Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Gefördertes Projekt

Thüringer Punkrockfestival: „Dreckig und bunt“ gegen rechtsextreme Hegemonie

Das Punkrockfestival „Dreckig und bunt“ im Landkreis Hildburghausen. (Quelle: Dirty Voices e.V.)

Im Thüringer Landkreis Hildburghausen sind seit den 1990er Jahren rechtsextreme Netzwerke gewachsen, die mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft akzeptiert werden. Das Punkrock-Festival „Dreckig und bunt“ will das ändern und setzt deutliche Zeichen gegen Hass und Hetze.

Von Vera Ohlendorf

„Wir wollen Brücken bauen“, sagt Vlo, der das Festival „Dreckig und bunt“ mitorganisiert, das am 20. und 21. Juni 2025 in Veilsdorf stattgefunden hat. Das klingt zunächst überraschend für ein Punkrockfestival, das jedes Jahr internationale Bands wie Los Fastidios oder Vitamin X einlädt und die ländliche Region für ein Wochenende mit Hardcore, Streetpunk, Moshpit und ein wenig Chaos aufmischt. Schnell wird aber klar, dass es hier um mehr geht als Musik, Bier und Subkultur. Das Festival ist ein Raum für alle, die sich nicht mit dem rechtsextrem dominierten Normalzustand im Landkreis abfinden wollen. Deshalb wird es von der Amadeu Antonio Stiftung gefördert.

Begonnen hat alles Mitte der 2000er-Jahre mit einem Geburtstagskonzert. Daraus entstand 2009 der Vorgängerverein „Oi Brothers Thüringen e.V.“, der regelmäßig das „Eichigt Open Air“ in Veilsdorf veranstaltete. „Als dann Pegida und Thügida aufkamen, haben wir Probleme mit einigen Mitgliedern bekommen. Ein paar Leute haben sich rassistisch geäußert und sich diesen rechtsextremen Gruppen angeschlossen“, erzählt Vlo. Die Satzung hatte keine Ausschlussklausel, es kam zu Konflikten, der Verein löste sich auf. 2019 gründete sich der Dirty Voices e.V., nun mit deutlicher Abgrenzung gegen rechtsextreme Ideologien. Das erste „Dreckig und bunt“-Festival fand wegen der Corona-Pandemie erst 2022 statt.

Rechtsextreme Normalisierung zum Thema machen

„Wir sind sehr politisch geworden und haben es uns zur Aufgabe gemacht, auf die Entwicklungen zu reagieren, die wir hier im Landkreis und weltweit sehen“, sagt Frodo, ebenfalls im Organisationsteam aktiv. Das Festival will Punkparty mit politischer Bildung verbinden. „Während des Festivals gibt es Infostände, zum Beispiel mit Flyern und Broschüren der Kampagne ‚Kein Bock auf Nazis‘. Wir wollen darüber aufklären, wie rechtsextreme Strukturen in Südthüringen funktionieren. Dass wir das Problem Rechtsextremismus überhaupt thematisieren, ist hier nicht selbstverständlich“, beschreibt Vlo. Es sei sehr wichtig, ins Gespräch zu kommen und Menschen aus Veilsdorf und Umgebung in das Festivalgeschehen aktiv einzubinden. „Nicht alle, die wir erreichen und ansprechen wollen, haben die gleiche Basis wie wir. Man muss Gesprächsräume öffnen und Brücken bauen, um die Entwicklungen in Frage zu stellen.“

