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MINOR // INTERVIEW

Minor - Projektkontor für Bildung und Forschung ist eine gemeinnützige Forschungseinrichtung, die sich der Integrationsarbeit marginalisierter Gruppen widmet. Wir waren neugierig über ihre Arbeit im Bereich Digital Streetwork und haben ein paar Fragen gestellt.

 

1. Eure 3 #s:
#migration
#socialmedia
#digitalstreetwork

 

2. Was macht Minor?
Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung ist eine gemeinnützige Forschungseinrichtung und wird von einem interdisziplinären und interkulturellen Team getragen. Vielfältig, engagiert und wissenschaftlich fundiert arbeiten wir mit und für gesellschaftlich marginalisierten Gruppen wie z. B. Migrantinnen und Migranten, sozial Benachteiligten, Inhaftierten und Menschen mit Behinderungen.
Wir sind bundesweit und transnational aktiv in der Forschung, Programm- und Projektberatung, Weiterbildung, Netzwerkarbeit und Modellprojektentwicklung. Zielsetzung ist die Integration der marginalisierten Gruppen sowohl im Bereich Arbeit und Bildung als auch gesellschaftliche und politische Partizipation und Teilhabe.

 

3. Was ist Euer Digital Streetwork Konzept/Verständnis?
Digital Streetwork wird von uns als Beratungsarbeit verstanden, die ihre Angebote dort macht, wo die meisten Neuzugewanderten aktuell nach Informationen suchen - in den Sozialen Medien. Wie wir in verschiedenen Studien und Befragungen gelernt haben, sucht sich eine Mehrheit der Neuzugewanderten wichtige Informationen und Ratschläge eher über ihre digitalen Netzwerke, d.h. vor allem in den Sozialen Medien, als die bestehenden regulären Beratungs- und Informationsangebote zu nutzen.
Unsere Strategie der „aufsuchenden Informationsarbeit“ sieht daher vor, dass sich das Beratungspersonal in den Sozialen Medien dorthin „begibt“, wo sich die Neuzugewanderten informieren und austauschen. Die Beratenden beteiligen sich mit qualifizierten Beiträgen an den Diskussionen in den sozialen Netzwerken, um Antworten auf im Internet gestellte Fragen zu finden und auf zuverlässige Informationsquellen zu verweisen.
Gleichzeitig ist es aufgrund rechtlicher und ethischer Bestimmungen (u.a. DSGVO, Rechtsdienstleistungsgesetz) beschränkt, welche Art von Beratungsangeboten man in den Sozialen Medien machen kann.

 

4. Welche Rolle nehmen Soziale Medien in der Migrationsberatung ein und warum?
Wie bereits beschrieben suchen Neuzugewanderte wichtige Informationen eher über ihre sozialen Netzwerke und in den Sozialen Medien, als die bestehenden Beratungs- und Informationsangebote zu nutzen. Es passiert aber leider immer wieder, dass die Ratsuchenden in den Sozialen Medien entweder keine oder irreführende oder sogar falsche Informationen bekommen, was erhebliche Probleme für den Integrationsprozess verursachen kann. Das gilt sowohl für Geflüchtete als auch für Zuwandernde aus Europa.
Trotzdem werden die Sozialen Medien von Beratungsanbietern in Deutschland bisher kaum für direkte Informations- und Beratungsarbeit für Neuzugewanderte genutzt, sondern eher als Angebot der Öffentlichkeitsarbeit oder für die Vernetzung der Beratungseinrichtungen untereinander.

 

5. Welche Vorteile bringt Digital Streetwork mit sich?
Es ist wichtig zu betonen, dass Digital Streetwork nicht Onlineberatung ist. Digital Streetwork bedeutet, dass die Beratenden auf Plattformen der digitalen und Sozialen Medien (wie z. B. Facebook) tätig sind. Die Beratenden beteiligen sich mit qualifizierten Beiträgen an den Diskussionen in sozialen Netzwerken, um Fragen zu beantworten und auf zuverlässige Informationsquellen zu verweisen. Eine richtige Onlineberatung hingegen kann nur über gesicherte Kanäle funktionieren, wo auch private Informationen und Dokumente ausgetauscht werden können.
Die Stärke der Digital Streetwork ist ihre Zielgruppenorientierung – d. h. wichtige Informationen und Hinweise können dort an Ratsuchende vermittelt werden, wo sie gesucht werden. Digital Streetwork findet daher auch in verschiedenen Sprachen statt und erreicht, neben der ratsuchenden Person selbst, ein breiteres Publikum. Ein weiteres Merkmal der Digital Streetwork ist, dass die Ratsuchenden möglichst schnell eine Antwort auf ihre Fragen erhalten – die Beratenden bemühen sich darum, einfache Fragen immer am gleichen Tag zu beantworten. Komplizierte Fragen, die weitere Informationen und Recherche erfordern, werden in maximal 4 Tagen beantwortet.
Die Verbreitung von verlässlichen und hilfreichen Informationen in den sozialen Netzwerken kann die analoge Beratungsarbeit erleichtern und unterstützen. Digital Streetwork hat auch einen präventiven Auftrag, denn es tauchen wieder Fälle auf von unqualifizierten Personen, die in den sozialen Medien für Ihre Beratungs- und Dienstleistungen Geld verlangen. Digitale Streetwork möchte daher gerade die Ratsuchenden vor Missbrauch und Falschinformationen schützen, die neu in Deutschland sind und nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen, um Falschinformationen zu erkennen.

