Weiter zum Inhalt

Mahmud Azhar (außerhalb der Zählung)

, 40 Jahre

Der pakistanische Doktorand Mahmud Azhar wurde am 7. Januar 1990 von einem DDR-Bürger auf dem Gelände der Freien Universität Berlin rassistisch beschimpft und geschlagen. Der Täter schlug ihn mit einem Feuerlöscherrohr auf den Kopf. Am 6. März erlag er seinen Verletzungen.

Mahmud Azhar war begeisterter Chemiker

Mahmud Azhar wurde 1950 in Karachi in Pakistan geboren. 1968, mit gerade einmal 18 Jahren, schloss er das staatliche Degree College von Rawalpindi mit einem Bachelor of Science im Fach Chemie ab. Während seiner Zeit als Student spielte er gern Badminton. Neben seiner Begeisterung für Chemie interessierte er sich für Fotografie und das Bergsteigen. Im Jahr 1970 absolvierte er seinen ersten Master im Fach Chemie an der University of Punjab. Darauf folgten zwei weitere Masterprogramme an der University Islamabad – in organischer, Bio- und physikalischer Chemie sowie in theoretischer physikalischer Chemie.

Mahmud Azhar bewarb sich im Jahr 1973 beim Deutschen Akademischen Auslandsdienst um ein Stipendium für einen Studienplatz in Deutschland. Ein Jahr später konnte er sich am Institut für Biochemie an der Freien Universität Berlin immatrikulieren. Er zog von Pakistan um in den Westteil des damals geteilten Berlin.

In Berlin wollte Mahmud Azhar seine Fachkenntnisse vertiefen, um später in Pakistan in der Lehre tätig zu werden. An der FU Berlin arbeitete er zunächst als Tutor, dann ab 1985 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Chemie. Hier schrieb er auch an seiner Doktorarbeit, die er im Mai nach seinem Tod abgeschlossen hätte. Nach seiner Promotion wollte er zurückkehren nach Pakistan, zu seiner Familie.

Er floh vor dem Angreifer und versuchte, die Polizei zu rufen

Mahmud Azhar verließ am Abend des 7. Januar 1990 seine Arbeitsstelle am damaligen Institut für Biochemie in Berlin-Lichterfelde. Vor dem Gebäude begegnete er einem alkoholisierten Mann, der ihn erst rassistisch beschimpfte und ihm anschließend mit dem Tod drohte. Mahmud Azhar floh daraufhin zurück in das Institutsgebäude und versuchte, die Polizei zu kontaktieren. Der Angreifer folgte ihm in das Gebäude. Als er Mahmud Azhar fand, griff er ihn sofort an. Mahmud Azhar fiel infolge einer Attacke zu Boden. Dort liegend schlug der Täter mit einem 60 Zentimeter langen Rohr eines Feuerlöschers auf den Kopf des Opfers ein.

Mahmud Azhar kam ins Krankenhaus, wo er stationär behandelt werden musste und zwei Monate verbrachte. Am 6. März 1990 starb er an einer Lungenembolie, die in direktem Zusammenhang mit einer Verletzung stand, die ihm während des Angriffs zugefügt wurde.

„Nein, die Polizei hätte mir doch nicht geglaubt, weil der Täter ein Deutscher ist und ich nur ein Ausländer bin.“

Im Krankenhaus gab Mahmud Azhar zu Protokoll, dass er sich gegenüber dem Täter nicht zu Wehr gesetzt hatte, weil er eine Täter-Opfer-Umkehr durch die Polizei und eine Abschiebung befürchtete. Er sagte wörtlich: „Nein, die Polizei hätte mir doch nicht geglaubt, weil der Täter ein Deutscher ist und ich nur ein Ausländer bin.“

Der 26-jährige Täter Thomas F. lebte in Ostberlin, in der damaligen DDR. Er wurde von der Westberliner Polizei verhaftet, aber bereits nach zwei Tagen wieder freigelassen. Er kehrte nach Ostberlin zurück und war deshalb für die westdeutschen Behörden lange Zeit nicht auffindbar.

Im Dezember 1990, nach dem Zusammenbruch der DDR, kam es schließlich zum Prozess gegen den Täter. Das Gericht folgte der Argumentation der Staatsanwaltschaft, wonach der Angreifer den Tod Mahmud Azhars nicht hätte absehen können. Thomas F. wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Damit blieb das Gericht sogar noch unter dem Strafmaß, dass die Verteidigung des Angeklagten vorgeschlagen hatte. Der Nebenklageanwalt Dieter Kierzynowski bezeichnete das Urteil als „eine Katastrophe“. Er hatte auf Körperverletzung mit Todesfolge plädiert.

Mahmud Azhar wurde allein deshalb beleidigt, bedroht und angegriffen, weil er in den Augen des Täters ein „Ausländer“ war. Das zeigt sich an den rassistischen Beleidigungen, die das Weltbild des Täters offenbarten. Es konnte neben dem Hass auf vermeintliche „Ausländer“ kein anderes Motiv für den Angriff festgestellt werden.

Trotzdem wurde das rassistische Tatmotiv vor Gericht nicht anerkannt. In der Urteilsbegründung hieß es, der Angeklagte hätte zwar Äußerungen getätigt, die einen „ausländerfeindlichen Charakter trugen“. Dies ließe aber „nicht den sicheren Schluß zu, daß der Angeklagte ein Rassist sei“.

Inititativen kämpfen gegen das Vergessen

Nach seinem Tod taten sich verschiedene rassismuskritische Initiativen zusammen und gründeten das „Aktionskomitee Mahmud Azhar“. Dieses Komitee organisierte eine Demonstration mit 300 Personen und mehrere Mahnwachen. Trotzdem wurde der Tod Mahmud Azhars in der Öffentlichkeit zunächst kaum zur Kenntnis genommen. Bei einer Diskussionsveranstaltung des Pakistanischen Studententischen Vereins stellten die Studierenden frustriert fest: „Wir lassen unsere Wut raus, ein paar Leute sehen hin – und dann ist alles wieder vergessen.“

Engagierte setzen sich trotzdem unablässig für ein würdevolles Gedenken an Mahmud Azhar ein. Auf ihren Druck hin wurde im Jahr 1992 eine Gedenktafel am Tatort angebracht. 2014 widmete der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Freien Universität Berlin Mahmud Azhar eine Ausgabe seiner Zeitschrift. In den Jahren 2017 und 2020 organisierte der AStA Gedenkkundgebungen am Tatort.

Da die Universität längst aus dem Gebäude ausgezogen ist, soll die Gedenktafel zum neuen Institutsgebäude der Chemie verlegt werden – in die Thielallee 63 in den Bezirk Steglitz-Zehlendorf von Berlin.

Anmerkung der Redaktion:

Mahmud Azhar wird in der Liste der Todesopfer rechter Gewalt genannt, weil er aufgrund einer rassistischen Motivation des Täters getötet wurde. Er hat in der Liste jedoch die Ziffer „0“, weil eine Anerkennung von offizieller Seite durch die Bundesregierung ausgeschlossen werden kann. Die Bundesregierung führt eine Statistik über Todesopfer rechter Gewalt nämlich erst ab dem 3. Oktober 1990. Infolgedessen wird Mahmud Azhar von der offiziellen Statistik nicht erfasst.

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.