Verschwörungserzählungen sind in Krisensituationen, wie in der aktuellen Corona-Pandemie, besonders attraktiv. Denn wir erleben gerade krasse Einschränkungen und Veränderungen in unserem Alltag, die unsere Wertevorstellungen erschüttern. DIese Veränderungen werden mithilfe von Verschwörungsideologien erklärt, indem behauptet wird: Das Ganze existiert gar nicht, dahinter steckt ein dunkler Plan, Person oder Gruppe XY will daraus Profit schlagen.
Die Ursachen für Krisen oder Missstände zu personifizieren, also konkrete Verursacher zu nennen, anstatt das Problem zu verstehen oder auch Nicht-Wissen auszuhalten, ist der Kern von Verschwörungsmythen. Sie schaffen Abhilfe dafür, dass Menschen sich hilflos und einer Situation ausgeliefert fühlen. Denn Verschwörungsideologien geben Handlungsempfehlungen, wie der ‚Verschwörung‘ entkommen werden kann: Man weiß auf einmal, wer hinter allem steckt und hat damit eine Lösung für alle Probleme.
Verschwörungsideologien und Antisemitismus
Verschwörungsideologien und Antisemitismus hängen eng miteinander zusammen, denn sie funktionieren ähnlich. Sie personifizieren gesellschaftliche Zusammenhänge, indem sie „Schuldige“ ausmachen. Sie gehen davon aus, dass ein Kampf des Guten gegen das Böse stattfindet, bei dem man für die Seite des Guten Partei ergreifen und das Böse besiegen und restlos vernichten müsse. Eng damit verbunden ist die Vorstellung, dass Menschen unveränderliche Eigenschaften besitzen, weil sie zu einer Gruppe gehören.
Jüdinnen und Juden* werden schon seit Jahrhunderten Eigenschaften unterstellt, aufgrund derer sie verachtet und gehasst werden können. Dazu gehören Geldgier und Boshaftigkeit. Anders als bei rassistischer Diskriminierung werden Jüdinnen und Juden* meist als mächtig und überlegen angesehen. Dieses Bild findet sich in vielen Verschwörungsmythen wieder - mal ganz offensichtlich, mal eher versteckt, zum Beispiel indem von der “Ostküste” oder “dem Finanzkapital” die Rede ist.
Im Antisemitismus wird die Schuld für alles Schlechte, für das Übel der Welt jüdischen Menschen zugeschrieben: Sie würden die Welt beherrschen, sie seien die heimlichen “Strippenzieher” und kontrollierten Politik und Weltwirtschaft. Wer so denkt, hat ein klares Feindbild und kann sich die Welt einfach erklären - und sich dabei in der Opferrolle sehen. Denn anstatt selbst zu handeln oder zu akzeptieren, dass die Welt ziemlich kompliziert ist, sind ja Jüdinnen und Juden* an allem Schuld. Die antisemitische Vorstellung, jüdische Menschen würden die Welt kontrollieren und von Grund auf böse sein, rechtfertigt antisemitische Aggression und Gewalt. Hinzu kommt, dass es in der Welt von Verschwörungsideolog*innen immer kurz vor Zwölf ist - die Verschwörung hat fast gewonnen. Das erzeugt einen enormen Handlungsdruck: Nun müsse Widerstand geleistet werden, um Gerechtigkeit wiederherzustellen, die Gerichte nicht erzeugen könnten. Das fassen einige als Auftrag auf, Gewalt einzusetzen und Terroranschläge zu verüben.