankerten Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen der Schule. Sie können sich beim Check der Instrumente auch durch Schulberater*innen unterstützen lassen. Identifizieren Sie Lücken oder Leerstellen und schließen Sie diese. Eine Übersicht mit Trägern der Schulberatung erhalten Sie bei Ihrem lokalen Demokratiezentrum oder durch die Schulbehörde.

5. Keine „Neutralität“ gegenüber Menschenfeindlichkeit

Vermitteln Sie an alle schulischen Akteur*innen (Schüler*innen, Lehrkräfte, pädagogisches Personal und Eltern), dass Schulen in Deutschland keine neutralen Einrichtungen sind. Schulen arbeiten auf Grundlage des Grundgesetzes und insbesondere haben sie den Auftrag, aktiv die freiheitlich-demokratische-Grundordnung zu verteidigen.

Das bedeutet auch, dass alle aufgerufen sind, Schule zu einem Ort werden zu lassen, an dem keine rassistische oder antisemitische Diskriminierung stattfindet oder an dem keine Verharmlosung der Verbrechen der NS-Zeit geschieht. Zu diesem Thema gibt es auch einige Broschüren, die dabei helfen, den Mythos einer „neutralen“ Schule aufzuklären, z.B. vom Deutschen Institut für Menschenrechte.

6. Handlungsfähigkeit stärken

Wenn Ihre Schule bereits Kontakt mit rechtsextremen Vorfällen hatte oder wenn diese sogar alltäglich geworden sind, ist es wichtig, dass sowohl individuelle als auch systemische Kompetenzen aufgebaut werden. In einer schulinternen Fortbildung können gezielt Gesprächsstrategien gelernt werden, wie man reagieren kann, wenn sich einzelne oder mehrere Schüler*innen rechtsextrem oder menschenfeindlich verhalten.

Auch kann die Anwendung von Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen verabredet werden. Damit diese im Langzeitgedächtnis der Schule bleiben, sollte die Schule für häufige Fälle ein Handlungs- und Informationsweitergabemuster entwickeln. Somit ist für alle Lehrkräfte klar, wie reagiert werden sollte und wer wann durch wen informiert werden muss.

Wenn es an Ihrer Schule bereits ältere Schüler*innen (ab 14 Jahre und älter) gibt, die eine verfestigte rechtsextreme Einstellung haben, sollte über eine Zusammenarbeit mit Trägern für Ausstiegs- und Distanzierungsprozesse nachgedacht werden. Grundsätzlich ist die soziale Arbeit mit solchen Schüler*innen möglich, erfordert aber in der Regel ein geschultes Handeln. Auch für das Auffinden solcher Angebote in Ihrem Bundesland kann Ihnen das lokale Demokratiezentrum behilflich sein.

7. Politische Bildung verankern

Ihre Schule kann konsequentes Auftreten der Lehrkräfte durch Angebote der politischen Bildung oder des Fachunterrichts ergänzen. Nicht immer muss hinter einem rechtsextremen Spruch oder einer menschenfeindlichen Äußerung eine gefährliche Ideologie stehen. Manchmal ist es fehlendes Wissen oder Unsicherheit, im Zusammenhang mit einem Thema. Indem Schulen kontextuelle Inhalte des Rechtsextremismus oder der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit aufgreifen, können diese durch einen geschützten Lernort umschlossen werden.

Manchmal ist es Schulen schwer möglich, die Themen direkt im Fachunterricht aufzugreifen. Hier kann es helfen, wenn Schulen mit außerschulischen Partnern zusammenarbeiten. Diese führen beispielsweise einen Projekttag mit Teamer*innen durch. Wichtig ist hierbei die Vor- und Nachbereitung eines Projekttags mit den Klassen- und Fachlehrer*innen.

8. Partnerschaftliche Elternarbeit

Pflegen Sie eine moderne und partnerschaftliche Elternarbeit. Insbesondere, wenn Konflikte durch das Verhalten von Kindern und Jugendlichen an der Schule entstehen, kommt es darauf an, dass Eltern und Schule eine gute Beziehung haben. Im Grundgesetz ist der Gedanke angelegt, dass die Erziehung der Kinder Auftrag von Eltern und Schule ist. Daher sollten Beobachtungen geteilt und gemeinsame Verabredungen getroffen werden. Nicht immer gelingt es den Schulen sofort, eine Kooperation mit den Eltern zu erreichen. Schulen sollten in solchen Fällen auf das gemeinsame Interesse am Bildungserfolg und Kindeswohl hinweisen.

Bestehende Konflikte sollten möglichst praxis- und lösungsorientiert besprochen werden. Zugleich kann die Schule auch unter den Eltern demokratische Werte fördern, indem sie z.B. mit dem Elternrat der Schule Probleme in Zusammenhang mit Rechtsextremismus oder Menschenfeindlichkeit bespricht.

9. Schutz für Engagierte

Der konsequente Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit kann herausfordernd für Lehrkräfte oder Schüler*innen sein. Außerdem kam es bereits zu Angriffen auf Lehrer*innen oder Schüler*innen in und außerhalb der Schule. Damit das Engagement nicht beendet wird, benötigen engagierte Lehrkräfte und Schüler*innen Schutz und Stärkung.

Die Schulleitung sollte sich regelmäßig nach dem Befinden informieren und ggf. Schutz- oder Gegenmaßnahmen ergreifen. Wenn etwa das Engagement einer Lehrkraft gegen Rechtsextremismus dazu führt, dass diese im Internet diffamiert, beleidigt oder ihre privaten Daten veröffentlicht werden, sollte die Schulleitung, aber auch die Arbeitgeber*innen (die Schulbehörde) der Lehrkraft helfen, juristische Schritte einzuleiten. Ebenso können professionelle Supervisionssitzungen helfen, das Erlebte zu verarbeiten.

10. Demokratie leben

Betrachten Sie den Schutz des Grundgesetzes und der Demokratie als gemeinsame Aufgabe der Schule. Schüler*innen oder Lehrkräfte werden dann Spaß oder Sinnstiftung in dieser Aufgabe erfahren, wenn sie Demokratie nicht als inhaltsloses Wort oder statisches Gesellschaftssystem erleben.

Die Schule sollte ein Ort sein, der Lust auf Demokratie macht und der zeigt, dass Demokratie in der Lage ist, Probleme und Herausforderungen zu meistern, aber auch dabei hilft, kreative Ideen umzusetzen. Schule sollte deshalb nicht nur die gesetzlich vorgeschriebenen demokratischen Institutionen pflegen (z.B. Schüler*innenrat, Elternrat oder Schulkonferenzen), es sollten auch Projekte betrieben werden, die Demokratie als etwas Spannendes und Erfolgreiches vermitteln und erlebbar machen. Ebenso kann Schule einen rechtsextremen Vorfall als Anlass für den Beginn einer demokratischen Schulentwicklung nehmen. Professionelle Schulbegleiter*innen können hierbei helfen.

 

Wir hoffen, Ihnen mit diesen zehn Punkten Orientierung und Rat zu geben. Wenn Sie weitere Fragen haben, melden Sie sich gern bei unserem Schulberater des Leipziger Büros: Benjamin Winkler (benjamin.winkler[at]amadeu-antonio-stiftung.de).

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