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Recherche: So organisiert sich die neue Generation der Neonazis

Symbolbild

Die neuen rechtsextremen Jugendgruppierungen sind aktionsorientiert und haben hohes Mobilisierungspotenzial. Wer steckt dahinter, wie sind sie organisiert und warum sind sie so erfolgreich?

Von Luisa Gehring

Rechtsextreme Jugendgruppen erleben derzeit einen Zulauf, wie man ihn in der Geschichte der Bundesrepublik nur selten erlebt hat. Das Erschließen einer breiteren Gefolgschaft, bestehend aus Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, geht jedoch keinesfalls mit einer Mäßigung der Positionen und Aktionen einher. Junge Neonazis stören CSDs, greifen politische Gegner*innen an und verüben Anschläge auf Jugendzentren, queere Bars und alternative Wohnprojekte. Sie solidarisieren sich mit rechtsextremen Szenegrößen und präsentieren sich auf Social Media teilweise mit Klarnamen, ohne Vermummung, dafür mit Reichsflagge, White-Power-Geste, bei Wanderungen und Kampfsporttrainings. Die Bilder strotzen vor rechtsextremer Selbstermächtigung und der Inszenierung von Stärke.

Über Social Media erreichen die Accounts der einzelnen Ortsgruppen sowie der bundesweiten Dachorganisationen zehntausende Aufrufe. Die Algorithmen der Plattformen werden über die eigene Erschaffung von Trends und das abgestimmte Auftreten in „Guerilla-Strategie” gezielt genutzt, sodass in bestimmten Blasen eine Omnipräsenz rechtsextremer Inhalte entsteht. Die Kommentarspalten unter politischen Beiträgen sind voll mit blauen Herzen, Adler-Emojis und Deutschlandfahnen. TikTok, Instagram, Telegram, aber auch WhatsApp dienen den Jungnazis nicht nur als Schaufenster der eigenen Themen, sondern werden auch zur Nachwuchsrekrutierung eingesetzt. Online gerät man erschreckend leicht in die innersten Kreise der neuen Generation des deutschen Rechtsextremismus.

Ausdifferenzierung als Schutzschild

Junge Nationalisten, Deutsche Jugend Voran, Elblandrevolte, Der Störtrupp, Jung & Stark, Letzte Verteidigungswelle, Pforzheim Revolte, Deutsche Jugend Zuerst, Gersche Jugend, Nationalrevolutionäre Jugend, Sächsische Separatisten, Unitas Germanica, Reconquista 21, Chemnitz Revolte, Neue Deutsche Jugend – je länger man sich mit rechtsextremen Jugendorganisationen auseinandersetzt, desto mehr Namen findet man auch. Das Netzwerk der Jungnazis hat sich in den letzten Jahren stark ausdifferenziert. Diese Ausdifferenzierung ist aber nicht mit einer inhaltlichen Zersplitterung der jungen Rechtsextremen gleichzusetzen. Vielmehr ist sie eine szeneinterne Strategie, um die eigene Flexibilität zu erhöhen und sich gleichzeitig staatlichen Exekutivmaßnahmen leichter zu entziehen. Gerät eine Gruppierung ins Visier der Sicherheitsbehörden, dient die Ausdifferenzierung anderen als Schutzschild.

Die Aktionen und Inhalte der Gruppen sind hingegen kaum voneinander zu unterscheiden. Sie eint die Verherrlichung des Nationalsozialismus, die Abwertung von Menschen, die sie als „fremd“, „anders“ oder „schwach“ markieren, sowie eine offene Queer- und Transfeindlichkeit. Deutlich wird das insbesondere im gemeinsamen Auftreten gegen CSDs und Pride-Paraden. Mit dem #Stolzmonat wurde auf Social Media eine kollektive Gegenkampagne zum Pridemonth gefahren, die über gewaltvolle Störaktionen von CSDs und Angriffe auf queeren und trans* Menschen in die Tat umgesetzt wird.

Doch um welche Gruppen geht es konkret? Im Folgenden beleuchten wir einige der aktivsten Jungnazi-Gruppierungen, die sich durch eine aggressive Selbstdarstellung im Netz und auf der Straße bundesweit einen Namen gemacht haben.

Junge Nationalisten

Viele der Organisationen sind an rechtsextreme Parteien gebunden. Parteijugendorganisationen wie die Jungen Nationalisten (Die Heimat, früher NPD) fungieren für ihre Mutterparteien als erste Anlaufstelle für junge Neumitglieder und sollen die politischen Forderungen der Partei auf die Straße tragen. Im Sommer 2024 organisierte die Jugendorganisation der Heimat eine Sonnenwendfeier in Enschede. Dem Medienkollektiv Recherche Nord gelang es mit Drohnen und einer Hebebühne, die von der Öffentlichkeit abgeschirmte Veranstaltung zu dokumentieren. Die entstandenen Bilder zeigen Kinder und Jugendliche bei nationalsozialistischen Ritualen und Bräuchen. Auch 2025 feierten die jungen Neonazis die Sonnenwende. Laut Recherche Nord dienen Feste wie diese zur rechtsextremen Identitätsstiftung der jungen Neonazis, indem sie sich zum einen als „Volksgemeinschaft“ von der demokratischen Gesellschaft abgrenzen und zum anderen gemeinschaftsstiftende Rituale praktiziert werden.

