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Hintergründe

Wahl der kommunalen Spitzenämter: Rechtsextreme Landräte in Sachsen?

Unterschätzte Wahlen 

Am 12. Juni können die Bewohner:innen Sachsens nicht nur über die Bürgermeister:innen von über 200 Kommunen abstimmen, auch in neun der zehn sächsischen Landkreise wird am Sonntag darüber entschieden, wer ihnen über die nächsten Jahre als Landrät:in vorstehen wird. Was im Normalfall nach nichts Besonderem klingt, bekommt in diesem Jahr in Sachsen eine nicht zu unterschätzende Brisanz: In Sachsen besitzt die AfD ihre stärkste Wähler:innenschaft; auf Bundes- und Landesebene war der Freistaat zuletzt ein Garant für eine hohe Zahl an Direktmandaten. Die Ebene von Landrät:innen- und Bürgermeister:innenamt, zurzeit fest in Hand der CDU, bildete bis jetzt eine erstaunliche Leerstelle. Dieses Jahr sieht es allerdings so aus, als könnte die rechtsextreme Partei auch einige dieser kommunalen Spitzenposten erstmals für sich gewinnen. Aber nicht nur die AfD steckt große Hoffnungen in die anstehenden Wahlen, auch die erst 2021 gegründete rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen versucht, Stimmen zu gewinnen.

Vielleicht noch weniger als die anstehende Wahl der Bürgermeister:innen bekommt die Wahl der Landrät:innen Aufmerksamkeit und wird gern in ihrer politischen Bedeutung unterschätzt: Wie die Bürgermeister:innen werden sie direkt gewählt und das für eine verhältnismäßig lange Zeit von sieben Jahren. Sie vertreten den Landkreis, sind Vorsitzende:r des Kreistages und Leiter:in der Kreisverwaltung. Landrät:innen verfügen zudem über verhältnismäßig hohe Gelder und sind in der Regel angesehene Persönlichkeiten, die den Kreis nach außen sichtbar vertreten. So bestimmen sie auch über zivilgesellschaftliche Projekte und entscheiden über Budgets; sie können ungeliebte Projekte im Zweifelsfall wieder einstampfen. Auch hier geht es also um ein Amt mit besonders hoher Verantwortung und verhältnismäßig viel Macht. Viel Macht, die auch Demokratiefeind:innen für sich nutzen wollen.

Kriseln im Bund, all eyes on Sachsen.

Bundesweit befindet die sich AfD aktuell eher im Abwärtstrend und auch in manchen Bundesländern musste sie zuletzt um ihren Wiedereinzug in die Parlamente kämpfen. In Sachsen hat die AfD zugleich die höchsten je gemessenen Umfragewerte von 28 % und liegt als stärkste Kraft ganz vorne. Auch die kommunale Verankerung im Freistaat schreitet weiter voran. In der anstehenden Wahl der Landrät:innen sieht die AfD nun erneut eine gute Möglichkeit, diese Basis weiter auszubauen. Über sie wird per Direktwahl entschieden: Erhält ein:e Kandidat:in mehr als die Hälfte der Stimmen, gilt sie als gewählt, ansonsten kommt es zur Entscheidung in der zweiten Runde am 3. Juli.

Nicht zuletzt weil die AfD bereits bei der vergangenen Bundestagswahl außerhalb der großen Städte fast alle Direktmandate holen konnte, stehen die Chancen nicht schlecht, einige der bisher ausschließlich durch CDU-Kandidaten geführten Landkreise diesmal für sich zu gewinnen. Dazu kommt: Nur drei der bisherigen Amtsinhaber stellen sich zur Wiederwahl. Auch die AfD selbst scheint sich – vielleicht gerade wegen des eigenen Schwächelns auf anderen Ebenen – der besonderen Bedeutung bewusst und bündelt ihre Kräfte: Sechs der aufgestellten AfD-Kandidaten sind Landtagsabgeordnete, allein drei von ihnen sitzen im Fraktionsvorstand. Eine ungewohnt prominente Besetzung. Hinzu kommt: Im Falle eines Wahlsieges könnten die Landtagsmandate wegen eines Fehlers bei der Listenaufstellung nicht nachbesetzt werden. Ein Verlust, den die AfD offensichtlich gerne bereit ist in Kauf zu nehmen, um ihre Bedeutung auf Landkreisebene weiter voranzutreiben. Wie bedeutsam der anstehende Wahltag für die Partei ist, unterstrich Sachsens AfD-Chef Jörg Urban zuletzt noch einmal gegenüber der Presse: “Ein Erfolg würde auf ganz Deutschland ausstrahlen.”

Freie Sachsen als Bündnispartner 

Unter den Kandidaten der AfD tummeln sich wie gewohnt Politiker, die Demokratie und Rechtsstaat ablehnen. Rassisten wie Rolf Weigand aus Mittelsachsen beispielsweise, der Asylbewerber:innen abschieben wollte, um ukrainische Geflüchtete unterzubringen. Aber die Kandidaten der AfD sind nicht die einzigen Rechtsextremen auf dem Wahlzettel der Sachsen. Auch die Freien Sachsen stehen in gleich drei sächsischen Landkreisen zur Wahl. Darunter Stefan Hartung, ein vom Verfassungsschutz beobachteter NPD-Funktionär, der sich zuletzt vor allem auf dem Feld der Corona-Proteste zu profilieren versuchte. Noch brisanter als die Personalien der rechtsextremen Kleistpartei ist allerdings folgender Aspekt: Während die Freien Sachsen in einigen Landkreisen mit der AfD konkurrieren, spricht die Partei in anderen Wahlkreisen, in denen sie selbst nicht antritt, ihre offizielle Unterstützung für den Kandidaten der AfD aus: So etwa im Vogtland oder dem Landkreis Leipzig. Ziel dieser partiellen Bündnisarbeit scheint zu sein, über die Besetzung der kommunalen Spitzenposten eine Art rechtsradikale Opposition gegen die bestehende Landespolitik auf den Weg zu bringen.

Wahltaktiken und langfristige Gegenstrategien 

Der drohenden Gefahr künftiger AfD-Landräte versuchen die demokratischen Parteien teilweise ebenfalls mit Bündnisarbeit zu begegnen. In Bautzen etwa haben sich Grüne, SPD und Linke zur Unterstützung einer gemeinsamer Kandidatin zusammengefunden. In Leipzig versammeln sich fast alle Parteien hinter dem CDU-Kandidaten Henry Graichen. Spannend könnte es vor allem in einer zweiten Runde werden. So könnte es sein,  dass sich die CDU zwischen dem “progressiven” Bündnis und der AfD positionieren müsste.

Letztlich liegt die Verantwortung für diesen Ausgang natürlich in der Hand der Wähler:innen in Sachsen. Sie entscheiden am Sonntag so auch darüber, ob die rechte Mehrheit künftig die Chance hat, auch zivilgesellschaftliche Projekte zu erschweren oder zu verhindern. Von diesem Engagement bräuchte es in Sachsen auch unabhängig vom Ausgang der Wahl mehr, nicht weniger. Politische Bildung, mehr Diversität und eine gestärkte Zivilgesellschaft sind zentral, um der drohenden rechtsextremen Hegemonie etwas entgegenzusetzen. Das bedeutet nicht zuletzt auch eine flächendeckende Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Demokratiefeindschaft, dem Nährboden der drohenden Erfolge.

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