CSDs schützen!

55 Angriffe auf CSDs in 2024 sind ein Auftrag:
Wir alle müssen CSDs schützen!
Noch nie gab es so an so vielen Orten in Deutschland Christopher Street Day-Veranstaltungen wie im Jahr 2024 – und noch nie so viele rechtsextreme Mobilisierungen dagegen. Während Störaktionen bei Pride-Kundgebungen schon lange Alltag sind, häufen sich organisierte queerfeindliche Demonstrationen. Für das Jahr 2024 dokumentierte die Amadeu Antonio Stiftung 55 Fälle, in denen rechtsextreme Gruppen gezielt CSD-Demos, deren Teilnehmende, sowie die Infrastruktur rund um die Veranstaltung gestört, bedroht und angegriffen haben. Solche Angriffe müssen wir auch 2025 wieder erwarten – nicht nur in Ostdeutschland. Vor allem auf dem Land sind CSDs deshalb auf Unterstützung angewiesen.
Für queere Rechte auf die Straße zu gehen, erfordert viel Mut. Während sich CSD-Teilnehmende in Köln oder Berlin darauf verlassen können, dass viele Zuschauer*innen am Straßenrand stehen, jubeln und ihnen das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein, sieht das in Kleinstädten und ländlichen Regionen anders aus: In menschenleeren Innenstädten stehen manchmal nur ein paar Dutzend Menschen auf der Straße. Sie sind nicht anonym, sondern exponiert in einem feindseligen Klima, in dem sich Anwohner*innen über die „Unruhe“ beschweren, die die CSDs angeblich mit sich bringen – und in denen rechtsextreme Störungen und Kundgebungen zunehmen.
Eine Bilanz organisierter Queerfeindlichkeit
Die 55 dokumentierten Fälle erstrecken sich über das ganze Bundesgebiet. Von den queeren Hochburgen Berlin und Köln bis hin zu kleinen Dörfern wie Ketsch in Baden-Württemberg oder Stollberg in Sachsen verbrannten Rechtsextreme Flaggen, versprühten Buttersäure und organisierten Aufmärsche, bei denen Hunderte Neonazis einer teils fast genauso großen Gruppe Demonstrierenden gegenüberstanden.

Knapp ein Drittel aller CSDs wurde 2024 Ziel rechtsextremer Angriffe.
Ihre Spende schützt CSDs !
CSDs sind mehr als Pride-Partys
Die Vehemenz der rechtsextremen Angriffe auf CSDs macht deutlich, wie wichtig queere Sichtbarkeit auf der Straße ist. Pride-Kundgebungen sind keine „Partys“, sondern politische Demonstrationen, die auf Diskriminierung und Gewalt aufmerksam machen. Und es sind Orte für die Zivilgesellschaft, sich zu vernetzen, und ein sichtbares Zeichen gegen den zunehmenden Rechtsextremismus zu setzen. Deshalb müssen wir klar benennen, was rechtsextreme, antifeministische und queerfeindliche Mobilisierungen sind: Angriffe auf die demokratische Gesellschaft, in der Alle in Freiheit leben können.
Rechtliche Gleichstellung, Akzeptanz, Sichtbarkeit, Schutz, der Abbau von Hass und Diskriminierung sind Forderungen, für die LSBTIAQ+ seit vielen Jahrzehnten auf die Straße gehen. Der Ursprung der Christopher Street Days sind die Stonewall-Aufstände 1969 in der New Yorker Christopher Street. Es waren trans Sexworker*innen of Color, Drag Queens, Lesben und Schwule, die sich gegen diskriminierende Polizeieinsätze wehrten und für Menschenrechte kämpften. Dieser Kampf wird bis heute weltweit fortgeführt.
Warum hassen Rechtsextreme CSDs?
Rechtsextreme haben Antifeminismus und Queerfeindlichkeit in den letzten Jahren zu ihren politischen Kernanliegen neben Rassismus und Antisemitismus gemacht – das wird zum Beispiel an der Kampagne zum „Stolzmonat“ ersichtlich, die seit 2023 existiert. Rechtsextreme lehnen Geschlechtergerechtigkeit, Feminismus sowie geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung ab. Das Besondere: Während ältere Neonazi-Gruppierungen Queerfeindlichkeit schon lange eher am Rande mitlaufen lassen, spielt das Thema bei jungen, frisch politisierten Rechtsextremen eine besondere Rolle.
Warum ist Queerfeindlichkeit so anschlussfähig?
Transfeindlichkeit und Antifeminismus fungieren als Brückenideologien, die Rechtsextreme mit anderen Milieus verbinden, mit denen sie sonst kaum Schnittmengen haben. Durch Narrative der „Bedrohung“ der traditionellen Kleinfamilie sowie der angeblichen Gefährdung traditioneller Rollenbilder und unter dem Deckmantel von „Kinderschutz“ verbindet Queerfeindlichkeit Neonazis zum Beispiel mit rechtskonservativen Gruppen wie christlichen Fundamentalist*innen.
Die Parallelen zu antisemitischen Verschwörungserzählungen sind deutlich: Trans Personen, queere Menschen und emanzipierte Frauen seien trotz Minderheitenstatus übermächtig, ihre „woken Ideologien“ schwächten Männlichkeit und Nation. Vermeintlich „natürliche“, autoritäre und antifeministische Geschlechterordnungen werden gegen den „Genderwahn“ in Stellung gebracht mit dem Ziel, Ungleichheiten zu verfestigen, statt aufzuheben. Rechte Gewalt auf den Straßen und in digitalen Räumen nimmt nachweislich zu. Der Anti-Woke-Diskurs wird sowohl von der Trump-Administration in den USA als auch durch die AfD in Deutschland, rechten Medien und Influencer*innen vertreten und gewinnt weltweit an Einfluss.

