Am 19. Februar 1993 greifen mehrere Dutzend rechte Skinheads ein Metal-Konzert in Hoyerswerda an. Sie prügeln den 22-jährigen Mike Zerna bewusstlos und kippenanschließend einen Kleintransporter auf ihn. Sechs Tage später erliegt er im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.
Mike Zerna ist an diesem Abend der Fahrer der Band Necromance, die zusammen mit einer anderen Band im Club “Nachtasyl” spielt. Freunde beschreiben Mike, Spitzname Zander, als lockeren hilfsbereiten Typ. Auch Mikes zwei Jahre älterer Bruder Frank ist beim Konzert dabei. Die Brüder kommen aus der Kleinstadt Vetschau in Brandenburg, etwa 60 Kilometer entfernt von Hoyerswerda. In einem Interview mit einem Punk-Magazin erzählt sein Bruder, Mike sei unpolitisch gewesen, ein Metal-Fan, der Musik und Partys liebte. Oft waren sie zusammen auf Konzerten unterwegs. So auch an diesem Abend.
Tathergang
Am Abend des 19. Februars versuchen einige Neonazis sich Zugang zu dem Konzert im “Nachtasyl” zu verschaffen. Sie werden von den Veranstaltern abgewiesen. Erzählungen nach, soll ein Stein auf ein Auto der Neonazis geflogen sein. Als das Konzert bereits zu Ende ist und noch etwa 50 Leute im Club sind, kehren die Neonazis mit Verstärkung zurück. Mehrere Dutzend Rechtsextreme stürmen den Veranstaltungsraum und prügeln unter Rufen wie „schlagt die Zecken tot“ auf die restlichen Konzertbesucher*innen ein. Sie zertrümmern alles und jeden, der ihnen unterkommt. Eine Handvoll Leute kann sich noch in einem Nebenraum verstecken. Mike und sein Bruder nicht. Frank Zerna wird vor dem Club so brutal zusammengeschlagen, dass er das Bewusstsein verliert. Als er später im Krankenhaus aufwacht, hat er einen gebrochenen Kiefer, einen geschwollenen Kopf und Abdrücke von Springerstiefel-Profilen im Gesicht.
Mike Zerna versteckt sich zunächst draußen in einem Gebüsch. Als die Neonazis ihn finden, schlagen sie auch ihn bewusstlos. Aber das reicht ihnen noch nicht. Sie kippen den Kleintransporter, mit dem Mike Zerna die Band gefahren hat, auf den Bewusstlosen. Mike Zander liegt mindestens eine halbe Stunde unter dem Transporter. Mike Zander liegt mindestens eine halbe Stunde unter dem Transporter.
Eine Notärztin reanimiert Mike noch am Tatort. Sechs Tage später stirbt er auf der Intensivstation. Eine Obduktion ergibt später, dass Mike Zerna sehr wahrscheinlich hätte gerettet werden können, hätte er nicht so lange unter dem Wagen gelegen.
Erst eine Stunde nachdem die Täter geflüchtet sind, schafft es die Polizei zum Tatort. Mehrere Notrufe gingen in dieser Nacht ein. Zeugen berichteten vor Gericht, dass sie an dem Abend einen Streifenwagen beobachtet hätten, der jedoch vorbeigefahren sei.
Täter und Urteile
Nach der Tat gibt der ermittelnde Staatsanwalt vor der Presse an, dass “hier keine politische Tat vorliegt”. Als erster Tatverdächtiger wird am nächsten Tag der 22-jährige Peter A. festgenommen, der bereits wegen des Pogroms 1991 in Hoyerswerda vorbestraft ist. Kurz nach seinem letzten Verhör erhängt er sich in seiner Zelle. Neonazis machen anschließend einen Helden und Märtyrer aus ihm. Ein Gedenkkonzert findet ausgerechnet im Club “Nachtasyl” statt.
Unter den Angreifern vom 19. Februar befanden sich mehrere Rechtsextreme, die beim Pogrom von Hoyerswerda 1991 dabei waren und bereits vorbestraft sind. Nur zwölf der Neonazis, die am Überfall beteiligt waren, werden im Juli 1994 verurteilt. Vier Neonazis, die das Auto auf Mike Zerna kippten, werden nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Sie hätten den Transporter zwar umgeworfen, aber nicht gewusst, dass Zerna daneben lag. Im Urteilsspruch heißt es, fast alle Angeklagten hätten sich inzwischen von der rechten Szene gelöst, was zu mildernden Umständen führe. Gleichzeitig sei strafmildernd, dass sie beim Überfall der rechten Szene angehört hatten. “Da sie von Politik sehr wenig wußten, haben sie in der sogenannten ‘rechten Szene’ ein, wenn auch falsches, Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Dies wurde zu ihren Gunsten gewertet.” Insgesamt bekommen die 19 bis 25-jährigen Täter lediglich Bewährungs- und Haftstrafen von bis zu vier Jahren. Weil Polizei und Sanitäter erst eine Stunde nach dem Überfall am Tatort eintreffen, sind sie nach Auffassung des Landgerichts Bautzen mitverantwortlich für den Tod.
Das Erbe des Pogroms
Der brutale Mord an Mike Zerna ist auch ein Resultat des bodenlosen Versagens von Politik, Polizei, Sozialarbeit und Medien im Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen nach dem Pogrom von Hoyerswerda. Fehlende juristische und politische Konsequenzen stärkten damals das Selbstbewusstsein junger Neonazis. Eine Politik, die als Antwort auf die rassistischen Ausschreitungen Anfang der 1990er Jahre das Asylrecht einschränkte, gab der Szene Auftrieb. Eine akzeptierende Jugendarbeit, die Neonazis Jugendräume öffnete und versuchte, Gewalt und Hass mit Gesprächen zu begegnen, tat ihr Übriges.
Mike Zerna half am Abend des Überfalls der Band Necromance als Fahrer. Runhardt Scheffler, der Sänger der Band, erlebte den Nazi-Angriff ebenfalls mit. Umso bemerkenswerter ist dessen politischer Werdegang: Jahre später tritt er der NPD bei, wird Pressesprecher im Kreisverband Spreewald. Später schreibt er Fantasybücher über SS-Männer in Ufos und ein “Manifest für ein neues Deutschland”.”
An den Fall Mike Zerna wird am ehesten in der Metalszene gedacht. Unter dem Titel “Mike Zander Zerna” erschien 1993 eine Split-7-Inch mit Songs von vier Metalbands. Auf der Platte gedruckt: “Zander we will never forget you”.
In diesem Interview erzählt Frank Zerna von seinem Bruder, der Tatnacht und den Folgen.