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CSD Bautzen: Gewalt-Aufmarsch mit Ansage

Symbolbild (Quelle: Dominik Lenze)

18 Ermittlungsverfahren wurden nach dem Neonazi-Aufmarsch in Bautzen eingeleitet. Die Rechtsextremen skandierten Gewaltandrohungen und ließen den Worten Taten folgen. Die Polizei schritt ein – allerdings anders als erhofft.

Von Dominik Lenze

Zwischen 3.000 und 4.000 Menschen nahmen am inzwischen dritten CSD in Bautzen teil, noch einmal deutlich mehr als im Vorjahr. Ein wichtiges Zeichen, gerade im sächsischen Hinterland: 2024 war Bautzen zum symbolträchtigen Tiefpunkt queerfeindlicher Neonazi-Proteste geworden: Etwa 700 Rechtsextreme kamen in die sächsische Mittelstadt, um gegen den CSD zu demonstrieren. Am Bahnhof verbrannten sie eine Regenbogenflagge und skandierten im Pulk: „Zünd sie an!“.

In diesem Jahr nahmen nach Polizeiangaben 500 Neonazis an dem Aufmarsch teil – weniger als im Vorjahr, doch nicht weniger gewaltbereit. Vor Ort waren Mitglieder der NPD (inzwischen „Die Heimat“) sowie der „Jungen Nationalisten“ (JN), der Jugendorganisation der Partei. Die Freien Sachsen waren mit einem Stand vor Ort, außerdem reisten junge Neonazi-Gruppen wie „Deutsche Jugend voran“ aus Berlin an, dazu andere extrem rechte Demo-Tourist*innen. Die Neonazi-Rapgruppe „Neuer Deutscher Standard“ (NDS) gab zu Beginn der Versammlung ein Konzert.

Über die queerfeindlichen Demonstrationen kommen Nachwuchs-Neonazis wie DJV in Kontakt mit etablierten Strukturen wie NPD und JN. Der Hass auf alles, was nicht heterosexuell ist, dient dabei als Einfallstor in weitere Bereiche extrem rechter Ideologie. Beispielhaft dafür steht ein junger Teilnehmer, der auf seinem T-Shirt seine „Solidarität“ mit der bereits verstorbenen Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck bekundete.

Die extrem rechten Kader wissen, mit welcher Altersgruppe sie es zu tun haben: „Am Montag beginnt die Schule wieder, es sind trotzdem sehr viele Leute zusammengekommen“, freute sich Stefan Trautmann, Doppel-Funktionär für NPD und Freie Sachsen, in seiner Rede. „Wir lassen uns aber nicht zu, dass es hier solche geistigen Minderheiten da drüben versuchen uns unsere Identität zu zerstören“(sic!), fuhr er fort. „Es gibt nur Mann und Frau und wir sind die Normalität. Wir wollen, dass es in zehn oder zwanzig Jahren immer noch unsere Geschlechterrollen gibt“, erklärte der Neonazi. Jedes Geschlecht habe „seine Wichtigkeit in unserem Volk“.

Auch ältere, vermeintlich bürgerliche Personen schlossen sich in kleiner Zahl dem Aufmarsch an. Männer im Rentenalter brüllten selbst bei Gewaltaufrufen wie „Wir kriegen euch alle“ mit. Ein Mann, der sich als AfD-Mitglied zu erkennen gab, erklärte einem Reporter: „CSD brauchen wir in Bautzen nicht.“ Auf den Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei in Bezug auf „Die Heimat“ angesprochen, zuckte er nur mit den Schultern: „Das ist hier eine öffentliche Veranstaltung.“ Im Hintergrund skandierten Neonazis: „Es gibt kein Recht auf Homo-Propaganda.“

Die AfD Bautzen hatte bereits im Vorfeld Stimmung gegen den CSD gemacht und versucht, diese als linksextreme Veranstaltung umzudeuten, unter anderem aufgrund eines Instagram-Posts einer Antifa-Gruppe. Auch das AfD-nahe „Bürgerbündnis Bautzen“ schwadronierte in einem Brief an Oberbürgermeister Karsten Vogt (CDU) von „einer gewaltbereiten linken Szene“.

