Am 27. Mai 2011 wird der Obdachlose André Kleinau in Oschatz (Sachsen) von fünf Männer im Alter von 16 bis 36 Jahren mit Schlägen und Tritten schwer misshandelt. Am Morgen des 28. Mai 2011 finden Zeugen den Mann blutüberströmt und mit schwersten Kopfverletzungen im Wartehäuschen des Oschatzer Südbahnhofs. Vier Tage später stirbt der 50-jährige an den Folgen des Angriffs in einem Krankenhaus in Leipzig. Nun stehen die Verantwortlichen vor Gericht: Ronny S. (27), Sebastian B. (26), Chris K. (16), David O. (17) und Tommy J. (18) sind wegen Totschlags angeklagt, Silvio H. (36) wird unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Die beiden erst genannten sollen hauptsächlich für die tödlichen Verletzungen verantwortlich sein. Vieles spricht dafür, dass Ronny S. der nordsächsischen Neonazi-Szene angehört. So gibt es mindestens zwei Bilder, die diesen Rückschluss zulassen: Ein Screenshot des sozialen Netzwerkes „MySpace“ zeigt Ronny S. posierend unter einer Reichskriegsflagge. Ein anderes Bild zeigt Ronny S., als er mit Kameraden gegen Kürzungen im Schulsystem durch Oschatz marschierte. Die Jacke, die der 27-jährige dort trägt, hat den in altdeutscher Schrift verfassten Aufdruck „Odin statt Jesus“. Der Bezug auf nordische Gottheiten ist ein weitverbreitetes Symbol in der rechtsextremen Szene. So soll auch Sebastian B. Ornamente und runenähnliche Zeichen tätowiert haben. David O. und Sebastian B. belasteten den 27-jährigen Ronny S. schwer, den sie als Anführer der tödlichen Attacke auf den Obdachlosen ausmachten. Einer der Täter hat darüber hinaus auch den Zahlencode „88“ tätowiert. Auf die Frage Sebastian B.s nach dem Motiv, sagt er: „Wir haben uns im Suff einen sinnlosen Grund eingeredet.“ Sebastian B. gab zu, dass er mehrfach auf den Kopf und den Bauch des Obdachlosen getreten habe. David O. erzählte zudem, dass Sebastian B. ein Samuraischwert dabei gehabt habe und damit nach dem Obdachlosen schlagen wollte, ihn allerdings nicht traf. Als auf dem Heimweg zwei Täter auf die Idee kamen, den Notarzt zu rufen, setzte sie Ronny S. möglicherweise unter Druck. „Kommt gar nicht in Frage. Dann identifizieren sie uns“, soll er gesagt haben.
Der Prozess am Landgericht Leipzig dauerte über ein Jahr – am 25.01.2013 wurden die sechs Männer zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt. Ronny S. und Sebastian B. müssen wegen Totschlags zehn und 13 Jahre ins Gefängnis. Die drei Jugendlichen, die zum Tatzeitpunkt im Mai 2011 zwischen 16 und 18 Jahre alt waren, wurden zu Jugendstrafen von bis zu drei Jahren verurteilt. Silvio H. erhielt eine Bewährungsstrafe wegen unterlassener Hilfeleistung von zehn Monaten, weil er den Gewaltausbruch beobachtet hatte und nicht eingeschritten war.
Ein sozialdarwinistisches Motiv sah das Gericht jedoch nicht als erwiesen an.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass auch nach der Selbstenttarnung des NSU an vielen Gerichten in Deutschland auch weiterhin die Bereitschaft fehlt, bei offensichtlichen Anzeichen einer rechten Gesinnung der Täter die Hintergründe und das Motiv der Tat näher zu beleuchten. Die Brutalität, mit der die Täter gegen den Obdachlosen André Kleinau vorgingen, lässt darauf schließen, dass der rechtsextreme Hintergrund des Haupttäters, Ronny S., in die Tat mit eingeflossen ist. Für Neonazis gelten Obdachlose als „minderwertig“ und „asozial“, denen ein Recht auf Leben abgesprochen wird (sozialdarwinistische Motivation). Dass der Hass auf Obdachlose in der Urteilsbegründung keine Erwähnung findet, ist schockierend. Diesen Umstand beklagte auch die RAA Sachsen nach der Urteilsverkündung: „Obwohl es Hinweise gab, dass mindestens zwei der Angeklagten mit der rechten Szene sympathisieren und das Opfer aufgrund sozialdarwinistischer Einstellungen sterben musste, lehnte die Kammer den Antrag der Nebenklagevertreterinnen auf Überprüfung dieser Sachverhalte ab.“
Der Initiativkreis Antirassismus beschäftigt sich vor und während der Gerichtsverhandlung intensiv mit dem Mord an André Kleinau und möchte eine Gegenöffentlichkeit herstellen. „Wir wollen auch diesmal nicht wegsehen und schweigen. Wir rufen dazu auf den mehrere Monate andauernden Prozess zu beobachten und öffentlichen Druck aufzubauen. Nazigewalt darf nicht länger bagatellisiert oder gar geleugnet werden.“