Seit fast 20 Jahren betrauern Neonazis in einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern das Ende des Dritten Reiches. Alljährlich ruft die rechtsextreme Partei „Die Heimat“, früher NPD, am 8. Mai zu einem sogenannten „Trauermarsch“ auf und trägt ihren Geschichtsrevisionismus offen auf die Straßen Demmins. Kurz vor Kriegsende hatten sich in der Kleinstadt mehrere hundert Frauen, teils mit ihren Kindern, selbst umgebracht. Das Aktionsbündnis 8. Mai veranstaltet jedes Jahr eine Gegenveranstaltung, um den Rechtsextremen nicht die Deutungshoheit über die Geschichte zu überlassen. Die Amadeu Antonio Stiftung hat die Veranstaltungen rund um die Befreiungsparty in Demmin mit einer Projektförderung finanziell unterstützt.
Von Luisa Gehring
Aus ganz Norddeutschland reisten am 8. Mai Menschen nach Demmin. Vor dem Bahnhof der ostdeutschen Kleinstadt stauten sich Busse aus Hamburg, Berlin, Rostock und Hannover. 3.500 Menschen seien dem Aufruf des „Aktionsbündnis 8. Mai“ gefolgt, erzählt die Pressesprecherin: „Wir waren fassungslos, wie viele Menschen gekommen sind“. Unterstützung gab es auch vom berühmten, mit Scheinwerfern, Sirenen und Störsendern ausgestatteten Demo-Bus „Adenauer“ des Zentrums für politische Schönheit, den viele bereits von anderen Kundgebungen in ganz Deutschland kennen. Die Befreiungsparty auf dem Demminer Barlachplatz hat beinahe Volksfestcharakter und lockte mit Bühne und Live-Bands sogar Menschen aus dem angrenzenden Altersheim an. Auch den Gegendemonstrant*innen wurde viel Zustimmung der Stadtbevölkerung entgegengebracht. Viele winkten ihnen von ihren Balkonen aus zu. Die Übermacht der Gegendemo war in der Stadt offensichtlich, meint die Pressesprecherin des Aktionsbündnisses. So viel Zuspruch habe es noch nie gegeben.
Es wurde das Kriegsende gefeiert und gleichzeitig gegen die rechtsextreme Geschichtsverdrehung und Raumnahme demonstriert. Und das mit Erfolg: Zum ersten Mal konnten die rund 290 schwarz gekleideten Neonazis ihren Fackelmarsch nicht auf ihrer gewohnten Route durch die Innenstadt zum Hafen abhalten. Ihr alljährliches Ritual der Kranzniederlegung in die Peene fiel gänzlich ins Wasser. Mit den Kränzen im Gepäck fuhren die Rechtsextremen schon früh wieder nach Hause. Die Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung gingen noch bis in die späten Abendstunden im Stadtzentrum.
Bereits im letzten Sommer haben die Planungen für das 80-jährige Befreiungsjubiläum begonnen. Mit ihrem Engagement machen sich die Aktiven auch zur offenen Zielscheibe für Übergriffe von Neonazis. Eingeworfene Fensterscheibe, rechtsextreme Sticker und Vermummte, die Veranstaltungen für Geflüchtete stören, tragen zur allgemeinen Bedrohungslage bei. Es wird unverblümter, seit die AfD so hohe Ergebnisse erzielt, erzählt die Pressesprecherin. Bei der Bundestagswahl stimmten 47,3 Prozent der Demminer*innen für die rechtsextreme Partei.
Das Aktionsbündnis bleibt aber optimistisch. „Wir machen weiter!“ Ziel sei, dass den Rechtsextremen irgendwann die Lust am „Trauermarsch“ verginge. Mit den Aktionen um den diesjährigen 8. Mai wurde bereits ein starkes Zeichen gesetzt: Weder das Gedenken noch die Straße wird in Demmin den Rechtsextremen überlassen. Den einzigen Trauerkranz, allerdings allen Opfer des Nationalsozialismus gewidmet, legte in diesem Jahr das Aktionsbündnis 8. Mai in die Peene.