Weiter zum Inhalt

Silvio Meier

, 27 Jahre (staatlich anerkannt)

Am 21. November 1992 wurde der 27-jährige Hausbesetzer Silvio Meier in Berlin von einer Gruppe Neonazis am U-Bahnhof Samariterstraße erstochen. Die Täter zogen in jener Nacht umher, um Gewalt gegen all jene anzuwenden, die nicht in ihr menschenverachtendes Weltbild passten.

Silvio Meier – Teil der DDR-Oppositionsbewegung und Hausbesetzer

Silvio Meier wurde 1965 in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt geboren. Im Jahr 1986 zog er in den Ostteil des damals geteilten Berlins. Hier wurde Silvio Meier politisch aktiv, engagierte sich in den oppositionellen Kreisen der DDR und beteiligte sich am Aufbau von Strukturen gegen das Regime. Er war unter anderem Mitbegründer der „Kirche von Unten“ sowie der Umweltbibliothek in der Zionskirche in Berlin-Mitte – einem der bedeutendsten Treffpunkte der späten DDR-Oppositionsbewegung. Silvio Meier war vom Beginn seines politischen Engagements an dazu gezwungen, sich mit rechter Gewalt auseinanderzusetzen. In der Zionskirche organisierte er am Abend des 18. Oktober 1987 ein Konzert, das von Neonazis überfallen wurde. Der Überfall auf die Zionskirche gilt als Wendepunkt in der Wahrnehmung der rechtsextremen Strömungen in der DDR, die bis dahin von der Führung weitestgehend ignoriert worden waren.

Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde Silvio Meier Teil der Berliner Hausbesetzerszene. Er lebte in einem Haus in der Schreinerstraße 47 in Berlin-Friedrichshain und arbeitete in einer alternativen Druckerei.

In einem Interview, das nur wenige Monate vor seiner Ermordung geführt wurde, sprach Silvio Meier von rechtsextremen Anfeindungen und Attacken gegenüber den Hausbesetzer:innen: „Wir hatten ziemlich schnell die Häuser besetzt und waren somit Ziel für jegliche Leute, die ne starke Führung wollten zum Beispiel. Nazis, Faschisten oder eben Hooligans.“

Er stellte die Neonazis zur Rede

Die Täter, die Silvio Meier ermordeten, verstanden sich selbst als Hooligans. Sie trafen sich regelmäßig in einem Jugendclub in Berlin-Lichtenberg, der als rechtsextremer Szenetreffpunkt bekannt war – so auch am Abend vor der Tat. Von dort aus zogen sie weiter zu einer Privatfeier, die sie gegen 23 Uhr angetrunken und ohne konkretes Ziel verließen. Silvio Meier war zur gleichen Zeit mit drei Freund:innen auf dem Weg zu einer Diskothek. Am U-Bahnhof Samariterstraße in Berlin-Friedrichshain trafen die beiden Gruppen aufeinander.

Einer der Hooligans rempelte einen der Freunde Silvio Meiers an. Die Täter waren aufgrund ihrer szenetypischen Kleidung als Neonazis erkennbar. Einer trug einen Aufnäher auf seiner Bomberjacke, den Silvio Meier als rechtsextremen Code identifizierte. Er stellte den Hooligan deshalb zur Rede, woraufhin es zu einer Rangelei kam.

Die beiden Gruppen entfernten sich kurzzeitig voneinander, trafen sich jedoch am Ausgang des U-Bahnhofs wieder. Die Täter hatten zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Butterflymesser gezückt und griffen Silvio Meier und seine Freund:innen unvermittelt an. Zwei der Freund:innen Silvio Meiers wurden verletzt. Silvio Meier selbst wurde von Sandro S., dem späteren Hauptangeklagten, mit insgesamt fünf Messerstichen so schwer verletzt, dass er kurze Zeit nach dem Angriff starb.

Polizei erkannte politisches Motiv, sprach aber trotzdem von „rivalisierenden Jugendgruppen“

Der Mord wurde vom Berliner LKA frühzeitig als politische Tat gewertet. Trotzdem thematisierte die Polizei den politischen Hintergrund der Tat zunächst nicht öffentlich, sondern sprach stattdessen in einer ersten Polizeimeldung von „zwei rivalisierenden Jugendgruppen“, die sich eine Messerstecherei geliefert hätten. Freund:innen erkannten das rechtsextreme Tatmotiv beim Mord an Silvio Meiers gleich nach der Tat und brachten diese Version an die Öffentlichkeit.

Zwei Tage nach dem Mord stellte sich einer der drei Täter der Polizei. Die Tat wurde am Landgericht Berlin verhandelt, am 1. Oktober 1993 kam es zur Urteilsverkündung. Da die Täter zu diesem Zeitpunkt zwischen 17 und 18 Jahren alt waren, wurde der Prozess als Jugendstrafverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Sandro S., der die tödliche Messerattacke vollzogen hatte, wurde als Hauptangeklagter zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Die beiden Mittäter bekamen Strafen von dreieinhalb Jahren Haft bzw. acht Monaten auf Bewährung. Der festgestellte Alkoholpegel wirkte sich bei allen drei Angeklagten strafmildernd aus.

Silvio Meier wurde wegen seines antifaschistischen Auftretens ermordet und weil er erkennbar der alternativen Hausbesetzerszene angehörte – einem Feindbild der extremen Rechten. Obwohl die Angeklagten selbst keinen Hehl aus ihrer rechten Gesinnung machten, wurde den politischen Aspekten der Tat vor Gericht wenig Beachtung geschenkt. Die Hooliganszene der Täter wurde im Urteil als „Alkoholmissbrauch treibende Jugendgruppe“ bezeichnet und damit entpolitisiert.

Unablässige Gedenkarbeit durch zivilgesellschaftliche Initiativen

In Gedenken an Silvio Meier wurde eine breite Erinnerungskultur etabliert, Angehörige und Engagierte halten das Andenken an ihn wach und setzen sich in seinem Namen gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit ein. Bereits einen Tag nach seiner Ermordung nahmen mehrere Tausend Menschen an einem Trauermarsch teil. Es erschienen etliche Zeitungsbeiträge über Silvio Meier, über den Mord und die Folgen der Tat. Es hieß, der Mord habe den Friedrichshainer Kiez „erschüttert“.

Seit 1992 bis zum Jahr 2014 fand jährlich am Todestag Silvio Meiers eine Gedenkdemonstration in Berlin-Friedrichshain statt, die meist mit aktuellen Anlässen verbunden wurde. Am Tatort, dem U-Bahnhof Samariterstraße, erinnert heute eine Gedenktafel an Silvio Meier. Kurze Zeit nach der Tat von Freund:innen Silvio Meiers angebracht, wurde die Tafel mehrfach beschädigt und entwendet, bis sie im Jahr 2007 schließlich von den Berliner Verkehrsbetrieben fest im Beton verankert wurde.

Seit 2013 erinnert zudem eine Straße an Silvio Meier. Auf Druck von Gedenkinitiativen wurde die Gabelsbergerstraße in Berlin-Friedrichshain im Jahr 2013 schließlich umbenannt in Silvio-Meier-Straße. Über dem Straßenschild steht: „Engagiert in der unabhängigen DDR-Friedens- und Menschenrechtsbewegung und Hausbesetzer, wurde aufgrund seines antifaschistischen Auftretens ermordet“. Seine damalige Lebensgefährtin sagte dazu: „Wir Freunde haben […] gesagt, das muss mit auf das Schild. Silvio war eben auch Besetzer. Und noch viel mehr: Freund, Antifaschist, Teil der Opposition in der DDR.“

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.