Starke rechtsextreme Netzwerke um Szene-Unternehmer Tommy Frenck

In Thüringen wurde die hier als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD sowohl bei den Landtagswahlen 2024 als auch bei den Bundestagswahlen 2025 stärkste Kraft. Bei den Kommunalwahlen der vergangenen Jahre war aber nicht nur die AfD erfolgreich: Der rechtsextreme Szene-Unternehmer Tommy Frenck, früher bei der NPD aktiv, ist mit dem „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ (BZH) seit Jahren fest als Abgeordneter im Kreistag etabliert, das Bündnis verzeichnet steigende Zustimmungsraten. 2024 kam Frenck bei den Landratswahlen bis in die Stichwahl. 2014 kaufte er das Lokal „Goldener Löwe“ in Kloster Veßra und organisierte regelmäßig Veranstaltungen der freien Kameradschaftsszene und Rechtsrock-Festivals mit tausenden Teilnehmenden aus dem gesamten Bundesgebiet. International ist Frenck mit rechtsextremen Rockerclubs und anderen Neonazi-Strukturen gut vernetzt. Das Lokal in Thüringen musste er nach jahrelangem Rechtsstreit mit der Gemeinde letztlich schließen. Im vergangenen Herbst eröffnete ein neues Gasthaus mit dem Namen „Eiserner Löwe“ im benachbarten Brattendorf, offiziell durch eine andere Person betrieben. Hier kann Frenck dank einer Daueranmeldung beim Landratsamt bis Jahresende bis zudrei Neonazi-Konzerte pro Woche veranstalten.

„Tommy Frencks neues Domizil ist größer als vorher. Er hat mit dem Gasthaus, einem Shop, einem Klamottenlabel und weiteren Unternehmen eine große NS-Erlebniswelt geschaffen. Er ist nun bis auf 10 Kilometer Luftlinie an unser Festival herangerückt“, beschreibt Vlo. Über die Jahre ist ein Geflecht verschiedener Unternehmen entstanden. „Die AfD und das BZH von Tommy Frenck gewinnen stark an Zulauf, besonders seit der Corona-Zeit. Man muss aber sehen, dass die rechtsextremen Strukturen hier in den letzten 20 Jahren fast ungestört gewachsen sind“, so Vlo weiter. Örtliche Handwerksbetriebe arbeiten mit den Unternehmen von Frenck zusammen, der wachsende Einfluss rechtsextremer Positionen und Politiker*innen ist im Landkreis spürbar. Seit 2019 ist der Online-Handel Frencks ein bei der IHK anerkannter Ausbildungsbetrieb. Hier kann man Schlagstöcke, Messer, Fahnen und Szene-Kleidung mit rechtsextremen Codes kaufen. „Es gelingt ihm, Jugendliche für sich zu gewinnen und zu binden“, erzählt Vlo. Gut organisierte rechtsextreme Jugendgruppen sind entstanden und bekommen viel Zulauf. Tommy Frenck hat in der Region Prominentenstatus, posiert für Fotos und gibt Autogramme.

Raum schaffen für Gegenkultur und Solidarität

Spürbaren Gegenwind gibt es kaum noch. Das liegt auch daran, dass es in dem ländlich geprägten Landkreis an anderen Jugendangeboten fehlt. Viele Jugendclubs mussten in den letzten Jahren schließen. „Es ist deprimierend zu sehen, dass Jugendliche, die nicht rechts sind, hier spätestens nach der Ausbildung wegziehen. Wir versuchen, gegenzusteuern und zu zeigen, dass es auch hier Raum für Alternativen gibt. Wir wollen den Blickwinkel der Leute ein bisschen weiten und einen Ort schaffen, an dem sich nicht-rechtsextreme junge Menschen ausleben können, ohne angepöbelt zu werden oder Gewalt zu erleben“, betont Frodo. Über die Festivalzeit hinaus kooperiert der Verein deshalb auch mit anderen lokalen Musikprojekten und Bands.

Nachdem „Dreckig und bunt“ 2024 kurzfristig wegen eines heftigen Unwetters abgesagt werden musste, sind Vlo und Frodo froh, dass in diesem Jahr alles erfolgreich und störungsfrei gelaufen ist. „Rechtsextreme Gruppen haben seit Corona ihre Social-Media-Kanäle stark ausgebaut, die Radikalisierung junger Menschen im Netz ist professionell organisiert. Auch das ist eine Herausforderung für uns“, sagt Vlo. Statt Wettbewerb setzen die beiden auf Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen regionalen und überregionalen Konzertveranstaltenden und Vereinen, die mit ähnlichen Herausforderungen rechtsextremer Hegemonie zu kämpfen haben.

