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Hans-Joachim Sbrzesny

, 50 Jahre

In der Nacht zum 1. August wird Hans-Joachim Sbrzesny in einem Park in Dessau (Sachsen-Anhalt) von Neonazis ermordet.

Ein Leben auf der Suche nach Selbstbestimmung

Hans-Joachim Sbrzesny wird am 12.07.1958 in Halle (Saale) geboren. Er wächst in einem Kinderheim in der DDR auf. Seine geistige Beeinträchtigung erschwert ihm das Leben, sodass er die Schule ohne Abschluss beendet. In der DDR wird er als sogenannter Teilfacharbeiter angelernt. Er ist in verschiedenen Bereichen als Hilfsarbeiter tätig und findet zahlreiche Anstellungen. Nach der Wende wird es jedoch zunehmend schwieriger für ihn, eine Arbeit zu finden. Er schlägt sich zeitweise immer wieder auf der Straße oder in Obdachlosenunterkünften durch. Die letzten sieben Jahre seines Lebens lebt er in einem Wohnheim der Paul-Riebeck-Stiftung in Halle.

Der Bereichsleiter der Stiftung, Kai-Lars Geppert, beschreibt Sbrzesny als einen kontaktfreudigen Menschen, der feste Bindungen jedoch vermied. Häufig versuchte er, vor den Strukturen des Hilfesystems und seiner Abhängigkeit von diesen zu fliehen. Stattdessen suchte er das Weite und das Gefühl eines selbstbestimmten Lebens. Da Hans-Joachim Sbrzesny trotz aller Hindernisse immer einen Weg fand, zurechtzukommen, bezeichnet Geppert ihn auch als einen „Überlebenskünstler“.

Ermordet aus Menschenverachtung

Am Tatabend hat Sbrzesny eigentlich geplant, mit Bewohner*innen des Wohnheims, in dem er lebt, seinen 50. Geburtstag nachzufeiern. Er entscheidet sich jedoch letztlich auf ein Neues, das Weite zu suchen und setzt sich in die S-Bahn Richtung Dessau.

Hans-Joachim Sbrzesny beschließt, die Nacht im Freien zu verbringen und legt sich auf eine Bank in einer Parkanlage in der Nähe des Hauptbahnhofes. Er stellt seine Schuhe beiseite und deckt sich mit seiner Hose zu, bevor er einschläft. Gegen 1 Uhr nachts wird Sbrzesny von dem Pöbeln der beiden Täter geweckt.

Es handelt sich um zwei vorbestrafte Neonazis im Alter von 33 und 23 Jahren. Sie sind stark alkoholisiert und auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer. Als Sbrzesny aufwacht, prügeln die beiden direkt mit ihren Fäusten auf ihn ein. Sbrzesny liegt wehrlos am Boden, während die Angreifer mit voller Wucht auf seinen Kopf und Oberkörper treten und einschlagen. Einer der Täter setzt sich anschließend auf die Bank, um seinem Mittäter dabei zuzuschauen, wie er mit einem schweren Mülleimer aus Metall weiter auf Sbrzesny einschlägt. Die brutale Gewalt der Täter führt zu schwersten Verletzungen am Kopf und den inneren Organen, sodass Hans-Joachim Sbrzesny noch am Tatort verstirbt.

Da Anwohner*innen die Polizei verständigen, können die beiden Täter in der Nähe des Tatorts festgenommen werden. Sie sind der Polizei bekannt und an demselben Abend bereits zweimal auffällig geworden. Einmal riefen sie die Polizei, um unter rassistischen Bemerkungen auf einen vermeintlichen Drogendealer im Park aufmerksam zu machen. Beim zweiten Mal beleidigten sie die Polizeibeamten und prahlten mit ihrer rechtsextremen Markenkleidung. Die Polizei würde sich diese aufgrund ihres schlechten Gehalts nicht leisten können. Nach der Festnahme wurde auf den Handys der Täter Musik von neonazistischen Bands, Bilder von Hakenkreuzen sowie die Parole „Juden sind unser Unglück“ gefunden. Einer der Täter hatte in der Vergangenheit an einer NPD-Veranstaltung teilgenommen und trägt ein „White Power“-Tattoo.

Gericht blendet sozialdarwinistisches Tatmotiv aus

Im April 2009 verurteilte das Landgericht Dessau die Täter wegen Mordes aus einem niedrigen Beweggrund. Der 23-Jährige gilt als Haupttäter und wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der andere Täter wurde wegen seiner mutmaßlich hohen Alkoholisierung von mehr als drei Promille zur Tatzeit zu 12 Jahren verurteilt. Während der Verhandlung thematisierte der Oberstaatsanwalt, dass die enorme Wucht und Grausamkeit des Angriffs auf einen vermeintlich Obdachlosen auf eine ideologisch motivierte Menschenverachtung hinweisen. Dieses Tatmotiv wurde auch durch die Indizien deutlich, die eine Identifikation der Täter mit der NS-Ideologie bestätigen.

Im Prozess sagte außerdem ein Mithäftling unter Eid aus, dass der 23-jährige Täter ihm gegenüber mit der Tat geprahlt hat. Er schilderte, der Täter habe Sbrzesny als „Unterbemittelten“ bezeichnet, der es deshalb „nicht anders verdient“ habe. Trotz dieser Aussage und weiterer Hinweise konnte das Gericht nach acht Verhandlungstagen kein rechtes Tatmotiv feststellen. Hans-Joachim Sbrzesny sei laut Gericht nur deshalb angegriffen worden, weil der 23-Jährige zuvor „schlechte Laune bekommen hatte“ und „jemanden prügeln wollte“. Der Mittäter hätte diesen Beweggrund auch für sein Handeln akzeptiert.

Diese Aussage wurde vom Gericht als unglaubwürdig bewertet. Stattdessen wurde zur Erklärung der hohen Aggression der Täter in dem Urteil auf ein psychologisches Gutachten verwiesen, das den Angeklagten mehrere Auffälligkeiten attestiert. Auf ihren rechtsextremen Hintergrund macht das Urteil hingegen an keiner Stelle aufmerksam.

Im Jahr 2012 hat die Landesregierung Sachsen-Anhalt nach der Selbstenttarnung des NSU die bisher nicht-anerkannten Todesopfer rechter Gewalt noch einmal geprüft. Infolgedessen wurden drei Altfälle in die PMK-rechts Statistik nachgemeldet. Warum nach Ansicht des Innenministeriums Sachsen-Anhalts Hans-Joachim Sbrzesny nicht in den Phänomenbereich rechts-motivierter Tötungsdelikte fällt, ist nicht nachvollziehbar. Bis heute ist die Tat nicht offiziell als sozialdarwinistisch und rechtsextrem motivierte Straftat anerkannt.

Gedenken

Am 11. Juli 2014 wurde am „Tag der Erinnerung“ an Alberto Adriano und alle anderen Opfer rechter Gewalt erstmals auch öffentlich am Tatort mit Reden und Blumen Hans-Joachim Sbrzesnys gedacht. Seitdem wird von den Teilnehmenden an diesem Tag an das Schicksal von Sbrzesny erinnert.

Das Multikulturelle Zentrum Dessau e.V. hat im Jahr 2018 eine Broschüre herausgegeben, die an Hans-Joachim Sbrzesny erinnert und sich kritisch mit der Tat und dem Gerichtsprozess auseinandersetzt.

Am 1. August 2023 wird ein Gedenkstein im Park vor dem Dessauer Hauptbahnhof im Gedenken an den vor 15 Jahren ermordeten Hans-Joachim Sbrzesny eingeweiht.

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