Die rechtsextreme Jugendorganisation ist hierarchisch und autoritär organisiert. Auf Demonstrationen wird ein „anständiges Verhalten und Auftreten verlangt“, wie die Gruppe in ihrem Infokanal auf Telegram schreibt. Anwärter und Unterstützer werden aufgefordert, das „weinrote Jugendbewegung T-Hemd“ zu tragen, während Vollmitglieder das „weiße Rebellen T-Hemd“ anziehen dürfen. Die JN haben in ganz Deutschland Ortsgruppen, deren Namen sich zum Teil von dem der Dachorganisation unterscheiden, wie die „Holsteiner Bande“ oder die „Märkische Jugend“.

Elblandrevolte

Auch die im Raum Dresden aktive Elblandrevolte ist ein Ableger der JN. Sie beteiligte sich unter anderem an dem rechtsextremen Aufmarsch gegen den CSD in Bautzen 2024 – einer der größten rechtsextremen Gegenveranstaltungen der CSD-Saison 2024. Rund 1.000 Teilnehmende standen fast 700 Rechtsextremen gegenüber. Der CSD in Bautzen wurde zum Selbstermächtigungsmoment der jungen Rechtsextremen. Danach ist ein bundesweiter Anstieg rechtsextremer Störaktionen bei CSDs nachweisbar, wie das Autor*innenkollektiv „Feministische Intervention” in einer Analyse auf NSU Watch dokumentiert. Mitglieder der Elblandrevolte werden auch für die Angriffe gegen den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke im Mai 2024 und die Linken-Politikerin Samara Schrenk im Dezember 2024 verantwortlich gemacht.

Einer der Täter und führendes Mitglied der Elblandrevolte, der 19-Jährige Finley Pügner, sitzt mittlerweile im Gefängnis. Pügner wurde während des Angriffs gegen Samara Schrenk die Sturmhaube vom Kopf gezogen und der Neonazi konnte identifiziert werden. Ein Video von Spiegel-TV zeigt ihn bereits einige Wochen vor dem Angriff dabei, wie er der Linken-Politikerin am Rande einer Montagsdemonstration in Görlitz droht, ihr mal „eine reinzuschießen“: „Das wird wie ein zweites Weihnachten für dich, du Schlampe.“ In Reaktion auf die Inhaftierung von Pügner starteten die JN die Kampagne „Freiheit für Finley“, über die sie sich mit Pügner solidarisieren und zu Spenden und Demonstrationen aufrufen.

Jung & Stark

Schulter an Schulter demonstrierten die Jungen Nationalisten im Juli 2025 mehrmals mit der Jugendorganisation „Jung & Stark” bei der von der Heimat angemeldeten Demonstration „Für eine würdige Grabstätte für Siegfried Borchardt“ in Münster. Borchardt galt als eine Schlüsselfigur der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene. Er war Mitgründer der inzwischen verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und zog 2014 als Vertreter der Partei „Die Rechte“ in den Dortmunder Stadtrat ein. Innerhalb der rechtsextremen Szene wird Borchardt bis heute als Märtyrer verehrt. Auch nach seinem Tod im Jahr 2021 wird er in sozialen Medien glorifiziert – zunehmend auch von der jüngeren Generation.

Der rechtsextremen Jugendorganisation Jung & Stark wird vom Verfassungsschutz ein Personenpotenzial im mittleren dreistelligen Bereich zugesprochen. Wie auch die JN ist J&S bundesweit aktiv und organisiert Wanderausflüge, Rechtsrockkonzerte, Fußballturniere oder Kampfsporttrainings. Wie gewaltaffin die Gruppierung ist, zeigte die Instagram-Story eines Mitglieds von Jung & Stark NRW. Selbstbewusst zeigt sich der junge Mann beim Schusswaffentraining in der Natur.

Nationalrevolutionäre Jugend

Die Nationalrevolutionäre Jugend ist nach Angaben der rechtsextremen Partei III. Weg keine eigenständige Jugendorganisation, wie die JN es für die Heimat ist. Sie ist lediglich eine Arbeitsgemeinschaft der Partei. Nach außen hin gibt sich die NRJ gewaltfrei und fungiert als Anwerbeplattform junger Menschen für die Parteiarbeit. Besonders im Raum Berlin undBrandenburg treten ihre Mitglieder jedoch militant auf und führen gewaltsame Aktionen gegen politische Gegner durch. So sind auch Mitglieder der NRJ für den Angriff auf mehrere Antifaschist*innen am Berliner Bahnhof Ostkreuz 2024 verantwortlich. 15 bis 20 vermummte und mit Knüppeln, Schlagstöcken und Pfefferspray bewaffnete Neonazis griffen am helllichten Tag Anreisende einer linken Demonstration an und verletzten sie schwer.

