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Alberto Adriano

, 39 Jahre (staatlich anerkannt)

Am 11. Juni 2000 wird der 39-jährige Alberto Adriano in der Nähe des Stadtparks in Dessau (Sachsen-Anhalt) von drei Neonazis massiv attackiert. Der aus Mosambik stammende Mann stirbt nach drei Tagen im Koma an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus.

Dreifacher Vater, Fußballfan und Fleischermeister

Alberto Adriano war 1988 als einer der letzten Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR gekommen. In Dessau arbeitete er als Fleischermeister – auch nach der Wende. 1990 lernte er seine spätere Ehefrau Angelika kennen. Zwei Jahre später wurde ihr erster Sohn Belarmino geboren, es folgten zwei weitere Kinder. Belarmino, der zum Zeitpunkt der Ermordung seines Vaters gerade einmal acht Jahre alt war, beschreibt ihn als „konsequent, immer nett, fürsorglich“.

Obwohl er bereits zwölf Jahre in Deutschland lebe, fühlte sich Alberto Adriano nicht wirklich akzeptiert. Zum Zeitpunkt der Tat hatte er Flugtickets gekauft, um seine Familie in Mosambik zu besuchen. Die Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, lehnte er zuvor ab. Seine Frau bat er wenige Monate vor der Ermordung durch Neonazis nicht in Deutschland, sondern in Mosambik beerdigt zu werden, falls ihm hier etwas passiere.

Den Abend des 10. Juni 2000 verbringt Alberto Adriano bei Freunden. Zusammen schauen sie das Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft in Belgien und den Niederlanden. Gegen 1 Uhr nachts macht er sich auf den Rückweg zu seiner Familie.

Von drei jungen Neonazi-Skinheads zu Tode gequält 

Auf seinem Nachhauseweg begegnet er drei Neonazis: Christian R. (16) und Frank M. (16) aus der nahen Stadt Wolfen und Enrico H. (24) aus Finsterwalde (Brandenburg). Die drei Skinheads in Springerstiefeln hatten sich erst kurz zuvor am Bahnhof kennengelernt und sich schnell als gleichgesinnte Kameraden erkannt. Sie betrinken sich, hören indizierte rechtsextreme Lieder und skandieren rechtsextreme Parolen wie „Hier marschiert der nationale Widerstand!”, „Juden raus!“ und „Heil Hitler“, während sie durch die Dessauer Innenstadt laufen. Niemand konfrontiert die drei jungen Männer.

Gegen 1:30 Uhr treffen die drei Neonazis, berauscht von der rechtsextremen Selbstermächtigung und Raumnahme, auf Alberto Adriano. Sie finden in ihm „ein Opfer des gemeinsamen Hasses“, so das Oberlandesgericht Naumburg später in der mündlichen Urteilsbegründung.

Enrico H. schlägt zuerst zu. Nach diesem ersten Schlag beginnt ein nicht enden wollender Gewaltexzess. Die drei Neonazis treten und schlagen auf Alberto Adriano ein, schleifen ihn von der Straße in den nahegelegenen Stadtpark, wo sie ihn weiter mit Tritten und Schlägen traktieren. Als er ohnmächtig am Boden liegt, ziehen die Angreifer ihr Opfer nackt aus und zertreten ihm mit ihren schweren Springerstiefeln den Schädel. Erst als die von Anwohner*innen alarmierte Polizei eintrifft, lassen sie von ihrem Opfer ab. Alberto Adriano stirbt am 14. Juni 2000 an seinen schweren Verletzungen.

