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Interview

Staatliche Maßnahmen gegen Hate Speech im Internet

Die Verbreitung von Beleidigungen, Drohungen und Aufrufen zur Gewalt im Internet ist keine Seltenheit. Im Auftrag von Campact und der Amadeu Antonio Stiftung hat das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena (IDZ) nun die Studie „Staatliche Maßnahmen gegen Hate Speech im Internet. Die Bundesländer im Vergleich“ durchgeführt, die sich mit dem Umfang und der Vielfalt staatlichen Maßnahmen gegen Hass im Netz auseinandersetzt. Wir haben mit Janine Patz, eine Autorin der Studie, gesprochen.

Warum war eine wissenschaftliche Untersuchung über die staatlichen Maßnahmen gegen Hate Speech im Internet so wichtig?
Vorausgegangene Studien haben gezeigt, dass Menschen bundesweit mit Hass im Netz konfrontiert sind. Jedoch sind sie im Kampf dagegen z. B. mit dem Einsatz der Polizei und Staatsanwaltschaften, aber auch ihrer jeweiligen Landespolitik unzufrieden. Zwar wurden in den vergangenen Jahren weitreichende Gesetzes verabschiedet, dennoch ist die Verantwortung unter anderem Anbietenden von Plattformen und der Zivilgesellschaft überlassen worden. Zudem sind im föderalen System viele Aufgabenbereiche Ländersache, und deren Vorgehensweisen erschien oft uneinheitlich und in Teilen inkonsequent. Auf den ersten Blick war es nicht zu erschließen, welche konkreten Maßnahmen es in den einzelnen deutschen Bundesländern gibt.

Wie seid ihr in der Untersuchung vorgegangen?
Nach Vorfeldrecherchen und Expert*inneninterviews wurden die Ministerien aller sechzehn Bundesländer mittels Fragebogen zu ihren staatlichen Aktivitäten und geplanten Vorhaben gegen Hate Speech im Internet befragt. Wir haben dabei zwischen vier Bereichen unterschieden. Zum Ersten schauen wir auf landesweite und ressortübergreifende Aufgaben. Hierzu zählen wir nicht nur ministeriumsübergreifende, gemeinsam verantwortete Aktivitäten, sondern auch Maßnahmen für Betroffene und den Opferschutz. Außerdem untersuchten wir als zweiten Bereich die Aktivitäten und Förderungen im Bereich Bildung und Wissenschaft. Als drittes und viertes staatliches Handlungsfeld interessierten uns die Anzeigeerstattung bzw. die Strategien polizeilicher Ermittlungen und alle Maßnahmen zur juristischen Aufarbeitung.

Welches sind die zentralen Ergebnisse des Ländervergleichs?
Im Kampf gegen Hass im Netz bewegt sich gegenwärtig sehr viel. Bis zum Sommer letzten Jahres hatten alle Bundesländer bereits Maßnahmen gegen Hass im Netz getroffen, unter anderem neue Strukturen und Verfahren entwickelt. Auffällig war aber die sehr große Differenz zwischen den Bundesländern, sodass man gegenwärtig nicht von einem bundesweit einheitlichen Vorgehen gegen Hate Speech im Internet sprechen kann. Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen haben insgesamt die meisten Maßnahmen vorzuweisen, in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wird am wenigsten unternommen.

…Und für die einzelnen Bereiche?
In der Hälfte der Bundesländer hatten sich Polizei, Justiz und Medienanstalten, teils auch mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, über Verfahrensweisen für die Weiterleitung von Hassinhalten an die Strafverfolgungsbehörden verständigt. Spezifische Maßnahmen für Betroffene – speziell von Hass im Netz- fanden wir hingegen kaum.

Wie sieht es beim Thema Bildung aus?
Im Bildungsbereich passiert schon einiges. Viele Akteur*innen befördern eine Auseinandersetzung, unterbreiten Angebote für diverse Zielgruppen. Allerdings kommen hier die menschenrechtlichen bzw. kinderrechtlichen Perspektiven und die Betrachtung von Hate Speech jenseits strafrechtlicher Inhalte noch zu kurz und der Jugendschutz insgesamt findet zu wenig Beachtung.

