Manchmal ist es gar nicht so einfach, Wahrheit und Fiktion auseinanderzuhalten. Orientierung bietet der VerschwörungsChecker, mit dem User*innen Erzählungen ganz einfach selbst auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können.
von Veronika Ertl
Beim Projekt debunk der Amadeu Antonio Stiftung geht es vor allem um den Kampf gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien. Das Team ist meist in Sachsen unterwegs und arbeitet mit engagierten Schüler*innen, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Schulen und Workshops zusammen, aber auch mit Lehrkräften und Sozialpädagog*innen und in demokratiefördernden Netzwerken vor Ort.
Belltower.News hat mit dem debunk-Projektreferenten Malte Reinke-Dieker über den neuen VerschwörungsChecker gesprochen, ob man damit wirklich jede Verschwörungserzählung checken kann und was das „Grundrezept“ von Verschwörungsideologien ist.
Belltower.News: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen VerschwörungsChecker zu entwickeln?
Malte Reinke-Dieker: Wir machen als Projekt debunk politische Bildungsarbeit mit Schwerpunkt auf Sachsen, aber auch bundesweit. Zu Beginn der Pandemie standen wir vor der großen Herausforderung, Veranstaltungen, Workshops, Seminare und Weiterbildungen auf einmal digital umzusetzen und sie dabei möglichst attraktiv zu gestalten. Gleichzeitig war uns aufgefallen, dass es neben reinen Faktenchecker-Seiten bisher kein Tool gab, das die Inhalte spielerisch vermittelt. Unser Gedanke war also, dass es ein spielerisches, niedrigschwelliges und attraktives Tool braucht.
Kann man mit dem Tool wirklich jede Verschwörungserzählung checken?
Der Checker ist so konzipiert, dass man jede beliebige Verschwörungserzählung checken kann – auch aus dem Grund, dass uns in unserer Arbeit und auch in der Pandemie so viele verschiedene Verschwörungserzählungen begegnet sind, die zwar zum Teil total absurd und leicht zu durchschauen sind, aber zum Teil eben auch sehr real klingen.
Deshalb haben wir das Tool so offen wie möglich entwickelt und arbeiten uns gar nicht an einzelnen oder konkreten Erzählungen ab. Dadurch ist der VerschwörungsChecker zeitlos nutzbar und nicht nur auf die Pandemie anwendbar, sondern zum Beispiel auch auf Verschwörungserzählungen rund um den Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Klimakrise oder Energiepreise. Man soll jede Erzählung prüfen können, auch, ob es sich vielleicht sogar um eine reale Verschwörung handelt. Denn die gibt es natürlich auch.
Gleichzeitig ist es uns sehr wichtig zu betonen, dass der VerschwörungsChecker zwar eine erste Orientierung bietet, es darüber hinaus aber noch weitere Recherchen braucht, um eine hundertprozentig eindeutige Antwort zu bekommen. Am Ende sprechen wir deshalb die Empfehlung aus, sich weiter zu informieren. Dafür haben wir eine Linksammlung erstellt, zum Beispiel zu Broschüren der Amadeu Antonio Stiftung oder auch zu Beratungsstellen.
Nach Beantwortung einiger Multiple-Choice-Fragen liefert das Tool eine Einschätzung, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Erzählung Nonsens ist. Kannst du kurz beschreiben, wie der VerschwörungsChecker zu seinem Ergebnis kommt?
Die Realisierung des VerschwörungsCheckers war auf jeden Fall sehr arbeitsaufwendig, aber auch super spannend. Wir haben zuerst die Fragen entwickelt, immer auch mit dem Hintergedanken, dass der Checker Inhalte niedrigschwellig vermitteln soll. Deshalb können User*innen auch bei jeder Frage nachlesen, warum wir sie überhaupt stellen.
Dann haben wir die Antworten entwickelt. Hinter den Antworten gibt es eine Bewertungsmatrix, das heißt, wir haben die Antwortmöglichkeiten unterschiedlich bewertet. Im Hintergrund werden alle Antworten zusammengerechnet und dann gibt es am Ende das Ergebnis.
Es gehört aber zur Intention des Checkers, dass es nicht nur um das reine Ergebnis geht, sondern dass man auf dem Weg dorthin auch schon Inhalte mitbekommt. Nutzer*innen sollen so befähigt werden, auch in Zukunft Verschwörungserzählungen besser einordnen zu können – auch wenn sie den Checker gerade nicht zur Hand haben.
