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Juna Grossmann // Interview

Abschied vom Land des Zorns

Die jüdische Bloggerin Juna Grossmann bekommt regelmäßig Hasspost. Seit der Ton schärfer geworden ist, denkt sie über das Auswandern nach. Doch wohin soll sie gehen?

 

Wir treffen uns im „Masel Topf“, einem jüdischen Restaurant in Prenzlauer Berg, gleich gegenüber der Synagoge in der Berliner Rykestraße. Juna Grossmann ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Seit 2008 betreibt sie ihren Blog irgendwiejuedisch.com. Dort schreibt sie unter anderem über ihr Leben als liberale Jüdin in Berlin, Ausstellungen und ihre negativen Erfahrungen mit der DDR, in der sie aufgewachsen ist. Immer wieder bezieht sie Stellung zu kontroversen Themen. Seit Anfang dieses Jahres prasseln zunehmend Hasskommentare über Juna Grossmann herein. Nichts Neues für die 39-Jährige, doch die Worte treffen sie härter als bisher. Sie beschließt, die Kommentare nicht mehr zu löschen, sondern zu veröffentlichen. Alle sollen mitbekommen, was sie als Jüdin ständig erlebt.

 

 

Frau Grossmann, glauben Sie, die Polizei vor deutschen Synagogen wird eines Tages nicht mehr nötig sein?

Eine Zeit lang war die Dauerpräsenz nicht nötig, denke ich. Doch der Traum von offenen Synagogen ist wohl vorerst vorbei, seit mit den antiisraelischen Demonstrationen vor zwei Jahren der Antisemitismus wieder auf der Straße gelandet ist.

 

 

Wann ist die Stimmung gekippt?

Es gab damals, 2002, während der Möllemann-Affäre, eine erste Phase öffentlichen Antisemitismus. Da meinten Leute: „Jetzt dürfen wir’s wieder sagen.“ Große Angst vor Übergriffen hatte ich aber vor zwei Jahren das erste Mal, als Tausende gegen Israel auf die Straße gingen. Dieses Gefühl habe ich nun seit einigen Monaten wieder. Und die Stimmung ist ja nicht nur in Deutschland so aufgeladen. Der Hass hat ganz Europa ergriffen.

 

 

Wie erleben Sie den Hass?

Eine Zeit lang hatte sich beispielsweise ein Typ auf mich eingeschossen, der offenbar Veganer ist und etwas gegen das Schächten hat. Dabei wusste er überhaupt nicht, ob ich koscher esse oder Vegetariern bin. Ich hatte lediglich über ein italienisch-jüdisches Kochbuch geschrieben. Er steigerte sich da immer weiter hinein, und ich war seine Zielscheibe. Nach der ersten echten Drohung habe ich das Kommentarsystem umgestellt. Jetzt sehe ich die Kommentare zuerst und kann sie dann freischalten oder löschen.

 

 

Was war das für eine Bedrohung?

Jemand schrieb: „Wir werden dich finden. Dann wirst du’s merken und wirst dir Hitler zurückwünschen.“ Das habe ich zur Anzeige gebracht, aber die Polizei konnte den Autor nicht ermitteln. Richtig frei von Angst werde ich seither nicht mehr. Klar, es wird nach ein paar Tagen wieder besser. Ich versuche mir einzureden, dass das ja weit weg ist, dass er nicht weiß, wo ich wohne. Aber was, wenn er es doch herausfindet? Ich merke, dass ich seither anders schreibe. Ich bin nicht so abgehärtet. Der Hass ist ja immer persönlich. Ich überlege beim Schreiben viel mehr, wie ich etwas formuliere und welche Konsequenzen es haben könnte. Ich wurde sprachlos. Und natürlich frage ich mich auch, ob ich besser aufhören sollte, mich öffentlich zu äußern. Aber ich bin ja ich. Ich höre nicht auf.

 

 

Wie erklären Sie sich den Hass?

Leute fühlen sich offenbar zurückgesetzt, ziehen sich in eine Gruppe zurück, fühlen sich stark und sagen, was sie sich vorher nicht getraut hätten. Dieses laute, pöbelhafte Einschlagen auf Gruppen, die schwächer sind. Und dann schaukeln sie sich gegenseitig hoch, weil sie sich nicht noch mal rausziehen und nachdenken.

 

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Interview: Hannes Leitlein

Quelle: ZEIT ONLINE

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