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NETZTEUFEL // INTERVIEW

NetzTeufel // Interview

Kristina Herbst arbeitet für das Projekt NetzTeufel der Evangelische Akademie zu Berlin. Wir haben mit ihr über den Ansatz des Projektes gesprochen, menschenfeindliche Äußerungen aus christlicher Perspektive zu sichten, analysieren und Umgangsstrategien daraus abzuleiten.

 

1. Eure 3 Hashtags:
#nohatespeech
#digitaleZivilcourage
#hopeSpeech

 

2. Was bietet ihr als Projekt an/macht ihr?

Wir beschäftigen uns auf verschiedenen Ebenen mit hate speech im Netz. Einerseits fragen wir uns als Projekt: Wie wird Hass oder besser gesagt wie werden menschenfeindliche Äußerungen aus christlicher Perspektive formuliert und wie werden diskriminierende Sprachmuster vermeintlich christlich oder theologisch legitimiert? Dazu analysieren wir Kommentare in den Sozialen Medien und arbeiten hate speech in Form von toxischen Narrativen heraus, die die Kommunikation im Netz vergiften. Andererseits möchten wir Ansätze für Handlungsstrategien entwickeln und erproben. Auf den Analyseergebnissen aufbauend haben wir unseren #hopeSpeech-Workshop entwickelt, ein offline-Bildungsmodul zur Reflektion von möglichen Umgangsstrategien mit Hass im Netz. Multiplikator*innen können den Workshop in ihren pädagogischen Kontexten, zum Beispiel in der kirchlichen Jugendarbeit, weiterverwenden. Wir stellen alle für den Workshop benötigten Materialien als freies Bildungsmaterial auf unserer Website zur Verfügung.

 

3. Was sind typische religiös begründete toxische Narrative denen ihr begegnet 

Bei der Analyse von Kommentaren bei facebook haben wir verschiedene Erzählungen und Argumentationsmuster gefunden, die hate speech aus christlicher Perspektive zu Grunde liegen.  Eine Erzählung verbindet aber alle Themen und alle diskriminierenden Äußerungen: Das Heraufbeschwören eines Bedrohungsszenarios und die Konstruktion von Angst. Thematisch geht es dabei vor allem um die Bereiche Islam, Migration, Homosexualität, Gender und Demokratie. Je nach Themenbereich werden Feindbilder identifiziert, von denen die Gefahr ausgeht. Dabei wird eine Endzeitstimmung verbreitet oder ein Kulturkampf beschworen: Der Islam bedroht das christliche Abendland, die Institution der Ehe wird durch die „Ehe für Alle“ abgewertet oder die Gender Studies gefährden Gottes Ordnung. Diese Bilder und Narrative sind die Grundlage für Abwertungen, Ausgrenzung, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und schließlich auch für hate speech.

 

4. Was kann religiös begründeter Menschenfeindlichkeit entgegnet werden ?

Die Antwort auf die Frage, wie solchen Äußerungen begegnet werden kann, hängt immer auch davon ab, von wem der Hass ausgeht, wie verfestigt die diskriminierenden Einstellungen sind und welches Ziel mit einer Reaktion verfolgt werden soll. Es braucht unterschiedliche Strategien, je nachdem, ob ich es zum Beispiel mit Menschen aus der Kirchengemeinde in der gemeinsamen Facebook-Gruppe, mit Internettrollen bei twitter oder mit organisierten Neonazis im Netz zu tun habe. Wichtig ist, dass wir diskriminierende und menschenverachtende Kommentare erkennen und uns bewusst darüber sind, wie diese den Diskurs beeinflussen können. Manchmal ist „Ignorieren“ vielleicht die beste Handlungsalternative, andernfalls sollten Kommentare gemeldet werden oder eine Diskussion versucht werden. Als Projekt ist uns wichtig, dass die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten des digitalen Raums wahrgenommen werden, damit uns nicht nur ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Hass in digitalen Kommunikationsräumen bestimmt.

Mit unserem offline #hopeSpeech-Workshop haben wir ein Format entwickelt, diesen Ansatz pädagogisch umzusetzen. In dem Workshop werden eigene Erfahrungen mit Hass im Netz thematisiert und die verschiedenen möglichen Reaktionsformen reflektiert. All diese Formen, von Diskutieren über Solidarisieren bis zum Ironisieren oder Löschen finden sich als Bastelmaterial in unserem #hopeSpeech-Koffer wieder: Leere Kommentarfelder, ausgedruckte Memes und Emojis sowie Glitzerpulver und Zensurmarker. So können wir uns auf kreative Art und Weise den Fragen stellen.