Du hast gerade angesprochen, dass der Entstehungsprozess sehr arbeitsaufwendig war. Vor welchen Herausforderungen standet ihr denn bei der Entwicklung?
Wir haben uns erst mal die Frage gestellt: Für wen ist der VerschwörungsChecker eigentlich gedacht? Wir haben da natürlich unsere debunk-Zielgruppe im Blick, also Jugendliche und junge Erwachsene, aber eben auch Fachkräfte der Bildungsarbeit und Lehrkräfte. Dazu kommt aber – dadurch, dass es eine öffentlich abrufbare Seite ist – auch eine interessierte, breite Masse der Gesellschaft.
Nicht nur die Diversität der Zielgruppen, sondern auch die Diversität der Erzählungen war eine große Herausforderung. Es gibt ja eine Vielzahl an Verschwörungserzählungen, zu der noch ständig neue Erzählungen dazukommen. Deswegen freuen wir uns besonders, den Checker letztendlich unabhängig von konkreten Erzählungen konzipiert zu haben.
Denn auch wenn Verschwörungsnarrative im Wandel sind und sich die Themen ändern, bleibt im Kern das gleiche Grundrezept und die gleiche antisemitische Grundstruktur erhalten. Das zu vermitteln, war unser Hauptziel.
Der VerschwörungsChecker – und seine Nutzer*innen – sollen Verschwörungserzählungen also an ihrem gleichen Grundrezept erkennen. Kannst du auf diese gemeinsame Struktur kurz eingehen?
Das Grundrezept einer Verschwörungsideologie ist, dass es zwei Seiten gibt. Es gibt Gut und Böse, auf der einen Seite die Betroffenen und auf der anderen Seite die Verschwörer*innen. Die Verschwörer*innen sind in der Regel sehr, sehr mächtig. Sie sind so mächtig, dass sie weltweit Geschehnisse lenken können. Und zum Grundrezept gehört auch, dass es immer eine Wahrheit hinter den Dingen gibt. Also: Nichts ist, wie es scheint. Das heißt: Wenn man einer Verschwörungsideologie anhängt, hat man oftmals auch das Gefühl, ständig belogen zu werden – durch die Nachrichten, durch die Medien, durch den Schulunterricht.
Da ist also auf der einen Seite eine kleine, mächtige, böse Gruppe, die die Geschehnisse lenkt und die Welt regiert. Und das sind alles Punkte, die wir im Antisemitismus wiederfinden. Deshalb sprechen wir bei Verschwörungsideologien auch von strukturellem Antisemitismus, der uns da immer wieder begegnet – ganz unabhängig von der jeweiligen Erzählung.
Auf der Website des VerschwörungsCheckers ist auch ein ausführliches FAQ zu finden. Darin schreibt ihr, dass eine Verschwörungsideologie in manchen Fällen nicht mehr einfach nur mit Fakten auflösbar ist. Was braucht es da noch?
Das ist auf jeden Fall eine Frage, die uns auch in unserer politischen Bildungsarbeit immer wieder begegnet. Ich glaube, dass die Erkenntnis, dass es eben nicht reicht, Leuten Artikel und Fakten zu schicken, schon ein erster, wichtiger Schritt ist.
Gerade zu Beginn, wenn eine Person anfängt, sich für verschwörungsideologische Inhalte zu interessieren, und an einem frühen Zeitpunkt der Radikalisierung steht, ist es noch möglich, sie mit Fakten und Artikeln zu erreichen. An einem späteren Zeitpunkt, wenn eine Person immer weiter reinrutscht in ein verschwörungsideologisches Weltbild, wird das immer schwieriger – beziehungsweise ab einem gewissen Punkt sogar hinderlich.
Das liegt daran, dass die Person diese Inhalte ablehnt, sich vielleicht sogar aus der Auseinandersetzung zurückzieht oder die Artikel in das eigene Weltbild mit einbaut. Wenn man zum Beispiel Artikel von der ARD oder von der Tagesschau schickt, wird einem dann gesagt, dass das die manipulierte Presse sei und so weiter. Deswegen ist es da sehr schwierig, mit Fakten zu arbeiten. Vor allem in der individuellen Auseinandersetzung ist es daher wichtig, viel Geduld zu haben, um mit der jeweiligen Person ein gutes Verhältnis aufzubauen und einen Dialog sehr langfristig führen zu können.
