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Interview

Feindbild Demokratie – wie Rechtsextreme die Zivilgesellschaft angreifen

Der Druck auf zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, nimmt zu. Am Beispiel des Vereins „Buntes Meißen“ zeigt sich exemplarisch, wie gefährdet die demokratische Kultur in Ostdeutschland ist.

Von Luisa Gerdsmeyer

„Früher gab es auch Anfeindungen, immer wieder mal eine beleidigende E-Mail, aber nichts Bedrohliches, was uns wirklich Angst gemacht hat“, erzählt Sören Skalicks vom Verein Buntes Meißen. „Das hat sich seit der Kommunalwahl im Sommer 2024 geändert. Die Stimmung uns gegenüber ist feindseliger geworden. Die Angriffe auf unsere Arbeit kommen jetzt auch direkt aus dem Stadtrat heraus.“ Buntes Meißen – Bündnis Zivilcourage e.V. engagiert sich im sächsischen Meißen für ein solidarisches, demokratisches Miteinander. Der Verein betreibt eine Begegnungsstätte, bietet Sprachkurse für Geflüchtete an und organisiert Freizeitangebote für Alteingesessene und Zugezogene im „internationalen Garten“.

Nicht nur in Meißen konnten Rechtsextreme ihre Macht in den Kommunalparlamenten ausweiten. In ganz Sachsen erhielt die AfD bei den Kreistagswahlen die meisten Stimmen, ebenso in vielen Stadt- und Gemeinderäten. In vielen Bundesländern ging mit den Kommunalwahlen 2024 insgesamt eine deutliche Verschiebung nach rechts einher und die AfD konnte sich auf lokaler Ebene weiter verankern – mit weitreichenden Konsequenzen für die demokratische Zivilgesellschaft vor Ort. In den Wochen und Monaten nach der Kommunalwahl, bei der die AfD auch in Meißen stärkste Kraft wurde, wurde das Bunte Meißen zur Zielscheibe einer rechtsextremen Hasskampagne– mit Drohungen, Einschüchterung und Gewalt.

Hakenkreuzschmierereien, Drohbriefe, Brandanschläge – die Eskalation rechtsextremer Gewalt

Die Situation wurde für das Bunte Meißen nach den Kommunalwahlen immer bedrohlicher, die Mitglieder bekamen haufenweise Hassnachrichten und Drohmails, das Vereinsschild wurde mit Hakenkreuzen und Hundekot beschmiert und angezündet. Bis schließlich eine Handgranatenattrappe vor dem Vereinshaus abgelegt wurde. „Hier im Triebischtal, dem Stadtteil, in dem wir uns befinden, ist die rechtsextreme Szene stark verankert. Wir sind Anfeindungen also durchaus gewöhnt. So eine massive Bedrohung kannten wir jedoch bisher nicht. Die Message an uns ist eindeutig – wir sollen uns in Meißen nicht sicher fühlen können, wenn wir uns für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren“ berichtet Sören.

Seit einigen Monaten kommt es bundesweit vermehrt zu solchen gewaltsamen Angriffen auf Jugendzentren und zivilgesellschaftliche Einrichtungen. So griffen Anfang März 2025 circa 30 vermummte Rechtsextreme den Jugendclub „Jamm“ in Senftenberg gewaltsam an, während dort eine Veranstaltung stattfand. Nur durch die schnelle Reaktion der Betreiber*innen konnte verhindert werden, dass die Angreifer*innen in das Gebäude eindringen und Besucher*innen verletzten. Im März 2025 attackierten Rechtsextreme das Hausprojekt Zelle 79 in Cottbus. Ende Mai kam es erneut zu einem mutmaßlich rechtsextrem motivierten versuchten Brandanschlag auf das Haus. Die Fälle in Meißen, Senftenberg und Cottbus stehen exemplarisch für eine besorgniserregende Entwicklung: Rechtsextreme Gewalt gegen die demokratische Zivilgesellschaft nimmt bundesweit zu.

Diffamierungs- und Desinformationskampagnen schüren Misstrauen und Vorurteile

Mit aggressiver Hetze gegen das „Bunte Meißen“ fiel insbesondere der Parteilose René Jurisch auf. Er zog für die AfD in den Stadtrat ein, war ehemals in der NPD aktiv und gründete den mittlerweile nicht mehr bestehenden rechtsextremen „Verein zur germanischen Brauchtumspflege Schwarze Sonne Meißen“. Bei der Kommunalwahl erhielt er von allen Kandidat*innen in Meißen die meisten Stimmen. „Dieses Ergebnis ist eine klare Ansage gegen alles, wofür wir stehen“, stellt Sören fest.

Begleitet werden die Angriffe von Diffamierungen und Falschmeldungen. Immer wieder werden in Meißen Gerüchte gestreut: Der Verein wolle zusätzliche Immobilien kaufen, decke oder begehe Straftaten – alles haltlose Vorwürfe. Doch die Auswirkungen sind real. „Wenn Menschen solche Geschichten ständig hören, fangen sie an zu glauben, dass da was dran ist.“ Der Verein stellte die kursierenden Falschmeldungen in einer Pressemitteilung richtig. „Doch ist eine Behauptung einmal in der Welt, ist es extrem schwer, das wieder einzufangen“, so Sören. Jüngst rief René Jurisch dazu auf, ihm zu melden, ob rund um das Bunte Meißen verdächtige Aktivitäten beobachtet würden oder die Polizei dort gesehen würde. „Wir stehen hier unter ständiger Beobachtung und aus den kleinsten Dingen werden die absurdesten Behauptungen über uns gestrickt“, erzählt Sören.