Welche Unterschiede gab es noch?
Die Möglichkeiten für Menschen, Hate Speech im Internet digital bei der Polizei ihres Landes zu melden bzw. zur Anzeige zu bringen, waren sehr unterschiedlich bis gar nicht möglich. Während Hassinhalte bzw. in Nordrhein-Westfalen anonym und inklusive anhängender Dateien, z.B. Screenshots, per Mausklick übermittelt werden kann, besteht bis dato in Thüringen gar keine Möglichkeit, Strafanzeigen online zu stellen.
Auch die Qualifizierung der Beamt*innen wies große Differenzen auf, geschulte Ansprechpartner*innen für Betroffene waren selten zu finden. Die Polizei sucht insgesamt zu wenig eigenständig, also anzeigeunabhängig nach offen hetzerischen und ermittlungspflichtigen Inhalten Das war nur in Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Hessen der Fall. Feste Ermittlungsgruppen für Hass im Netz haben nur Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt.
Bezüglich der juristischen Aufarbeitung ließen sich die größten und systematischsten Spezialisierungen gegen Hate Speech bzw. Hasskriminalität im Internet erkennen. Einige Bundesländer, wie Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben gezielt Zuständigkeiten und Strukturen, z. B. in Form von entsprechenden Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschaffen. Allerdings waren auch hier die Unterschiede zwischen den Ländern bezüglich ihrer Maßnahmen in diesem Bereich sehr groß. Verpflichtende Angebote für thematische Fort- und Weiterbildungsangebote für Justizangehörige gab es nirgendwo. In Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt existieren zumindest fakultative Angebote.

Welche konkreten Handlungsempfehlungen habt ihr formuliert?
Das wichtigste Ziel muss die Vereinheitlichung des Agierens der Bundesländer sein. Wir empfehlen allen Ländern, Kooperationen zwischen Polizei, Justiz, Medienanstalten, Meldeplattformen und Beratungsstellen anzustreben, um gemeinsame Verfahren für eine Weiterleitung von Hassinhalten abzustimmen. Mit dem neu geplanten Gesetz ist auch mit einem Anstieg registrierter und gemeldeter Fälle zu rechnen. Darauf müssen auch die Strafverfolgungsbehörden vorbereitet sein. Bisher laufen bundesweit sämtliche Fälle bei den bisher wenigen spezialisierten Staatsanwaltschaften einzelner Länder an.

In Anbetracht der vielen, nicht selten unter Klarnamen geposteten, strafrechtlich relevanten Inhalte im Internet empfehlen wir dauerhafte Ermittlungsgruppen. Sie sollten besonders die wenig kooperativen Plattformen und Portale online „bestreifen“. Die Melde- und Anzeigeoptionen müssen technisch angepasst und vereinheitlich werden. Die Vereinheitlichung betrifft auch den juristischen Bereich. Staatsanwaltschaften oder auch Sonderdezernate – explizit spezialisiert auf Hass im Netz- sind flächendeckend ratsam. Es geht nicht nur darum, Wissensexpertise, sondern auch das notwendige technische Know-how in einem zu bündeln.

Was muss besonders im Hinblick auf die Betroffenen der Hassgewalt im Internet von staatlicher Seite passieren?
Der Schutz von Betroffenen ist in der Tat noch unzureichend. Speziell geschulte Ansprechpersonen bei der Polizei für Betroffene von Hass im Netz gibt es bis jetzt nur in Bayern und Brandenburg. Zusätzlich förderten bis jetzt nur Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt Beratung bei Hass im Netz, in Berlin wird ein thematisch spezialisiertes Projekt gefördert.
Zwar können sich Betroffene an die mobilen Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt der jeweiligen Bundesländer wenden, aber inwieweit diese das auch künftig stemmen können, muss geklärt werden. Gerade weil mit Inkrafttreten neuer Gesetze in diesem Bereich damit zu rechnen ist, dass die Zahl der gemeldeten und angezeigten Fälle von Hass im Netz gravierend ansteigt und damit auch der Beratungsbedarf. Notwendige Finanzierungen, Zuständigkeiten und möglicherweise weitere, auf Online-Hass spezialisierte Beratungsstellen sollten gemeinsam mit den vorhandenen Strukturen besprochen werden. Die Betroffenen brauchen speziell geschulte Beamt*innen und Justizangestellte.

 

Die Ergebnisse des Ländervergleichs sind in einem Bundesländerranking dargestellt. Neben der Platzierung ist der prozentuale Anteil an schon vorhandenen Maßnahmen abgebildet. Hessen ist nicht im Ranking aufgeführt, da diese sich gegen eine Beantwortung der Fragebögen in der Studie entschieden haben.

 

Die gesamte Studie und eine Kurzzusammenfassung sind auf der Website des IDZ abrufbar.

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