Eine Person, die Verschwörungserzählungen anhängt, mit Links und Fakten zu überhäufen, reicht also nicht. Was kann man stattdessen tun, wenn man sich auf den langfristigen Dialog einlassen möchte?
Es kann total hilfreich sein, auch mal die Inhalte der Erzählung oder Verschwörungsmythen beiseite zu schieben und zu schauen: Gibt es bei der Person vielleicht Ängste oder negative Erfahrungen? Denn gerade in Krisenzeiten sind Verschwörungserzählungen sehr attraktiv und geben mit einfachen Lösungen Stabilität und Halt. Das können persönliche Krisen sein, Jobverlust, Wegbruch der Familie und so weiter, aber auch gesellschaftliche, zum Beispiel die Pandemie oder die Inflation. Deswegen ist es ja auch so schwierig, die Person einfach nur mit Fakten zu erreichen, weil Emotionen hier eine so große Rolle spielen.
Anstatt eine Person mit Fakten oder Artikeln zu erschlagen, sollte man vor allem sehr viele Rückfragen stellen, zum Beispiel: „Meinst du, das kann wirklich so sein?“ oder „Was hat denn die Person davon, die eine vermeintliche Verschwörung angezettelt hat?“. Man sollte auch immer wieder Kritik äußern und zum Beispiel sagen: „Das kann ich mir aber irgendwie nicht vorstellen“ oder „Das ist doch total unrealistisch“, um verschwörungsideologische Narrative und Weltbilder Stück für Stück und Schritt für Schritt zum Bröseln zu bringen und ins Wanken zu kriegen. Das ist das langfristige Ziel.
Man sollte in so einer Auseinandersetzung aber auch immer klare Grenzen setzen und das Gespräch abbrechen, wenn man sich beispielsweise von einer Person bedroht fühlt, sich unwohl fühlt, spätestens aber, wenn menschenverachtende, diskriminierende oder antisemitische Inhalte geäußert werden.
Hilfe und Support in der Auseinandersetzung mit Verschwörungsgläubigen bieten Beratungsstellen.
Um zurück zum VerschwörungsChecker zu kommen: Was erhofft ihr euch konkret davon? Welche Rolle spielen solche Tools in der Arbeit gegen Verschwörungserzählungen und Antisemitismus?
Ich glaube, dass so ein Tool natürlich nicht die allgemeingültige Lösung sein kann. Aber solche Werkzeuge sind eine sehr gute Ergänzung zu existierenden Materialien, also zu Unterrichtsmaterialien und Methoden der Bildungsarbeit, insbesondere im digitalen Raum. Außerdem kann es in allen möglichen Kontexten ein total hilfreiches Tool sein, um sich dem Thema anzunähern, eben weil es so niedrigschwellig, attraktiv und spielerisch ist, aber gleichzeitig weiterführende Information bietet.
Und weil es eine offen abrufbare Seite ist, besteht natürlich auch die Hoffnung, dass der VerschwörungsChecker Personen Orientierung bietet, die ganz klassisch eine Erzählung erzählt bekommen, in einem Familien-Chat mitbekommen oder im Internet gelesen haben und sich fragen: Was ist das jetzt eigentlich? Ist das Nonsens? Oder ist da vielleicht doch was dahinter?
Kann man denn überhaupt spielerisch mit Verschwörungsideologien umgehen?
Das ist natürlich eine schwierige Frage, aber ich glaube, dass der Zugang schon spielerisch sein kann. Natürlich gleichzeitig, ohne ein Thema zu verharmlosen. Wenn man das Ganze begleitet, kontextualisiert und als Einstieg nimmt, um das Thema zu behandeln, dann kann so ein spielerischer, niedrigschwelliger Zugang unserer Einschätzung nach gut funktionieren.
Das Tool ist eine gemeinsame Initiative der Amadeu Antonio Stiftung und der Berliner Webagentur ACB, umgesetzt im Projekt debunk und gefördert durch Mittel von Demokratie leben und dem Weltoffenen Sachsen.
Ausprobieren kann man den VerschwörungsChecker jetzt unter https://verschwoerungschecker.org/.