Vielfalt schützen – jede Spende hilft!
Rechtsextremer Mobilisierungserfolg in Bautzen: Eine hasserfüllte Szene im Höhenflug

Obwohl Störaktionen und Aufmärsche die CSD-Saison 2024 von Beginn an begleiteten, sorgte ein besonders erschreckender Vorfall bundesweit für Aufsehen: Beim CSD in Bautzen, standen rund 1000 Teilnehmende fast 700 Rechtsextremen gegenüber. Seitdem ist ein bundesweiter Anstieg rechtsextremer Störaktionen bei CSDs empirisch nachweisbar: Aber auch vor Bautzen gab es große Mobilisierungen, am 1. Juni in Dresden versammelten sich bereits 100 Neonazis. An den Wochenenden nach Bautzen gab es aber immer mindestens eine rechtsextreme „Gegendemo” mit über 100 Teilnehmenden.

Wie Rechtsextreme mobilisieren
Die rechtsextremen Mobilisierungen waren dezentral, aber aus Sicht der Neonazi-Gruppen ungemein erfolgreich. Sie mobilisierten oft bundesweit und fungierten dabei als erlebnisorientierte Ausflüge mit einem klaren Ziel: Den örtlichen „Nazikiez“ von queeren Einflüssen säubern, ein Klima der Angst verbreiten und Dominanz vor allem im (klein)städtischen Raum zeigen. Rechtsextreme vertreten mit den Gegenmobilisierungen nicht einfach eine gegenteilige Position zu einer politischen Frage, sie greifen die Existenz queeren Lebens an sich an und alles, was sie damit in Verbindung bringen.
Die „Alten” melden die Demos an, die „Jungen” mobilisieren auf Social Media
Dort, wo die Nazistrukturen gut dokumentiert sind, zeichnet sich immer dasselbe Muster ab: Etablierte rechtsextreme Strukturen melden die Demonstration an. Im letzten Jahr wurden die meisten Anmeldungen von extrem rechten Kleinstparteien vorgenommen, also Die Heimat (ehemals NPD), Junge Nationaldemokraten (JN) und Der III. Weg, teils auch gemeinsam.
Eine neue Qualität ist die Online-Mobilisierung. Die organisieren meist jüngere Gruppen, die oft erst im Zusammenhang mit den Aktivitäten gegen CSDs öffentlich in Erscheinung treten. Über Social-Media-Plattformen wie Whatsapp, Instagram, Telegram und TikTok waren ihre Strategien erfolgreich: Sie steigerten durch Anti-CSD-Demonstrationen ihre Bekanntheit deutlich und gewannen zahlreiche neue Anhänger*innen. 2025 wird die Mobilisierung voraussichtlich noch professioneller ablaufen und an Attraktivität gewinnen. Erste Mobilisierungen laufen bereits. CSDs ohne Polizeischutz und Sicherheitskonzepte sind mittlerweile undenkbar.
Wie reagiert die Polizei?
Die Polizei geht mal mehr, mal weniger konsequent gegen rechtsextreme Störaktionen vor. In Leipzig setzten Beamt*innen 400 Rechtsextreme am Hauptbahnhof fest, in Berlin wurden 30 Neonazis von Polizist*innen aufgegriffen. Gleichzeitig reagierte die Polizei in Bautzen zögerlich, als rund 700 Neonazis die CSD-Parade bedrohten. Als rassistische Gesänge zu Gigi D’Agostinos “L’amour toujours” angestimmt wurden, schritt sie nicht ein. Neben dem Vorwurf, nicht entschieden genug etwa gegen Hitlergrüße oder Anfeindungen vorzugehen, steht auch der Vorwurf der Polizeigewalt im Raum, etwa wenn Beamt*innen Pup-Player, also Träger*innen von Hunde- oder sonstigen Fetischmasken, den Zugang zu Paraden versperren. Auch unterschlage die Polizei homo- und transfeindliche Angriffe am Rande von CSDs in ihrer Öffentlichkeitsarbeit oder werde gar selbst zum queerfeindlichen Akteur. Schockierend war der Fall von Sven W., der 2016 von der Kölner Polizei beim CSD misshandelt, als „Schwuchtel“ diffamiert, festgenommen und nachts nur mit Unterwäsche bekleidet wieder freigelassen wurde.