Eine Voraussetzung, mit christlich begründeten Diskriminierungen umzugehen, ist aber auch, sich über die eigenen Anteile an Diskriminierungsstrukturen bewusst zu werden. Das gilt natürlich auch für Christ*innen und die Kirche.

 

5. Was ist Hope Speech?

#hopeSpeech ist ein Kunstwort, das ein Gegenpol zu hate speech darstellen soll. Vielmehr als fertige Antworten und Gegenrede geht es aber um die Suche nach alternativen digitalen Formen, die dem auf Hoffnung basierenden christlichen Glauben Ausdruck verleihen. Das können direkte oder auch indirekte Antworten auf hate speech sein. Dabei wird auch immer wieder deutlich, dass der Begriff hate speech das Problem eigentlich unzureichend erfasst. Hinter vielen menschenverachtenden Aussagen im Netz steht nicht eine spontane emotionale Hassreaktion, sondern es werden tiefsitzende Einstellungen und Vorurteile in der Gesellschaft deutlich. Es reicht nicht aus, darauf mit „Liebe“ oder mit reinen Argumenten und Fakten zu antworten. Der Begriff hopSpeech soll aber beschreiben, dass wir auch mit einem hoffnungsvollen Blick auf digitale Räume schauen wollen, mit dem Ziel eine digitale Zivilgesellschaft zu stärken und diese Räume auch aktiv mitzugestalten.

 

6. Was bedeutet digitale Zivilgesellschaft für euch?

Normativ gesehen hat Zivilgesellschaft immer etwas mit Demokratie, Selbstorganisation und Engagement als Gegenpol zu staatlichen Sphären zu tun. Wenn wir davon ausgehen, dass Zivilgesellschaft die Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft ist, dann findet diese Gesellschaft natürlich auch digital statt. So wie in analogen Räumen der Zivilgesellschaft eine große Bedeutung zukommt, zum Beispiel im Bereich der Rechtsextremismusprävention, so lässt sich das auch auf den digitalen Raum übertragen. Neben den notwendigen staatlichen und vor allem juristischen Möglichkeiten, hatespeech zu bekämpfen, trägt auch die digitale Zivilgesellschaft dazu bei, digitale Räume demokratisch und gewaltfrei zu gestalten. Und trotzdem ist es nicht so einfach, weil die digitalen Funktionslogiken andere sind. Wir können uns zum Beispiel unter dem Konzept der Zivilcourage in der U-Bahn oder auf der Straße etwas vorstellen, doch im Netz fällt es manchmal schwer.

 

7. Welche digitalen Herausforderungen seht ihr für die Zukunft?

Soziale Plattformen sind ein strategischer Handlungsraum für rechte Akteur*innen und Gruppierungen geworden, weil sie im Netz viel effektiver ihre Ziele umsetzen können. Es gilt, diese Mechanismen zu verstehen und gleichzeitig nicht das gesamte Internet als vermeintliche „Radikalisierungsmaschine“ abzutun. Gleichzeitig wird rund um die Diskussion um das NetzDG das Spannungsverhältnis zwischen Maßstäben für einen demokratischen Diskurs und unternehmerisch und wirtschaftlichen Interessen deutlich. Auch Prozesse der Strafverfolgung von Hass im Netz müssen den aktuellen Herausforderungen gerecht werden. Die Auswirkungen von digitaler Gewalt, wie Hass, Beleidigungen und Einschüchterungen, auf die Betroffenen sind enorm. Und, der nachhaltige Einfluss von hatespeech darf nicht unterschätzt werden. Es ist kaum bestreitbar, dass die massive online-Mobilisierung gegen Geflüchtete in den letzten Jahren zu einer Entgrenzung des Sagbaren geführt hat und schließlich immer dazu führen kann, dass aus Worten Taten werden.

 

8. Debate heißt für euch…

…den gesellschaftlichen Diskurs mitzugestalten und zwar dort, wo eine echte Debatte möglich ist; Diskriminierungen und Menschenfeindlichkeit nicht zu ignorieren und vor allem Betroffene nicht weiter zu marginalisieren

 

9. Dehate heißt für euch…

…den „Hass“ und die dahinterliegenden Einstellungsmuster zu erkennen, zu benennen und Solidarität mit Betroffenen zu zeigen.

 

Netzteufel: https://www.netzteufel.eaberlin.de/
Interview geführt von der Debate//De:hate Redaktion

 

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