Queere Thüringer*innen und ihre Unterstützer*innen hatten am 20. Juli 2024 die Qual der Wahl: mit dem 1. CSD in Sonneberg und dem 3. CSD in Altenburg fanden zwei öffentliche Aktionen statt, die queere Vielfalt in Thüringen feierten.
Von Vera Ohlendorf
Nicht nur in Thüringen nehmen Anfeindungen gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche, agender, nicht-binäre und andere queere Menschen (LSBTIQA+) zu. Vor allem trans Personen sind im Alltag mit Diffamierungen und Gewalt konfrontiert. Rechtsextreme Gruppen und Parteien verbreiten antifeministische und queerfeindliche Ideologien, die bis in die sogenannte „Mitte“ der Gesellschaft anschlussfähig sind. Beide CSDs richteten sich, unterstützt von der Amadeu Antonio Stiftung, deshalb an alle Bürger*innen unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung und setzten sich für ein gleichberechtigtes, vielfältiges Miteinander und demokratische Werte ein.
Coburger Aktivist*innen unterstützen 1. CSD in Sonneberg
Der Landrat des Landkreises Sonneberg gehört einer rechtsextremen Partei an. Seine Wahl im Jahr 2023 inspirierte die Musiker*innen Maurice Conrad und Bruneau zu dem Song „CSD in Sonneberg“, der in diesem Jahr den Anstoß gab, einen ersten CSD endlich Realität werden zu lassen. Laut der Thüringer Opferberatungsstelle Ezra ist der Landkreis neben Erfurt und Weimar im Bundesland zu einem Hotspot rechtsextremer Gewalt geworden.
Viele LSBTIQA+ leben angesichts alltäglicher Ablehnung ungeoutet. Auch deshalb konnten sich bisher keine queeren Strukturen wie z.B. Gruppen in Sonneberg etablieren. Ein breites überparteiliches und zivilgesellschaftliches Bündnis aus dem 25 Kilometer entfernten Coburg half mit Know-How und Mitstreiter*innen aus. „Viele queere Sonneberger*innen sind in den letzten zwei Jahren zum CSD nach Coburg gefahren, um ihr Queersein zu leben, weil sie es hier einfach nicht konnten“, sagt Frederic, der den CSD in Sonneberg angemeldet hat. „Das hat uns sehr betroffen gemacht. Nachdem die Sonneberger*innen den CSD in Coburg unterstützt haben, haben wir uns gesagt: Jetzt können die Coburger*innen auch dabei helfen, den CSD nach Sonneberg zu bringen.“
Unter dem Motto „Bunte Provinz“ kamen über 600 Menschen zusammen, die sich für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Landkreis einsetzten und sich der rechtsextremen Normalisierung entgegenstellten. Der CSD verlief, von einigen diffamierenden Äußerungen von Passant*innen abgesehen, störungsfrei. In vielen Redebeiträgen berichteten queere Menschen davon, dass sie mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen Sorge haben, wie sich das Klima in Sonneberg entwickelt. Der CSD macht ihnen aber Hoffnung darauf, dass nun mehr Solidarität in der Stadt entsteht, aus der Schutzräume für Demokrat*innen und queere Menschen wachsen können. Nach dem ersten soll auf jeden Fall ein zweiter CSD folgen: „Wir werden mit den Sonneberger*innen besprechen, wie es weiter geht. Es wird einen queeren Treff in der Stadt geben und wir besprechen, ob sich ein Verein gründet. Ziel ist es, die Organisation künftig an die queeren Menschen im Ort abzugeben“, sagt Frederic. Philipp aus Sonneberg bringt es in seinem Redebeitrag auf den Punkt: „Wir müssen für uns einstehen! Sonneberg bleibt bunt!“.
Regenbogenflagge am Altenburger Rathaus: LSBTIQA* für ein weltoffenes Thüringen
Der CSD Altenburg hatte das Ziel, die breite Stadtgesellschaft für die Anliegen der queeren Community zu sensibilisieren und alle Altenburger*innen unter dem Motto „Wir machen weiter: Queers für ein weltoffenes Thüringen“ anzusprechen. Über 350 Teilnehmende folgten der Einladung trotz großer Hitze. Anders als in Sonneberg ließ der Altenburger Bürgermeister Frank Rosenfeld die Regenbogenflagge am Rathaus hissen. In seiner Rede betonte er die klare Unterstützung der Stadt Altenburg für den CSD und dessen Anliegen. Angriffe gab es auch bei diesem CSD nicht. Störversuche durch Jugendliche wurden durch die Polizei unterbunden.
Rechtsextrem motivierte Gewalt gegen queere Menschen ist in Altenburg leider keine Seltenheit. Ein Beitrag des MDR dokumentierte massive Angriffe und Morddrohungen gegen die Organisator*innen des ersten CSDs. In diesem Jahr erinnerte der CSD auch daran, dass der Altenburger Mario K. 2021 aus queerfeindlichen Motiven von Rechtsextremen in der eigenen Wohnung zu Tode geprügelt wurde.
„Wir wollen, dass der CSD in Altenburg zur Tradition wird, genauso wie das Bürgerfest, das Weinfest und alle anderen Veranstaltungen in der Stadt“, sagt Kirk, der zum Organisationsteam gehört und mit seinem Partner in Altenburg lebt. „Die Menschen im gesamten Altenburger Land sollen wissen, dass Queersein nicht nur für Metropolen und Großstädte reserviert ist. Queersein ist menschlich und Queersein ist hier!“.
Im Herbst lädt das Team alle Altenburger*innen, die sich für ein demokratisches Miteinander in der Stadt engagieren möchten, zu Workshops ein. Dabei geht es um Ideen, wie ein vielfältiges und gutes Zusammenleben in der Stadt auch nach den Landtagswahlen möglich sein kann. „Das kann alles Mögliche sein: ein queerer Stammtisch, eine Gegenkundgebung gegen die Montagsdemonstrationen rechtsextremer Gruppen oder vielleicht ein Weltoffenheitsrat für die Stadt. Gemeinsam schauen wir, wie wir solche Ideen dann umsetzen“, sagt Kirk. „Wenn wir in Altenburg mehr Offenheit haben wollen, dann müssen wir etwas dafür tun!“