Als sich die Neonazis am Friedrich-Engels-Platz in Bautzen sammelten, sprach ein YouTuber mit einer älteren, bürgerlich daherkommenden Frau, inmitten der Neonazis und einem Schild mit der Aufschrift: „Das ist unser Bautzen“. Nach der Frage, warum sie mit Rechtsextremen demonstriere, umringten ihn binnen Sekunden mehrere Neonazis und drängten ihn sowie andere Journalist*innen ab. Neonazi Stefan Trautmann forderte, die Presse müsse hinter die Absperrungen.

Kurz darauf forderte die Polizei per Lautsprecherdurchsage tatsächlich die Presse auf, die Versammlung zu verlassen, sogar Platzverweise wurden angedroht – nur zehn Minuten nach dem Angriff und exakt im Sinne der Neonazis. Begleitet wurde diese Maßnahme von Sprechchören wie „Lügenpresse, halt die Fresse“. Erst nach langen Diskussionen erlaubte die Polizei eine eingeschränkte Berichterstattung: Journalist*innen mussten mindestens zehn Meter Abstand halten – eine Regel, die streng kontrolliert wurde.

Per Allgemeinverfügung waren im Vorfeld zahlreiche Auflagen für die Versammlungen in Bautzen erlassen worden. Auch militantes Auftreten, wozu das Marschieren in Reih und Glied gehört, war untersagt. Der Block der JN marschierte in Reih und Glied auf, links und rechts gesäumt von Flaggen. Mit einem Video davon konfrontiert, teilte die Polizei mit, man habe „keine entsprechenden Verstöße“ gegen die Allgemeinverfügung festgestellt.

Wenige Minuten später folgt die nächste Attacke. Diesmal traf es das Team des YouTubers Marcant, der für seinen Kanal rechtsextreme Demonstrationen besucht, um den Teilnehmenden kritische Fragen zu stellen.

Nach dem Angriff wurde über Megafon gebrüllt: „Ihr habt hier gar nichts zu suchen im ganzen Bereich“, darauf folgte die Anweisung der Neonazis an die Polizei, die Medienschaffenden zu entfernen – „ansonsten machen wir’s.“ Dann skandierte die Menge: „Unsere Stadt, unsere Regeln“ und „Was machen wir mit den Zecken? Auf die Schnauze hauen!“

Statt Journalist*innen zu entfernen, wäre es notwendig gewesen, ihre Arbeit zu schützen, kritisierte die Journalist*innen-Gewerkschaft dju in ver.di auf X. „Pressefreiheit muss auch dort gelten, wo sie unbequem ist. Die Polizei hat die Aufgabe, sie zu gewährleisten und zu schützen. Einschränkungen wie die geschilderten dürfen nicht vorkommen“, hieß es weiter.

Die Polizei teilte, angesprochen auf die Kritik, mit: „In bestimmten Situationen kann es den Umständen nach dazu kommen, dass Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit aufeinander treffen. Sicherheit und Ordnung und insbesondere die Gesundheit aller beteiligten Akteure gehen immer vor.“

Jeder Einsatz werde „kritisch innerhalb der Einsatzkräfte nachbereitet“, die Beurteilung fließe in künftige Einsätze mit ein. Im Fall des YouTubers zu Beginn der Versammlung ermittele die Polizei wegen Nötigung gegen einen „bekannten Tatverdächtigen“. In einem weiteren Fall ermittele die Polizei wegen versuchter Körperverletzung gegen einen weiteren „bekannten Tatverdächtigen“.

Im Verlauf der Demo nahm die Polizei einzelne Neonazis kurzzeitig in Maßnahmen, darunter den rechtsextremen Rapper Kai Naggert („Prototyp“), der augenscheinlich auf verbotene Tätowierungen untersucht wurde. Bislang leitete die Polizei 18 Ermittlungsverfahren ein, darunter sieben wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB).

Die Gewalt endete nicht in Bautzen. Auf dem Rückweg griff eine Gruppe Berliner Neonazis am Ostkreuz in Berlin zwei Pressevertreter*innen mit Schlägen und Tritten an. Die Journalist*innen hatten den Aufmarsch in Bautzen dokumentiert und wurden dort offenbar von den Neonazis als mögliche Zielpersonen ausgemacht.

Der Artikel erschien ursprünglich bei Belltower.News.

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