Trotzdem weitermachen gegen rechtsextremen Flächenbrand

Die Bedrohungslage für das Festival ist für Vlo und Frodo ein zentrales Thema. Bisher gebe es Rückhalt in Veilsdorf, der Festivaltermin wird im Amtsblatt des Ortes veröffentlicht. Gezielte Angriffe hat es bisher nicht gegeben. „2022 ist ein Mitglied des BZH aufs Festivalgelände gekommen. Wir haben ihn freundlich, aber bestimmt aufgefordert zu gehen“, beschreibt Frodo. „Uns ist es wichtig, dass es friedlich bleibt, wir wollen keine gewaltsamen Auseinandersetzungen und keine Eskalation.“ Mit der Förderung der Amadeu Antonio Stiftung wurden Sicherheitsmaßnahmen finanziert und eine professionelle Security engagiert, die nicht im Verdacht steht, mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten.

Manchmal kommt das Festival-Team an Belastungsgrenzen, denn alle arbeiten ehrenamtlich. Zu den organisatorischen Aufgaben kommt der Druck von außen: „Wer aus der Reihe tanzt, muss mit Sanktionen rechnen. Das hält viele davon ab, sich zu engagieren oder den Mund aufzumachen“, beschreibt Vlo. Er fordert mehr politischen Rückhalt und staatliche Unterstützung: „Rechtsextremismus ist ein Flächenbrand. Wir allein fühlen uns dem Ausmaß nicht gewachsen“, sagt er und kritisiert, dass Menschen häufig allein gelassen werden, wenn sie Angriffe und Gewalt erleben. „Wegen der Netzwerke um Tommy Frenck wurde die Polizeipräsenz erhöht, aber das hilft nur wenig. Meist kommen die Beamt*innen erst dann, wenn schon etwas passiert ist. Rechtsextreme Straftaten werden kaum verfolgt oder mit niedrigen Strafen geahndet. Man hört immer noch viel Verharmlosendes. Angriffe werden zum Beispiel als ‚Streit zwischen Jugendlichen‘ abgetan. Auch deshalb können sich Neonazis hier in der Region seit vielen Jahren wohlfühlen und sind gern gesehene Gäste.“

Wie ist es unter diesen Umständen überhaupt möglich, ein politisches Punkfestival zu organisieren, das für demokratische Werte eintritt und Rechtsextremismus bekämpfen will? „Man muss weitermachen. Wenn niemand mehr was sagt, dann haben die gewonnen. Dagegenstellen, das ist ganz wichtig!“

Der Artikel erschien ursprünglich bei Belltower.News.

Weiterlesen

Symbolbild Gamescom 2025_Unsplash
Analyse

Gamescom 2025: Wie Rechtsextreme Gaming instrumentalisieren

„Games – Perfekte Unterhaltung“ lautet das Motto der diesjährigen Gamescom, die vom 20. bis 24. August in Köln stattfindet. Das größte Videospiel-Event Europas lockt jährlich Hunderttausende in die Messehallen und unterstreicht die Relevanz und Vielschichtigkeit der Gaming-Kultur. Auch Rechtsextreme versuchen seit Jahren, Videospiele und ihre Plattformen zu instrumentalisieren. Zeit für eine Bestandsaufnahme und einen differenzierten Blick auf Rechtsextremismus und Gaming.

Sachsenhausen-Stele-1280x720
Analyse

Ideologie: Was ist eigentlich Sozialdarwinismus?

Sozialdarwinismus tötet – und er steckt nicht nur in rechter Gewalt, sondern auch in alltäglichen Einstellungen der „Mitte“. Der Text zeigt, wie die Einteilung in „wertvoll“ und „nutzlos“ historisch gewachsen ist, bis heute wirkt – und warum sie brandgefährlich bleibt.

Bleib informiert!

Melde dich jetzt zum Newsletter an und verpasse keine unserer nächsten Publikationen!

Schön, dass du dich für unsere Publikation interessierst! In unserem monatlichen Newsletter erhältst du spannende Einblicke in den Alltag demokratischer Zivilgesellschaft und in unsere Arbeit.
Publikation bestellen Publikation lesen