Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Opferfonds CURA

Urteil zu antiziganistischer Messerattacke in Berlin – Zusammenfassung des letzten Prozesstages

Im Prozess zur antiziganistischen Messerattacke in der Berliner U-Bahn im März 2019 wurde diesen Montag am Landgericht Berlin das Urteil gefällt. Eine 49-Jährige und ihr Mann waren morgens in der Bahn sitzend plötzlich und unvermittelt von einer Frau angegriffen, antiziganistisch beleidigt und brutal und zielgerichtet mit dem Messer attackiert worden.

Die Täterin konnte nur gestoppt werden, indem sie von den Betroffenen überwältigt wurde, erst danach griffen auch Zeug*innen ein und zerrten die Angreiferin aus der U-Bahn. Die Frau sowie ihr zur Hilfe geeilter Schwager wurden bei dem Angriff schwer verletzt und erlitten Stichverletzungen am Hals und an der Brust. Nur durch Glück verfehlte die Angreiferin lebenswichtige Organe.

Trotz des Versuchs der Verteidigung, die mangelnde Schuldfähigkeit der Täterin aufgrund von psychischer Probleme zu beweisen, entschied das Gericht auf versuchten Mord aus niederen Beweggründen mit einem eindeutigen Motiv: Rassismus. Mit der Verurteilung der Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten gingen die Richter*innen sogar über die Forderungen der Staatsanwaltschaft hinaus und setzten damit ein wichtiges Zeichen.

Denn: die Anerkennung des antiziganistischen Motivs vor Gericht ist leider eine Ausnahme. Gezielte Gewalt gegen Rom*nja und Sinti*zze wird häufig verharmlost, den Aussagen der Betroffenen kaum Glauben geschenkt und die rassistische Motivation ignoriert. Laut der Nebenklage, die die Geschädigte durch den schwierigen Prozess begleitete, wäre die Tat mit Milde beurteilt worden, wenn sie nicht so außergewöhnlich gut durch einen Videobeweis dokumentiert und nicht durch so viele weiße deutsche Zeug*innen bestätigt worden wäre.

Trotz der Klarheit des Urteils und eindeutige Positionierung des Gerichts für die Anerkennung des rassistischen Motivs wurde bei der Beobachtung des gestrigen Prozesstages (wieder) deutlich, dass der Gerichtssaal selten ein „Safe Space“ für Betroffener rassistischer Gewalt ist:

Vom psychologischem Gutachter und vom Staatsanwalt wurde die Angeklagte und die Tat zum Teil stark verharmlosend dargestellt, erst in der detaillierten und sachlichen Schilderung des Tathergangs im Plädoyer der Nebenklagevertreterin kam noch einmal die Brutalität, Kaltblütigkeit und Zielgerichtetheit zum Ausdruck. Der Hinweis darauf, dass die Angeklagte schon mehrfach mit „Ausländern“, „dem Araber“ und einem „Albaner“ liiert gewesen sei, diente dem Gutachter als Abschwächung der Möglichkeit eines rassistischen Motivs, während seiner umfangreichen Ausführungen in Anwesenheit der Betroffenen nahm er zwischenzeitlich sogar wohlwollenden Blick- und verbalen Kontakt zur Angeklagten auf.
Das Gericht machte außerdem unreflektiert Gebrauch von den Begriffen „Ausländerfeindlichkeit“, „Fremdenfeindlichkeit“ und „Zigeunerfeindlichkeit“ und wiederholte die beim Angriff verwendete Beleidigung „Scheiß Z..“ mehrfach ohne Not; ein anwesender Justizbeamter konnte sich mehrfach ein verächtliches Schnauben bei der Benennung des rassistischen Motivs durch die Nebenklage nicht verkneifen.

Deutlich wurde zudem, wie wichtig die Anwesenheit einer engagierten Nebenklagevertretung ist, um Betroffenen einen sicheren Rahmen während des Prozesses zu geben und ihre Perspektive angemessen einzubringen.

Weiterlesen

Amadeu Antonio Preis 2025
Ausschreibung

Jetzt bewerben: Amadeu Antonio Preis 2025 mit neuer Ausrichtung gestartet

Die Ausschreibung für den Amadeu Antonio Preis 2025 ist gestartet: Anlässlich des 35. Todestags von Amadeu Antonio werden am 18. November 2025 in Eberswalde Projekte gewürdigt, die sich mit Rassismus auseinandersetzen und für Menschenrechte und Diversität eintreten. Eine Jury entscheidet über den mit 3.000 Euro dotierten Hauptpreis und zwei weitere mit je 1.000 Euro dotierte Preise.

Tahera_Ameer_2022
Interview

Warum die Gesellschaft noch keinen sicheren Umgang mit Rassismus hat

Tahera Ameer im Interview: „Das gesellschaftliche Bewusstsein dafür, dass es Rassismus in Deutschland gibt, ist stark gestiegen. Das ist ein Schritt vorwärts, dazu hat die Amadeu Antonio Stiftung beigetragen. Bis praktische Maßnahmen umgesetzt werden, die Rassismus als strukturelles Problem bekämpfen, ist es noch ein weiter Weg. Wir brauchen Proviant und Ausdauer für einen Marathon, nicht für einen Sprint.“

Gruppenbild_algerische Vertragsarbeiter_Mohamed Kecheroud und Oral-History-Forschungsstelle der Universität Erfurt
Gefördertes Projekt

Nach 50 Jahren: Gedenken an rassistische Hetzjagd auf Vertragsarbeiter in Erfurt

Am 10. August 1975 jagten bis zu 300 DDR-Bürger*innen algerische Vertragsarbeiter durch die Erfurter Innenstadt und verletzten einige schwer. 50 Jahre später erinnerten Betroffene und Erfurter*innen an die Ereignisse. In der Öffentlichkeit spielt die Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt in der DDR weiterhin kaum eine Rolle. Die Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt findet auch Jahrzehnte später viel zu selten statt.

Bleib informiert!

Melde dich jetzt zum Newsletter an und verpasse keine unserer nächsten Publikationen!

Schön, dass du dich für unsere Publikation interessierst! In unserem monatlichen Newsletter erhältst du spannende Einblicke in den Alltag demokratischer Zivilgesellschaft und in unsere Arbeit.
Publikation bestellen Publikation lesen