 

6. Welche Nachteile bringt Digital Streetwork mit sich?
Digital Streetwork bringt verschiedene Herausforderungen mit sich. Auch wenn die Sozialen Medien inzwischen eine der wichtigsten und meistgenutzten Informationsquellen unter Neuzugewanderten sind, sind sie gleichzeitig durch eine hohe Fluktuation und damit eine hohe Unsicherheit geprägt, mit ständig wechselnden „Hotspots“ der Information und Kommunikation, z. B. thematischen Facebook-Gruppen, Whatsapp-Gruppen oder Blogs, die nach ein paar Monaten auch wieder gelöscht werden können. Daher ist es für die Beratenden wichtig, in den Sozialen Medien präsent zu sein, um den Überblick über diese Entwicklungen zu behalten. Dies bedeutet jedoch einen hohen zeitlichen Aufwand. Für Beratende, die auch analog beraten, kann Digital Streetwork daher kaum als Nebenaufgabe erledigt werden.
Eine weitere Herausforderung der Digital Streetwork ist die Einhaltung der rechtlichen Datenschutzverpflichtungen der Beratenden, den Ratsuchenden gegenüber. Diese Verpflichtungen bedeuten, dass man nur Informationen und Verweisberatung in den Sozialen Medien anbieten kann - also keine richtige Beratung. Gleichzeitig bietet die Digital Streetwork aber auch den Vorteil, dass man Ratsuchende darauf hinweisen kann, dass sie sensible, persönliche Informationen und Dokumente besser nicht in den Sozialen Medien teilen sollten.

 

7. Ihr habt allgemeine Richtlinien für die Digital Streetwork ausgearbeitet, auf was muss man achten?
Das wichtigste ist die Einhaltung der Datenschutzverpflichtungen, d.h. im Rahmen von Digital Streetwork sollten Beratende Ratsuchende davor warnen und in keinem Fall dazu auffordern, private Informationen öffentlich in den Sozialen Medien preiszugeben, sondern für individuelle Beratung (im Rahmen von Online-Beratung) möglichst nur über geschützte Kanäle mit den Beratenden zu kommunizieren.
Bei komplizierten Sachverhalten ist es zu empfehlen, die Ratsuchenden dazu aufzufordern, eine geschützte Form der Beratung aufzusuchen und auf geeignete Beratungsstellen oder Angebote der Online-Beratung zu verweisen.
Weitere Informationen über unsere Richtlinien für Digital Streetwork.

 

8. Erfahrt ihr in eurer Arbeit Behinderung durch Hate Speech und Desinformation?
In Foren oder Gruppen, in denen wir arbeiten, beobachten wir diskriminierende Kommentare, xenophobische oder rassistische Einstellungen der Nutzer. Wenn unser Beratungsteam auf Hassrede stößt werden Hass-Kommentare, die auf den Seiten/Profilen des Projektes gepostet werden, gelöscht und gemeldet. Nach unseren Richtlinien werden auch diskriminierende Kommentare, die wir auf Instagram, Twitter, Facebook etc. vorfinden, dokumentiert und gemeldet. Hassrede wird als Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards der Plattformen gemeldet. Wo möglich nutzen wir die Meldeportale der Plattformen. Gleichzeitig melden wir die Hassrede gemäß NetzDG über die Meldeformulare der Plattformen.
Wenn wir auf Falschinformationen (z.B., dass Gebühren für Kindergeldanträge verlangt werden) stoßen gehen wir direkt dagegen vor, indem wir die Sachlage richtig darstellen und auf verlässliche Informationsquellen verweisen. Da in den Sozialen Medien viele oberflächliche, teilweise irreführende und falsche Informationen kursieren, versuchen wir, mithilfe der Digital Streetwork, das Risiko von Fehlberatung und Desinformation für Neuzugewanderte zu reduzieren.  

 

9. Debate heißt für mich…
Debate bedeutet für uns, verschiedene Perspektiven kennenzulernen, Erfahrungen auszutauschen und nach den besten Lösungen zu suchen.

 

10. Dehate heißt für mich…
Dehate wird von uns verstanden als Aktionen zur Verbesserung der Situation von diskriminierten oder benachteiligten Gruppen, was im Endeffekt zu einem toleranten und wertschätzenden Zusammenleben in der vielfältigen Gesellschaft führt.

 

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