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Premiere trotz Brandanschlag – Theater als Mittel der NSU-Aufarbeitung

In der Nacht zum 8. November wurde das Kunst- und Kulturhaus »Lokomov« in Chemnitz Ziel eines Sprengstoffattentates. Die Tat wird als Versuch der Einschüchertung wegen des Theaterprojekts ›Unentdeckte Nachbarn‹ gewertet. Nicht nur in Chemnitz wird das Theater als Mittel der NSU-Aufarbeitung genutzt. Auch die Bühne für Menschenrechte und das Nö Theater wählten diese Form der Aufarbeitung.

von Teresa Sündermann

Die Druckwelle schleuderte die zerbrochenen Fensterscheiben weit in den Raum hinein, die Vorhangstange wurde aus der Wand gerissen, das Feuer versengte Teile der Holzverkleidung.Mehrere Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Gebäude – verletzt wurde glücklicherweise niemand. »Es ist davon auszugehen, dass es sich um einen Einschüchterungsversuch wegen des derzeit stattfindenden Theaterprojekts ›Unentdeckte Nachbarn‹ handelt. Das Lokomov war in vergangener Zeit immer wieder Ziel von rechtsextremen Anschlägen, unter anderem wurden mehrfach Schaufensterscheiben eingeschlagen und das Gebäude mit Farbbeuteln attackiert«, erklärte kurz darauf der Vorstand des Klub Solitaer e.V.

Das Lokomov sollte einer der Spielorte des Theatertreffens »Unentdeckte Nachbarn« sein, welches in Chemnitz und Zwickau vom 1. bis 11. November veranstaltet wurde – gefördert auch von der Amadeu Antonio Stiftung. Einschüchtern ließ man sich nicht – kurzfristig wurde ein anderer Veranstaltungsort organisiert.

5 Jahre nach Selbstaufdeckung des NSU wurde Chemnitz bewusst als Ort des Theatertreffens gewählt, erzählt Projektleiter Franz Knoppe: »Chemnitz stand nie so im Fokus der medialen Aufarbeitung der NSU-Verbrechen, wie es bei Jena oder Zwickau der Fall war. Chemnitz kam so gut wie nicht vor, obwohl sich die drei Verdächtigen zwei Jahre lang hier versteckt haben und von der extremen Szene vor Ort unterstützt wurden. Als wir unsere Idee eines Theatertreffens hier vorgestellt haben, haben wir viel Zustimmung erfahren. Das zeigt mir: Chemnitz hat Interesse an einer eigenen Reflexion.«

Das NSU-Trio und sein Unterstützer_innennetzwerk lebten über zehn Jahre als unentdeckte Nachbar_innen in der Region, während sie bundesweit zehn Morde, drei Bombenanschläge und zahlreiche Raubüberfälle verübten. Mit unentdeckten Nachbar_innen sind aber auch die Menschen gemeint, die zu den Opfern und Betroffenen der NSU-Verbrechen gehören, aber lange Zeit für die Morde und Anschläge verantwortlich gemacht wurden. Auf dem Theatertreffen in Sachsen rückten zahlreiche Stücke vor allem ihre Perspektive in den Mittelpunkt. Angehörige und Betroffene wurden außerdem dazu eingeladen, selbst zu Wort zu kommen. So gab es neben zahlreichen Stücken auch die Möglichkeit, an Publikumsgesprächen, Podiumsdiskussionen und Workshops teilzunehmen.

Auch die mit dem Amadeu Antonio Preis ausgezeichnete Bühne für Menschenrechte erzählt in den »NSU-Monologen« Geschichten der Opfer und Hinterbliebenen in deutscher und türkischer Sprache. Projektkoordinatorin Léonie Jeismann kritisiert den bisherigen öffentlichen Umgang mit dem NSU als weitestgehend Täter_innenfokussiert: »Wir erfuhren kaum etwas über die Hinterbliebenen«.

In Brandenburg tourte im November 2016 das ebenfalls von der Amadeu Antonio Stiftung geförderte Nö Theater aus Köln mit dem Stück »A wie Aufklärung«. Neben institutionellem und gesellschaftlichem Rassismus wurde bei dieser Theatertour auch auf die Kontinuität und insbesondere auf die Aktualität von rechtem Terror hingewiesen, die auch der Sprengstoffanschlag in Chemnitz erneut deutlich machte.

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