Auch die Rolle der Sicherheitsbehörden insgesamt muss hinterfragt werden. In Döbeln beispielsweise durfte eine rechtsextreme Demo nicht nur parallel zum CSD stattfinden, sondern über die komplette Strecke hinweg der Parade folgen. Betroffene berichten von einem Klima der Angst, der CSD-Zug fühlte sich durch die Straßen getrieben. In anderen Fällen, wie in Stendal 2023 oder erst vor wenigen Wochen in Schönbeck suchen und finden lokale Behörden Gründe, um der CSD-Veranstaltung das Versammlungsrecht zu entziehen.
Alles nur ein Ostproblem? Nein!
Die meisten Fälle rechtsextremer Störungen und Bedrohungen gab es in Sachsen, wo rund zwei Drittel aller CSDs Ziele von Angriffen und Störaktionen waren. Aber auch in Bayern gab es bei rund 15 % aller Veranstaltungen eine rechtsextreme Demonstration. Die Bruchkanten verlaufen vielmehr entlang eines Stadt-Land-Gefälles, wobei auch in Großstädten wie Berlin und Köln Neonazis zusammenkamen, um Queers voraussichtlich bei der An- und Abreise zu attackieren.
Die Rolle der Medien
Wenn Medien in ihrer Berichterstattung über rechtsextreme Vorfälle bei CSDs von „Gegendemos“ bzw. „Gegenprotest“ schreiben, ist das nicht nur verharmlosend, sondern eine fatale Täter*innen-Opfer-Umkehr. Denn keine CSDs hätten eben nicht weniger Angriffe zur Folge. Auch wir setzen diese Begriffe deshalb bewusst in Anführungszeichen.
Die Angriffe auf Prides beschränken sich außerdem nicht nur auf angemeldete rechtsextreme Demos, sondern umfassen ebenso Gewalt am Rande der Paraden und Straßenfeste, Pöbeleien, das Verbrennen von Regenbogenflaggen und vieles mehr. Außerdem setzen Medien die Hunderten von Neonazis auf Pride-Veranstaltungen mit den Gruppen gleich, die dazu aufrufen. Die aber haben oft nur ein paar Dutzend Mitglieder und fühlen sich durch die Berichterstattung größer und bedrohlicher, als sie sind.
Queerfeindlichkeit ist Alltag – deshalb braucht es Unterstützung!
Die neonazistischen Mobilisierungen gegen die CSDs sind weder vom Himmel gefallen, noch finden sie in einem luftleeren Raum statt. Rechtsextreme, konservative und christlich-fundamentalistische Akteure arbeiten seit Jahren gegen queere Sichtbarkeit und versuchen, gesellschaftliche Akzeptanz wieder zurückzudrängen. Gerade in den letzten Jahren haben queerfeindliche Gewalt, Hasskriminalität und die Rücknahme von bereits erreichten rechtlichen Verbesserungen zugenommen. Die wachsende Mobilisierung gegen CSDs ist Folge eines queerfeindlichen gesellschaftlichen Klimas. Das Schweigen der Mehrheitsgesellschaft sehen rechtsextreme Jugendliche als Zustimmung zu ihrem Handeln und ermutigt sie, offen ihren Hass auszuleben und Gewalt anzuwenden.
Um dem entgegenzuwirken, reicht es nicht aus, den Schutz queerer Menschen allein der Polizei zu überlassen. Es braucht starke überregionale Unterstützung und Bündnisse, die LSBTIAQ+ und ihre Verbündeten aus den Metropolen mit denen aus der Peripherie auf Augenhöhe zusammenbringen und verhindern, dass die vielen kleinen CSDs in die Defensive geraten. Finanzielle, solidarische Unterstützung und konkrete Hilfe vor Ort sollten sich dabei nicht auf die Pride-Saison beschränken.
Seit Jahren unterstützt die Amadeu Antonio Stiftung CSDs in besonders gefährdeten Regionen durch Beratung, Begleitung und gezielte Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen. Jede Spende hilft uns dabei!