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Positionspapier

Bauen wir Zukunft: Mit Infrastruktur Demokratie stärken

Mit dem geplanten Infrastruktursondervermögen von bis zu 500 Milliarden Euro planen die Bundesregierung und Bundesländer eine der größten öffentlichen Investitionsoffensiven der Nachkriegsgeschichte. Das Sondervermögen bietet die einmalige Gelegenheit, Deutschland klimaneutral, wirtschaftlich und infrastrukturell zu modernisieren und dabei die Demokratie zu stärken.

Doch Zukunftsfähigkeit bedeutet mehr als Schienen, Stromtrassen und Serverkapazitäten. Wer die Transformation nachhaltig gestalten will, muss auch die demokratische Substanz des Landes stärken – insbesondere dort, wo das Vertrauen in Staat und Institutionen bereits brüchig ist.

Zum Download: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2025/06/Verbaende-und-Zivilgesellschaft_Bauen-wir-Zukunft.pdf

Demokratie ist Standortfaktor – und Sicherheitsfaktor

In vielen Regionen – insbesondere strukturschwachen – fehlt es nicht nur an technischer Infrastruktur, sondern auch an öffentlicher Sichtbarkeit, Beteiligung und demokratischer Anbindung. Gerade junge Menschen erleben den Staat zunehmend als fern und unzugänglich. In diesen Räumen gedeiht die populistische Erzählung vom Staatsversagen – und Lücken staatlicher Versorgung werden von rechtsextremen Kräften gezielt genutzt.

Diese Leerstelle ist sicherheitspolitisch relevant. Laut Verfassungsschutzbericht 2024 ist die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten um 47 % auf über 37.800 Fälle gestiegen. Besonders auffällig ist die Herausbildung einer neuen rechtsextremen Jugendkultur – digital vernetzt, aktionsorientiert, häufig gewaltbereit und sogar terroristisch vereinigt. Wachsende Gewalt gegen Kulturzentren und queere Räume, CSDs und die demokratische Zivilgesellschaft zeigt, dass diese Entwicklungen nicht marginal sind. Rußlands hybrider Krieg gegen die liberalen Demokratien verstärkt gezielt politische Polarisierung und die Verbreitung von Falschinformationen. Stärkung demokratischer Resilienz gegen Bedrohungen von innen und außen muss ein Ziel der umfassenden Investitionen sein.

Demokratieförderung – insbesondere durch soziale Orte, Jugendbeteiligung, politische Bildung, Medienkompetenz und zivilgesellschaftliche Infrastruktur – ist Voraussetzung für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Sicherheit sowie Fachkräftegewinnung und wirtschaftliche Wachstumsfähigkeit. Wo Demokratie nicht funktioniert und Menschen Angst haben, gerät auch Transformation ins Stocken.

Investitionen müssen ankommen – und verbinden

Damit das Sondervermögen wirkt, muss es dort ankommen, wo Menschen die Transformation unmittelbar erleben. Es braucht Investitionen, die das Leben spürbar verbessern: durch funktionierenden ÖPNV, moderne Schulgebäude, oder neue Wärmenetze, die Zugang zu erneuerbarer Energie schaffen. Diese Maßnahmen sind mehr als die Summe ihrer Teile: Sie erhöhen nicht nur die Lebensqualität, sondern schaffen Vertrauen.

Doch Infrastruktur allein reicht nicht. Auch Orte der Begegnung, Beteiligung und Demokratie müssen entstehen – vor allem in Regionen, in denen sich viele Menschen abgewendet haben. Hier kann das Sondervermögen zeigen: Der Staat sieht euch, öffnet Räume, hört zu – und lässt mitgestalten.

Beteiligung schützt Demokratie

Die Demokratieforschung ist eindeutig: Beteiligung ist ein wirksamer Schutzfaktor gegen Radikalisierung. Studien des Berlin-Instituts, des WZB, der Bertelsmann Stiftung, des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen, des IDZ Jena und der Universität Leipzig zeigen: Wer sich wirksam beteiligen kann, ist weniger anfällig für autoritäre, rechtsextreme und verschwörungsideologische Narrative. Besonders in strukturschwachen Räumen kann Beteiligung verlorenes Vertrauen zurückbringen – und demokratische Resilienz stärken.

Unsere Empfehlungen

Damit das Investitionspaket nicht nur Wachstum, sondern auch demokratische Resilienz stärkt, braucht es klare Leitplanken:

1. Demokratische Kultur als Querschnittsziel

Alle Maßnahmen des Sondervermögens sollten systematisch auf ihre Wirkung für gesellschaftliche Teilhabe, Repräsentanz und Zusammenhalt geprüft werden – analog zu Nachhaltigkeitskriterien.

2. Vorrang für strukturell benachteiligte Regionen und Einrichtungen

Die Mittelvergabe sollte dort ansetzen, wo das Vertrauen in staatliches Handeln besonders fragil ist – etwa über einen demokratiepolitisch sensiblen Sozialindex. Überdies bieten sich entlang der Fördermaßnahmen Chancen, gezielt Kompetenzen zu fördern und den Zugang zu Bildung und Beteiligung zu erweitern, die den Mehrwert eines modernen Deutschland für alle erfahrbar machen.

3. Feste Anteile für soziale Infrastruktur

Mindestens fünf Prozent des Gesamtvolumens sollten verpflichtend in demokratierelevante Räume fließen – darunter Jugendzentren und Orte der Jugendverbandsarbeit, Demokratieläden, Stadtteilforen und Orte der Begegnung.