Urteilsverkündung außergewöhnlich klar

Die Ermittlungen und der Prozess gegen die Täter verlaufen ungewöhnlich schnell. Bereits zum Todeszeitpunkt von Alberto Adriano sind die Täter gefasst. Am 30. September 2000 wird ein Urteil gegen die Angeklagten gesprochen, nur drei Monate nach der Tat. Das Oberlandesgericht Halle verurteilt den 24-jährigen Enrico H. zu lebenslanger Haft. Der 16-jährige Christian R. und der gleichaltrige Frank M. erhalten eine Jugendhaftstrafe von jeweils neun Jahren. Der Richter stellte in seinem Urteil fest, dass die Täter genau wussten, was sie taten, „sinnlos, grundlos und erbarmungslos“. Reue hätten die Täter während der Gerichtsverhandlung „in ernsthaftem Maße nicht gezeigt“. Auch in der Untersuchungshaft waren die Täter noch rechtsextrem aktiv. Enrico H. arbeitete aus dem Gefängnis heraus am rechtsextremen „JVA Report“ mit. Das Magazin soll den „Austausch“ zwischen Rechtsextremen in Haft und nicht-inaftierten rechtsextremen Gruppierungen fördern.

Das hohe Strafmaß begründete der Richter damit, dass dieser rechtsextremen Gewalt, die Alberto Adriano das Leben kostete, ein Ende gesetzt werden müsse. Die Bundesanwaltschaft sah in dem Mord „eine Gefährdung der inneren Sicherheit“ Deutschlands. Angelika Adriano ging ohne ihre Kinder zur Verkündung des Urteils. Sie hatte zuvor anonyme Morddrohungen erhalten.

Breite Solidarität, lebendige Erinnerungskultur und staatliche Konsequenzen

Der Mord an Alberto Adriano löste eine Welle der Solidarität, Wut und Empörung aus. Bereits eine Woche nach dem Gewaltexzess demonstrierten 5.000 Menschen in Dessau gegen Rassismus und rechtsextreme Gewalt. Insbesondere migrantische Initiativen und Organisationen betonten, dass Betroffene und Opfer rechter Gewalt zu oft von den Ermittlungs- und Verwaltungsbehörden alleine gelassen werden.

Die Band „Brothers Keepers“, die sich mit ihrer Musik gegen Rassismus und Fremdenhass engagiert, veröffentlichte in Gedenken an Alberto Adriano den Song „Adriano (Letzte Warnung)“.

Miteinander e.V. und das Multikulturelle Zentrum Dessau organisierten ein Spendenkonto, das von vielen prominenten Kulturschaffenden und Wissenschaftler*innen unterstützt wurde. Im Jahr 2001 entwickelte sich hieraus der „Hilfsfonds für Opfer rechter und rassistischer Gewalt”, der Betroffenen unbürokratisch finanzielle Unterstützung bietet.

Zudem findet jedes Jahr am 11. Juni eine Gedenkveranstaltung für Alberto Adriano im Stadtpark von Dessau statt. Bereits kurz nach dem Mord wurde am Tatort eine Gedenkstele mit der Inschrift „Alberto Adriano, Opfer rechter Gewalt“ aufgestellt, die auch wenige Wochen nach der Tat vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder besucht wurde.

25 Jahre nach dem Mord an Alberto Adriano veranstaltete das Multikulturelle Zentrum Dessau am 11. Juni 2025 einen Tag der Erinnerung mit Podiumsdiskussion, einer Gedenkveranstaltung sowie einer Filmvorführung.

Die damalige rot-grüne Bundesregierung kündigte in Reaktion auf den Mord an Alberto Adriano einen Paradigmenwechsel in der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt an und schuf erstmals staatliche Förderprogramme unter anderem für den Ausbau von Opferberatungsstellen in den neuen Bundesländern und Berlin. Alberto Adriano wird bereits kurz nach dem Mord offiziell von der Landesregierung Sachsen-Anhalt als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.

Der Verein Miteinander e.V. hat den Fall für das Erinnerungsprojekt „Wir erinnern an Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt“ recherchiert und stellt dort Bildungsmaterial für die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Mord an Alberto Adriano und weiteren Todesopfern rechter Gewalt zur Verfügung.

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