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Offener Brief

Offener Brief zur Namensgebung des Universitätsklinikums und der medizinischen Fakultät Dresden

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Universitätsklinikum Dresden und die medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden tragen seit 1993 den Namen „Carl Gustav Carus“. Carus war Leibarzt des sächsischen Königs Anton von Sachsen sowie des späteren Königs Friedrich August II. Als Mediziner, Maler und Philosoph wird ihm eine große Bedeutung als Universalgelehrter des 19. Jahrhunderts zugeschrieben. Es ist uns kein Anliegen sein Wirken in diesen Gebieten zu beurteilen, vielmehr möchten wir uns einem anderen Teil seiner Arbeit zuwenden.
Als Autor der Schrift „Über die ungleiche Befähigung der verschiedenen Menschheitsstämme für höhere geistige Entwicklung“ verfasste Carus ein relevantes Werk der Rassentheorie. Hier entwickelte er seine These von „Tag-, Dämmerungs- und Nachtvölkern” und postuliert, dass die Leistungsfähigkeit und Intelligenz eines Menschen durch seine Herkunft bestimmt seien. Er bedient sich hier zutiefst rassistischer und kolonialistischer Argumentationsstrukturen und rechtfertigt auf Grundlage seiner Thesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie koloniale Ausbeutung und Sklaverei.[1] Seine menschenverachtenden Thesen basiert Carus auf unwissenschaftlichen Methoden. So galt schon zu seiner Zeit die Vermessung von Schädeln zur Feststellung von Intelligenz und Charaktereigenschaften – die Grundlage seiner Argumentation – als widerlegt. Ungeachtet dessen bediente sich Carus in mehreren Schriften dieser Methode.[2]

Seine zutiefst rassistischen Thesen verurteilen wir aufs Schärfste!

Die Einordnung Carus’ als “Kind seiner Zeit” ist in unseren Augen eine Fehlinterpretation und Verharmlosung seines Werkes und seines aktiven Einflusses auf rassentheoretisches Gedankengut. Carus lieferte eine ideologische Rechtfertigung für Imperialismus und Kolonialismus und gilt außerdem als Vordenker von Arthur de Gobineau, dessen Thesen wiederum entscheidenden Einfluss auf die nationalsozialistische Rassenideologie hatten.[3]

Trotz dieser rassistischen Theorien trägt das Uniklinikum Dresden sowie die Medizinische Fakultät und weitere Orte in Dresden Carus’ Namen. Sein Portrait und Name bilden das Zentrum der Öffentlichkeitsarbeit des Uniklinikums. Seit mehreren Jahren werden Begriffe wie Toleranz, Menschenwürde und Vielfalt in einer groß angelegten Marketingkampagne des Universitätsklinikums mit ihm in Verbindung gebracht. Es ist uns unerklärlich, wie ein Rassentheoretiker als Bild für Toleranz gegenüber allen Menschen dienen kann.
Die Uniklinik Dresden schweigt über die rassistische Vergangenheit ihres Namensgebers. Es gibt keine konstruktive und kritische Einordnung der Person Carl Gustav Carus, wie es an anderen Orten Dresdens z.B. am Deutschen Hygiene Museum gelungen ist. Ihm wird weiterhin die Ehre erwiesen als Namensgeber der Uniklinik und der Medizinischen Fakultät zu dienen.

Wir fordern die kritische Auseinandersetzung mit der Person Carl Gustav Carus’ im Bereich Lehre, Selbstverständnis und Öffentlichkeitsarbeit.

Wir fordern eine nachhaltige Prüfung und Hinterfragung der Namensgebung.

Wir fordern eine Umbenennung des Uniklinikums und der medizinischen Fakultät Dresden, sodass der Name dieser Institutionen dem Anspruch von Vielfalt und Toleranz entspricht.

Unterstützen können Sie diese Forderungen mit dieser Petition!

 

[1] Carus: Über die ungleiche Befähigung der verschiedenen Menschheitsstämme für höhere geistige Entwicklung, S. 22 ff, Brockhaus 1849
[2] Carus: Grundzüge einer neuen und wissenschaftlich begründeten Cranioscopie (Schädellehre). Stuttgart, 1841 Carus: Über die ungleiche Befähigung der
verschiedenen Menschheitsstämme für höhere geistige Entwicklung, S. 18 ff, Brockhaus 1849
[3] Stubbe, H. (1989). Hatten die Germanen graue Augen? Rassenpsychologisches bei C.G. Carus. In Psychologie und Geschichte (Vol. 1, Issues 3). Roland   Asanger Verlag GmbH.

Einzelpersonen:

Ali Schwartz von Polymora inc. (Systemische Therapeutin, Leipzig)

Prof. Dr. Trabert (Arzt, Sozialarbeiter und Hochschulprofessor)

Ninia „LaGrande” Binias (Moderatorin & Autorin)

Anne Harzendorf (Basisgruppe Medizin Göttingen)

Susanne Gärtner (Gruppe gegen Antiromaismus Dresden)

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