4. Verbindliche Beteiligungsverfahren

Die Stärkung der Handlungsfähigkeit von Kommunen und Maßnahmen wie kommunale Investitionsbeiräte mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung können sicherstellen, dass Maßnahmen vor Ort legitimiert, bedarfsorientiert und wirkungsvoll sind. Diese sollten wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden.

5. Synergien mit Programmen für politische Bildung und Gewaltprävention schaffen

Über das Infrastruktursondervermögen hinaus sollte weiterhin in Programme für politische Bildung, Medienkompetenz und präventive Jugendarbeit investiert werden. Die Förderung für junge Menschen in ländlichen und strukturschwachen Regionen mindert die Anfälligkeit für extremistische Narrative und stärkt Teilhabe- und Zukunftsperspektiven. Die Studie „Wer sind die Neuen?“ (Campact & DPZ 2025) zeigt: Demokratische Bildung ist ein zentraler Baustein, um Radikalisierung vorzubeugen – und gesellschaftliche Stabilität langfristig zu sichern.

Demokratie mitdenken heißt: Zukunft sichern

Wer heute in Infrastruktur investiert, gestaltet auch das gesellschaftliche Fundament von morgen. Demokratie darf dabei kein Nebengedanke bleiben. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Wandel gelingt, Konflikte produktiv bearbeitet werden – und junge Menschen die Zukunft mitgestalten wollen.

Noch ist offen, wie die Mittel konkret vergeben werden. Noch ist Zeit, Demokratie mitzudenken.

Dieser Aufruf wird mitgetragen von:

Timo Reinfrank, Amadeu Antonio Stiftung

Julia Paaß, Netzwerk Zukunftsorte
Henning Flad, Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus (BAG K+R)

Gökay Sofuoglu und Aslihan Yesilkaya Yurtbay, Türkische Gemeinde in Deutschland

Heiko Klare, Bundesverband Mobile Beratung

Prof. Dr. Katrin Großmann, 

Forschungskollektiv Peripherie & Zentrum (FPZ), FH Erfurt

Dr. Romy Reimer, FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V., Bundesvereinigung

Olaf Ebert, Stiftung Bürger für Bürger

Matthias Petzold, SUPERBLOCKS Leipzig e.V.

CAIA Academy gGmbH

Sophie Renz, Leipzig+Kultur e.V.

Michael Nattke, Kulturbüro Sachsen e.V.

Jutta Hieronymus, ECOnGOOD / Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V.

Michael Kreutzmann, ECOnGOOD Gemeinwohl-Ökonomie Hamburg

Ludger Lemper, KulturMarktHalle e.V. – Stadtteilzentrum Prenzlauer Berg OST

Friedrich Rohde, KIEZconnect e.V.
Frederik Fischer, Neulandia

Ariane Jedlitschka, Helden wider Willen e.V.

Andreas Stäbe, Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC)

Mamad Mohamad, Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V.

BI Wuhlheide, Berlin

Extinction Rebellion Bergedorf

André Kranich, Flechtwerk Almerswind Christian von Oppen, Gutshaus der Zukunft Altfriedland

Gero von Barnewitz, Bahnhofszeit, Nauen

Anna Mauersberger, Die Station (Kulturhafen Au e.V.), Windeck

Heiko Kolz, Alsenhof Kreativzentrum Lägerdorf

Stefan Willuda und Kristina Klessmann, Beta Hof, Rethem

Eltern gegen Rechts Facilitators for Future

Christine Becker, Salutoconsult

Bündnis LokalStark – Stadtteilzentren Pankow von Berlin
Hans-Albrecht Wiehler, CoWorkLand

Steffen Richter, German Coworking Federation e.V. – Bundesverband Coworking Deutschland

Martina Schmeink, Das Demographie Netzwerk e.V.

Anselm Maria Sellen, HeartWire – Kreativlabor für gesellschaftliche Herzensbildung

Melissa Pirouzkar-Moser, ZOON e.V.

Grit Körmer, Dorfbewegung Brandenburg e.V.

Hand in Hand #WirSindDieBrandmauer

Silvia Harth, Urbane Nachbarschaft Mirke gGmbH

Nina Katz, diversu e.V.

Antares Reisky, Ulab DACH Hub
Jan Pehoviak, KLuG – Köln Leben & Gestalten e.V.

Elke Fein, Institut für integrale Studien (IFIS) e.V., Freiburg (Einzelzeichnung)

Matthias Lenssen, Brainpix GmbH

Florian Michaelis, Graadwies GmbH

Kasia Wojcik, Berlin Polyphon

Sebastian Schlecht, lala.ruhr

Adrian Schefer, Marktplatz Waldschänke GmbH, Stahnsdorf

Cyrus Dominik Khazaeli, Projektraum-Drahnsdorf GbR

Amelie Salameh, Himmel und Humus GbR

Dr. Inga Ganzer, raumdeuter GbR

Wiebke Wilkens, Ankerplatz Stade e.V.

Canan Aksu, Über den Tellerrand e.V.

Julia Nagel, Annika Heinrichs und Peter Neuberger, Ein Ding der Möglichkeit e.G.

Heiko Kolz, PEOPLE PLACES PURPOSE

Prof. Dr. Renée Tribble, StädteBauProzesse, TU Dortmund

Johannes Milke und Amelie Salameh, Wir bauen Zukunft eG

Hanna Stoff, fint e.V. Gemeinsam Wandel Gestalten

Martin Strobel, goals connect e.V.

 

Diese Empfehlungen wurden von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Bereich der Demokratie- und Beteiligungsförderung, der politischen Bildung und des Engagements formuliert. Wir stehen für weiterführende Gespräche und Fachinput zur Verfügung.

Kontakt: Anne Isakowitsch, Zukunft Demokratie, anne@zukunftdemokratie.org 

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