Deutsche Jugend Voran

Ebenfalls vor allem im Berliner Umland aktiv ist „Deutsche Jugend Voran” (DJV). Ortsgruppen existieren aber in fast allen Bundesländern. In Berlin wurde ihr Anführer Julian M. wegen mehreren Gewaltdelikten zu drei Jahren Haft verurteilt. Gemeinsam mit anderen Nqachwuchsnazis verprügelte er einen Mann in Antifa-Shirt und nötigte ihn, das Kleidungsstück auszuziehen. Später posierten die Neonazis mit dem geraubten T-Shirt in einer Kneipe für ein Foto, welches sie in den sozialen Netzwerken verbreiteten. Ende Juli 2025 wurden weitere Wohnungen von DJV-Mitgliedern in Berlin durchsucht. Die DJV versuchte auch den CSD in Berlin 2025 zu stören. Angemeldet zu Gegendemo waren 400 Teilnehmende – lediglich 40 erschienen. Selbst Anführer Julian M. blieb dieser Blamage fern und zog es vor, zu Hause zu bleiben.

Der Störtrupp

Der Störtrupp ist ein Sammelbecken für sowohl erfahrene rechtsextreme Kader teilweise aus den Reihen der berühmt-berüchtigten Dortmunder Neonazi-Szene sowie der Partei Die Rechte, als auch für Jungnazis. In den vier Regionalgruppen Nord, Süd, West und Ost organisieren sich teils militante Neonazis. Dem ZDF gelang es, mehr als ein halbes Jahr die Nachrichten der Organisation mitzulesen. Auf WhatsApp schreiben sich die Mitglieder rassistische, antifeministische, antisemitische und queerfeindliche Nachrichten. Auch Fotos von Messern, Waffen und Hakenkreuzfahnen werden ausgetauscht. Der Störtrupp tritt vor allem bei rechtsextremen Gegendemonstrationen zu CSDs in Erscheinung.

Junge Alternative

Die ehemalige Jugendorganisation der rechtsextremen AfD verzeichnete zuletzt 4.300 Mitglieder und führte Landesverbände in allen 16 Bundesländern. Nach ihrer Einstufung als gesichert rechtsextrem löste sich die JA in Reaktion auf einen Parteibeschluss zum 1. Februar 2025 selbst auf. Am 29./30. November 2025 wird die Gründung der neuen AfD-Jugendorganisation in Gießen (Hessen) geplant. Das neue Logo wurde bereits vorgestellt: Die Umrisse eines AfD-blauen Adlers, darunter das Logo der Partei und der neue Name der Jugendorganisation. Zur Auswahl stehen „Patriotische Jugend“, „Junge Patrioten“, „Deutschlandjugend“ und „Parteijugend“. Spannend wird sein, ob die bekannten rechtsextremen Jugendorganisation auf einer Unvereinbarkeitsliste stehen werden – und ob die neue AfD-Jugendorganisation mit der Beliebtheit von JN, DJV, NRJ, J&S und Co mithalten kann.

Frauen und Mädchen als Stabilisatorinnen

Die rechtsextreme Inszenierung von Stärke und Selbstermächtigung dieser Gruppierungen spricht vor allem männlich sozialisierte Jugendliche an. In diesem Ungleichgewicht sehen Jugendorganisationen die Gefahr, ihre Mitglieder nicht vollumfänglich an die rechtsextremen Strukturen binden zu können. Viele beginnen daher, ihre Ansprache anzupassen, „Mädelbunde“ zu gründen und zu „Mädeltagen“ einzuladen. Mädchen und Frauen nehmen im Rechtsextremismus eine ambivalente Position ein. Sie balancieren zwischen rebellischem Aktionismus und fürsorglicher Erhaltung der „Volksgemeinschaft“.

Zwischen TikTok und Tatbereitschaft

Die aktuelle Dynamik im rechtsextremen Jugendmilieu stellt eine ernstzunehmende Herausforderung für Zivilgesellschaft, Politik und Sicherheitsbehörden dar. Die Strategien dieser Gruppierungen sind nicht neu, aber in ihrer Form zeitgemäßer und anschlussfähiger denn je: Sie kombinieren digitale Reichweite mit lokaler Verankerung, Lifestyle-Ästhetik mit Gewaltbereitschaft, ideologische Geschlossenheit mit organisatorischer Vielfalt. Die Szene spricht gezielt junge Menschen an, die auf der Suche nach Orientierung, Zugehörigkeit oder Macht sind – und findet sie in einem gesellschaftlichen Klima, das von Krisen, Unsicherheit und Entsolidarisierung geprägt ist.

Ein wirksamer Umgang mit dieser Entwicklung erfordert mehr als nur polizeiliche Repression oder das Monitoring von Kanälen. Die extreme Rechte formiert sich neu. Es liegt an uns, nicht nur zuzusehen.

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