Sicherheit ist in Deutschland ungleich verteilt. Die Kampagne „Meine Sicherheit“ der Amadeu Antonio Stiftung rückt die Perspektiven von Menschen in den Mittelpunkt, die Rassismus erleben und zeigt, was sie wirklich brauchen, um sich sicher(er) zu fühlen. Ein Interview mit Tahera Ameer.
In dieser Woche startet die Kampagne „Meine Sicherheit“ der Amadeu Antonio Stiftung, die in diesem Jahr vor allem in Berlin sichtbar ist und rund um den Amadeu Antonio Preis sowie den Todestag von Amadeu Antonio am 6. Dezember auch in Eberswalde ausgespielt wird. Die Kampagne rückt die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt, die von Rassismus betroffen sind. Im Fokus steht dabei das Thema Sicherheit, verstanden aus der Perspektive der Betroffenen selbst. So soll der politische und mediale Diskurs bewusst umgedreht werden: Statt Migration als vermeintliche Gefahr zu verhandeln, machen wir sichtbar, was Sicherheit für Menschen, die Rassismus erleben, in ihrer ganzen Vielfalt bedeuten kann.
Die Amadeu Antonio Stiftung fragt: Was brauchen Betroffene von Rassismus von Gesellschaft, Sicherheitsbehörden, Politik und Medien, um sich sicher(er) zu fühlen? Und: Welche Räume, Entscheidungen und Narrative müssen wir verändern, damit Sicherheit für alle möglich wird?Weshalb sollten wir gerade jetzt über Rassismus sprechen?
Tahera Ameer: Rassismus ist keine Randerscheinung und kein historisches Phänomen, sondern eine Realität, die das Leben vieler Menschen in Deutschland tagtäglich prägt. Wir erleben aktuell eine gesellschaftliche Zuspitzung: Rassistische Sprache normalisiert sich, politische Debatten entmenschlichen ganze Gruppen, und rechtsextreme Mobilisierung nimmt zu.
Gerade deshalb müssen wir jetzt über Rassismus sprechen, nicht abstrakt, sondern aus der Perspektive der Menschen, die davon betroffen sind. Es geht darum, sichtbar zu machen, was sie erleben, und Verantwortung dafür zu übernehmen, welche Folgen öffentliche Debatten und politische Entscheidungen für ihr Sicherheitsgefühl haben.
Rassismus bedroht nicht nur einzelne Menschen, sondern unsere demokratische Kultur. Ihm entgegenzutreten, ist eine zentrale Aufgabe unserer Zeit.
Die Amadeu Antonio Stiftung ist benannt nach einem der ersten Todesopfer rechter rassistischer Gewalt im wiedervereinigten Deutschland. Welche Perspektive möchte die Stiftung sichtbar machen, worauf möchte sie aufmerksam machen?
Tahera Ameer: Unser Name verpflichtet uns. Amadeu Antonio steht stellvertretend für viele Menschen, deren Leben durch rassistische Gewalt beendet oder geprägt wurde. Wir möchten ihre Perspektiven sichtbar machen, nicht als Opfer, sondern als Menschen mit Rechten, Bedürfnissen und Stimmen, die in der gesellschaftlichen Mehrheitskommunikation viel zu selten gehört werden.
Was braucht es, damit gesellschaftliches Handeln tatsächlich dazu beiträgt, rassistische Strukturen abzubauen?
Tahera Ameer: Die Stiftung macht aufmerksam auf die Kontinuitäten rassistischer Strukturen, auf den alltäglichen Rassismus, der oft unsichtbar bleibt, und auf die Verantwortung von Politik, Medien und Institutionen, diesem entgegenzutreten. Wir zeigen: Rassismus entsteht nicht im luftleeren Raum. Er ist das Ergebnis von Diskursen, Entscheidungen und Machtverhältnissen und kann nur durch gesellschaftliches Handeln überwunden werden.
In der Kampagne „Meine Sicherheit“ wird deutlich, dass Sicherheit ein ungleich verteiltes Gut ist und Menschen, die von Rassismus betroffen sind, häufig Angst vor Abwertungen und Angriffen haben. Was bedeutet das für uns als Gesellschaft? Was müssen wir tun?
