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Festnahme in Dortmund: Terrorfinanzierung per Crowdfunding

Foto: Symbolbild, Quelle: Canva und Screenshot

Ein Mann soll im Darknet private Daten veröffentlicht, Attentate gefordert und Zahlungen zur Ermordung von Politiker*innen gesammelt haben. Die Verknüpfung aus autoritär-libertärer Ideologie und technischer Anonymität schafft neue Gefahren für die Demokratie.

Von Kira Ayyadi

Inhaltswarnung: Rassistische und antisemitische Sprache

Die Bundesanwaltschaft hat am Montagabend, 10. November, den deutsch-polnischen Staatsangehörigen Martin S. festnehmen lassen. Der 32-Jährige soll im Darknet die Plattform „Assassination Politics“ betrieben haben, auf der zu Anschlägen auf Politiker*innen und Personen des öffentlichen Lebens aufgerufen wurde, finanziert über Kryptowährungen. Der Vorwurf: Terrorismusfinanzierung, Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und Veröffentlichung personenbezogener Daten. Die Liste der Todeskandidat*innen soll laut Spiegel mehr als 20 Namen umfasst haben. Auch die früheren Bundeskanzler*innen Olaf Scholz und Angela Merkel sowie mehrere Ex-Minister*innen sollen auf der Liste gestanden haben.

Nach Angaben der Ermittlungsbehörden veröffentlichte Martin S. auf seiner anonym betriebenen Seite seit Juni 2025 Namenslisten, sogenannte „Todesurteile“ und Bauanleitungen für Sprengsätze. Zudem soll er Spenden in Kryptowährungen gesammelt haben, um „Kopfgelder“ auf namentlich genannte Personen auszusetzen. Die Plattform enthielt demnach auch sensible persönliche Informationen der potenziellen Zielpersonen, ein klarer Versuch, Einschüchterung und Gewaltanwendung zu organisieren.

Darknet-Seite: „Politik durch Terror“

In der Vorschau der Suchergebnisse im Darknet ist eine Website mit dem Titel „Assassination Politics – Startseite“ zu finden und ein Text, der das Selbstverständnis der Betreiber*innen erschreckend offen formuliert:

„Wir erzwingen unseren Einfluss auf die Politik durch Terror. Der Einfluss wird durch Crowdfunding finanziert und von unabhängigen Attentätern ausgeführt.“ Es folgt eine eindeutige Feindmarkierung, die keinerlei Zweifel an der ideologischen Motivation lässt: „Unser Gegner ist das linke Gesindel, Juden, N**** und Kanaken“ (im Original ausgeschrieben). Die Website ist jedoch nicht mehr abrufbar.

Es soll nicht bei theoretischer oder symbolischer Gewalt bleiben, die Wortwahl macht deutlich, dass es sich um den Versuch handelt, reale, rechtsterroristische Gewalt zu ermöglichen und Mitstreiter*innen zu rekrutieren.

Die Ideologie hinter „Assassination Politics“

Martin S. diente offenbar die menschenfeindliche Theorie der sogenannten „Assassination Politics“ des US-Libertären Jim Bell als ideologische Vorlage. Bell veröffentlichte 1997 einen Essay, in dem er ein System entwarf, das staatliche Strukturen durch Angst und Gewalt zersetzen sollte: Bürger*innen sollten über anonyme Internetplattformen Geld in digitalen Währungen einzahlen können, um die Ermordung von Politiker*innen oder Beamt*innen zu finanzieren – angeblich, um „Korruption zu bestrafen“ und „Freiheit“ zu sichern. Bell schlägt vor, eine Organisation zu schaffen, die anonyme Spenden in digitalem Bargeld sammelt, um Belohnungen an jene auszuzahlen, die den Tod bestimmter Politiker*innen richtig vorhersagen. Er schlägt also Wetten auf den Tod von Politiker*innen vor.

Ein Markt für politischen Mord

Der Essay beschreibt somit ein Marktmodell für politischen Mord. Bell kombinierte die Ideologie des absoluten Individualismus mit einem technikgläubigen Freiheitsverständnis, das jegliche staatliche Ordnung als illegitime Zwangsherrschaft deutet. Gewalt gegen Vertreter*innen des Staates erscheint in dieser Logik als gerechte Selbstverteidigung.

Doch Martin S. scheint nicht nur online umtriebig gewesen zu sein: Laut Spiegel unterhielt der Mann zumindest zeitweise Kontakte in die rechtsextreme Szene. So nahm er 2021 an einem Gedenkmarsch für den verstorbenen Dortmunder Neonazi-Führer Siegfried Borchardt, „SS-Siggi“, teil.

Digitale Gewalt mit realen Zielen

Szene-Beobachter*innen und Sicherheitsbehörden warnen seit Jahren vor der Überschneidung von Online-Radikalisierung und realweltlichen Gewalttaten. Dieser Fall zeigt auf, wie gefährlich rechtslibertäres Denken ist. Davor warnte jüngst auch die aktuelle Mitte-Studie. Ein Viertel der Befragten der Mitte-Studie teilt eine „libertär-autoritäre“ Ideologie, die Freiheit mit Selbstverantwortung verwechselt und Solidarität als Schwäche deutet. Diese Gruppe neigt signifikant häufiger zu Gewalt und rechtsextremen Haltungen. Wer in einer autoritären Erziehung sozialisiert wurde, zeigt ähnliche Muster. Gehorsam und Disziplin gelten für viele wieder als zentrale Bildungsziele.

Am Dienstag, dem 11.11. wird Martin S. dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt.

Der Artikel erschien ursprünglich bei Belltower.News.

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