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Hans-Georg Jakobson

, 35 Jahre

In der Nacht zum 28. Juli 1993 stirbt Hans-Georg Jakobson in der Nähe von Strausberg (Brandenburg). Er wurde von drei Neonazis aus einer fahrenden S-Bahn gestoßen. Zuvor haben die Täter den schlafenden 35-Jährigen mit Schlägen und Tritten attackiert.

Über das Leben von Hans-Georg Jakobson ist leider wenig bekannt. Zum Tatzeitpunkt ist er 35 Jahre alt. Er ist gelernter Bäcker und Vater von zwei Kindern. Zum Zeitpunkt der Tat ist er arbeitslos und lebt vermutlich ohne festen Wohnsitz.

Rechtsextreme Gewalt als Normalität in Strausberg

Die 1990er Jahre waren geprägt von einer Welle rechtsextremer Gewalt. In Strausberg kommt es wie in ganz Brandenburg zu einem massiven Anstieg rechter Gewalt durch Neonazis. Lose rechte Cliquen kamen zu dieser Zeit vor allem am S-Bahnhof Strausberg und einer Tankstelle in Strausberg-Vorstadt zusammen. An Wochenenden sammeln sich bis zu 150 Personen aus allen größeren Städten in der Region Strausberg. Insbesondere die Fahrradaufbewahrung am Bahnhof war einer der zentralen Treffpunkte. Der Eigentümer sympathisierte offen mit den Neonazis und stellte ihnen einen improvisierten Bierstand zur Verfügung. Über Jahre wurde dieser Treffpunkt genutzt, um Gewalttaten zu organisieren. Immer wieder gehen von dort Angriffe auf People of Colour, Linke und andere Menschen aus, die nicht in das menschenverachtende Weltbild der Neonazis passen. Die drei Mörder Hans-Georg Jakobsons waren regelmäßig an diesem Sammelpunkt anzutreffen. Sie galten als stadtbekannte gewaltbereite Neonazis und waren mehrfach vorbestraft.

Wehrlos im Schlaf überfallen

Es ist der 28. Juli 1993, als Hans-Georg Jakobson schlafend in der S-Bahn Richtung Berlin sitzt. Gegen 23:30 steigen die drei Täter im Alter zwischen 18 und 20 Jahren in den Zug ein. Sie sind stark alkoholisiert und auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer. Den Abend hatten sie zunächst mit anderen Neonazis an der Fahrradaufbewahrung am S-Bahnhof Strausberg verbracht. Dort beschließen sie, jemanden zu überfallen und auszurauben.

Als sie den Zug nach Berlin betreten, entdecken sie Hans-Georg Jakobson im letzten Waggon. Der schlafende Hans-Georg Jakobson ist der einzige Fahrgast im Waggon und bekommt nicht mit, wie die Täter sich ihm nähern. Als die Bahn losfährt, durchwühlen die drei Skinheads zunächst Jakobsons Kleidung. Als sie nichts Wertvolles auffinden können, zerrt einer der Täter ihn vom Sitz und setzt sich auf ihn. Gemeinsam schlagen und treten die Drei auf den am Boden Liegenden ein.

Vorsätzlich aus der S-Bahn gestoßen

Hans-Georg Jakobson wird von den Schlägen wach und versucht vergebens, sich zu wehren. Bereits auf dem Weg zur S-Bahn war unter den Tätern die Äußerung gefallen, »jemand aus der Bahn fliegen lassen« zu wollen. Einer der Täter verweist auf diesen Plan und fordert »Den schmeißen wir raus!« Zwei der Angreifer schleifen Hans-Georg Jakobson zur Tür der S-Bahn, während sie weiter auf ihn einprügeln. Herr Jakobson versucht noch, sich am Haltegriff festzuhalten, doch einer der Täter tritt so lange auf seine Hand, bis er den Griff loslässt. Zwischen Strausberg und Petershagen werfen die drei Neonazis ihn letztendlich aus der fahrenden S-Bahn.

Obwohl er sich mehrfach überschlägt, überlebt Hans-Georg Jakobson den heftigen Sturz zunächst. Der Schwerverletzte ist zu diesem Zeitpunkt noch bei Bewusstsein und ruft um Hilfe. Einem aufmerksam bremsenden Fahrer einer entgegenkommenden S-Bahn kann er sogar noch mitteilen, was geschehen ist. Am nächsten Tag verstirbt Hans-Georg Jakobson im Krankenhaus an einem Blutungsschock, der durch seine schweren Verletzungen in Folge des Angriffs und des Sturzes aus der S-Bahn verursacht wurde. Seine Familie erfährt erst Monate später von seinem Schicksal.

Gericht erkannte kein sozialdarwinistisches Tatmotiv

Das Landgericht Frankfurt Oder verurteilte die drei Täter im Januar 1994 wegen Mordes, schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung. Der mehrfach vorbestrafte Haupttäter wurde wegen Mordes zu acht Jahren Jugendhaft verurteilt. In seine Freiheitsstrafe wurde ein früheres Urteil wegen eines rassistischen Angriffs mit einbezogen. Die beiden Mittäter erhielten jeweils eine Haftstrafe von sechs Jahren. Von den acht Jahren saß der Haupttäter jedoch nur vier Jahre ab. 1998 wurde er wieder entlassen. Während seiner Haftzeit erhielt er Unterstützung von der „Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige“ (HNG). Nach seiner Entlassung baute er die Kameradschaft „Alternative Nationale Strausberger Dart-, Piercing- und Tattoo-Offensive“ (ANSDAPO) in Strausberg auf und agiert dort als treibende Kraft.

Während des Prozesses machten die Täter keinen Hehl aus ihrem neonazistischen Weltbild. Im Laufe der drei Verhandlungstage zeigte keiner der Täter ein Schuldbewusstsein. Während des Gerichtsprozesses wurde das neonazistische Weltbild der Täter mehrfach thematisiert. Gleichzeitig wurde jedoch ausgeblendet, dass die Abwertung von wohnungslosen und arbeitslosen Menschen als vermeintlich „minderwertig“ Teil der nationalsozialistischen und rechtsextremen Ideologie ist. Dies bestätigt auch ein psychologisches Gutachten der Täter: Es ging ihnen nicht um die Erbeutung von Geld, sondern um das Schlagen des Opfers. Das Gericht erkannte dennoch keine sozialdarwinistischen Motive als Grund für die Eskalation der Gewalt bis hin zum Mord. Es ist jedoch deutlich zu erkennen, dass die Täter bei Menschen, die nicht in das neonazistische Weltbild passen, brutaler und hemmungsloser als ohnehin agierten. So raubten die Täter bereits zuvor häufig Fahrgäste in der S-Bahn aus, die Situation eskalierte jedoch nie so wie bei Hans-Georg-Jakobson oder wie bei einem früheren rassistisch motivierten Angriff durch den Haupttäter.

Zivilgesellschaft erkämpft Gedenken

In den letzten Jahren haben vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen die Erinnerung an Hans-Georg Jakobson aufrechterhalten. Am 28. Juli 2013 fand zum 20. Jahrestag des Angriffs zum ersten Mal eine Gedenkkundgebung für Hans-Georg Jakobson am S-Bahnhof Strausberg statt. Die Kundgebung wurde vom Sozialen Zentrum Horte organisiert. Zum 30. Jahrestag hat die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch Oderland eine Broschüre in Gedenken an Hans Georg Jakobson veröffentlicht.

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