Tahera Ameer: Das Gefühl von Sicherheit ist für viele Menschen in unserer Gesellschaft nicht gegeben. Wenn Sicherheit ungleich verteilt ist, dann ist auch Demokratie ungleich verteilt. Ungleiche Sicherheit, ungleiche Demokratie eben. Menschen, die ständig mit Abwertungen, Kontrolle oder Gewalt rechnen müssen, haben weniger Freiheit, weniger Zugang zu öffentlichen Räumen und weniger Vertrauen in Institutionen.
Als Gesellschaft müssen wir uns fragen: Wessen Sicherheit wird geschützt und wessen nicht? Und welche Narrative reproduzieren wir, wenn wir Migration als Gefahr diskutieren, statt die Bedrohungen ernst zu nehmen, die Menschen, die von Rassismus betroffen sind, tatsächlich erleben?
Was braucht es zur Verbesserung?
Tahera Ameer: Wir müssen den Diskurs verändern, solidarische Räume schaffen und Institutionen befähigen, rassismuskritisch zu handeln. Sicherheit bedeutet nicht nur, dass etwas nicht passiert, sie bedeutet, dass Menschen wirklich dazugehören können. Diese Verantwortung tragen Medien, Politik, Sicherheitsbehörden und jede einzelne Person.
Das Gefühl von Sicherheit zeigt sich nicht nur in körperlicher Unversehrtheit, sondern hat auch viel mit Teilhabe und Zugehörigkeit zu tun. Wo siehst du hier die größten strukturellen Herausforderungen?
Tahera Ameer: Eine der größten Herausforderungen ist, dass unsere gesellschaftlichen Strukturen nicht für alle Menschen die gleichen Bedingungen schaffen. Ob im Bildungssystem, auf dem Wohnungsmarkt, im Gesundheitswesen oder in Sicherheitsbehörden, rassistische Ausschlüsse ziehen sich durch viele Bereiche.
Hinzu kommt: Zugehörigkeit entsteht nicht nur durch Rechte, sondern durch Anerkennung. Wenn Menschen in Medien oder Politik immer wieder als Gefahr dargestellt werden, vermittelt das, dass sie nicht als Teil dieser Gesellschaft gesehen werden. Diese symbolische Abwertung hat reale Folgen für ihr Sicherheitsgefühl und ihre Teilhabechancen.
Strukturelle Veränderung bedeutet deshalb: Institutionen müssen rassistische Muster erkennen und abbauen. Sie müssen Betroffene ernst nehmen, Diskriminierung konsequent sanktionieren und Räume schaffen, in denen Menschen ohne Angst teilhaben können. Sicherheit entsteht dort, wo Menschen wissen: Ich werde gesehen, gehört und geschützt.
Die Zitate, die in der Kampagne sichtbar werden, zeigen sehr unterschiedliche Perspektiven, Empfindungen und Erfahrungen.
Tahera Ameer: Die Zitate sind bewusst vielstimmig, weil Rassismus nicht nur eine Erfahrung ist, sondern viele. Sie zeigen, wie unterschiedlich Menschen von Rassismus betroffen sind und wie vielfältig die Dimensionen von Sicherheit für sie aussehen: körperliche Sicherheit, emotionale Sicherheit, institutionelles Vertrauen, sozialer Schutz, Zugehörigkeit.
Für Personen, die nicht von Rassismus betroffen sind, mögen diese Aussagen irritierend oder schwer greifbar sein. Was ist die Bedeutung dieser Vielstimmigkeit, und welches Ziel verfolgt die Kampagne damit?
Tahera Ameer: Für Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, können manche Aussagen herausfordernd oder nicht sofort nachvollziehbar sein. Aber genau darin liegt die politische Kraft dieser Kampagne: Sie bricht etablierte Vorstellungen auf und verschiebt den Diskurs. Sie zeigt, dass Sicherheit kein universelles, für alle gleiches Gefühl ist, sondern ein ungleich verteiltes Gut.
Und abschließend noch eine Frage in die Zukunft gerichtet: Was macht dir Mut?
Tahera Ameer: Mir gibt Kraft, wie viele Menschen trotz ihrer Erfahrungen weiter für sich und andere einstehen. Ihre Stärke berührt mich. Mut geben mir auch diejenigen, die solidarisch handeln und nicht wegsehen. Veränderung passiert nicht von selbst, sondern weil Menschen sich dafür einsetzen.