Solche Diffamierungs- und Desinformationskampagnen sind kein Einzelfall. Im sächsischen Zwickau hält sich hartnäckig die längst widerlegte Falschmeldung, am Rande des CSDs im letzten Jahr habe es eine Messerstecherei gegeben. Das schürt Misstrauen und Vorurteile in der Bevölkerung und schreckt Menschen ab, am CSD teilzunehmen und sich zu solidarisieren. Im brandenburgischen Jüterbog wiederum kamen die Diffamierungen direkt aus dem Rathaus. Der damalige AfD-Bürgermeister Arne Raue verbreitete Anfang 2025 die haltlose Behauptung, das Bündnis „Gemeinsam für Jüterbog“, das Geflüchtete unterstützt und sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzt, würde Straftaten decken und „den ganzen Tag hetzen und spalten“. Ein Angriff, der die Arbeit der Engagierten delegitimieren und rassistische Ressentiments in der Bevölkerung befeuern sollte.

Parlamentarische Anfragen als Mittel zur Einschüchterung

Ein weiteres Instrument, Druck auf die Zivilgesellschaft aufzubauen und Engagierte einzuschüchtern, sind parlamentarische Anfragen. Nachdem die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag im Februar 2025 mit ihrer Anfrage zur „politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ einen offenen Angriff auf die demokratische Zivilgesellschaft startete, häufen sich ähnliche parlamentarische Anfragen zur Delegitimierung demokratiefördernder zivilgesellschaftlicher Arbeit in Landtagen und Kommunalparlamenten. „Auf diesen Zug sprangen CDU- und AfD-Abgeordnete in Meißen direkt mit auf“, erzählt Sören. Anfang 2025 fragte die CDU-Politikerin Daniela Kuge im sächsischen Landtag nach der Förderung des Bunten Meißen. Die AfD legte nach – mit detaillierten Fragen zu Anzahl, Gehalt, Beschäftigungsverhältnissen und –dauer der hauptamtlichen Mitarbeitenden des Vereins. „Ziel dieser Anfrage war wohl, wieder irgendwelche Informationen zu bekommen, auf deren Grundlage Unruhe gestiftet und Stimmung gegen uns gemacht werden soll. Dass es dieses Mal auch auf einer persönlichen Ebene um die Mitarbeitenden unseres Vereins ging, war für uns sehr belastend“, so Sören.

Auch in zahlreichen anderen Orte sind zivilgesellschaftliche Initiativen von dieser Strategie der Delegitimierung betroffen: In Mainz nennt die AfD über 50 zivilgesellschaftliche Initiativen in einer Liste angeblich „linksradikaler“ Gruppen und fragt nach ihrer Finanzierung. In Brandenburg zielt eine AfD-Anfrage auf die Förderung angeblich „linksextremer Strukturen“ – darunter der Senftenberger Jugendclub „Jamm“, der im März gewaltsam angegriffen wurde.

Demokratische Parteien setzen gemeinsam mit Rechtsextremen Fördermittelkürzungen durch

Existenzbedrohend wird es, wenn demokratische Parteien mit Rechtsextremen gemeinsame Sache machen. „Im Oktober 2024 wurden wir von einer kommunalen Vorschlagsliste für eine dreijährige Förderung des Europäischen Sozialfonds gestrichen – durch eine gemeinsame Entscheidung von AfD, FDP, FreieBürger und Teilen der CDU. Somit hatten wir keine Chance mehr auf die EU-Förderung, die für uns eine wichtige Stütze zur Aufrechterhaltung unserer Arbeit gewesen wäre“, erzählt Sören. Ähnlich ging eine weitere Abstimmung im April 2025 aus: Durch gemeinsame Abstimmung von AfD und CDU verweigerte der Meißener Stadtrat dem Verein auch die kommunale Förderung.

Vor der Frage, wie sie ihre Arbeit angesichts gestrichener Förderung fortführen können, steht aktuell auch der Verein Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. im sächsischen Wurzen. Mitte April 2025 entschied der Wurzener Stadtrat, die kommunale Kofinanzierung für eine Förderung des Kulturraums einzustellen. Dadurch verliert der Verein nicht nur die städtische Unterstützung, sondern auch die gesamte Kulturraumförderung, da der Zuschuss der Kommune eine Voraussetzung für die Förderung ist. Vorausgegangen war auch hier eine gezielte Stimmungsmache der AfD gegen den Verein.

Was auf dem Spiel steht – und was es jetzt braucht

„Gerade in ländlichen Räumen, wo rechtsextreme Strukturen verankert sind und Rechtsextreme den Ton in den Kommunalparlamenten angeben, braucht es Orte wie das Bunte Meißen – als Schutzraum, als Anlaufstelle für alle, die sich der rechtsextremen Normalisierung entgegensetzen wollen und als Ort, an dem Demokratie praktisch gelebt werden kann“, so Sören. Doch diesen Kampf können die Initiativen nicht alleine führen. Es braucht überregionale praktische Solidarität, einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt und mediale Aufmerksamkeit. Angriffe aus die Zivilgesellschaft und die systematische Schwächung demokratischer Strukturen dürfen nicht zur Normalität werden.

Durch große Spendenbereitschaft konnte die Arbeit des Bunten Meißen zunächst gerettet werden. „Es ist toll zu erleben, dass es Menschen gibt, die uns unterstützen und wichtig finden, was wir machen. Gleichzeitig ist eine langfristige Planung auf dieser Finanzierungsbasis nicht möglich. Wir hangeln uns von Spende zu Spende und wissen langfristig nicht, wie es weitergeht“, berichtet Sören.

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