Die scheinbar sachliche Frage nach Transparenz ist Teil einer autoritären Strategie. Die Zivilgesellschaft soll als demokratische Gegenmacht geschwächt werden.
Von Timo Reinfrank
Die jüngste Ausgabe der ARD-Sendung titel, thesen, temperamente griff eine Debatte auf, die in Deutschland seit Monaten vor allem von Rechtsextremen befeuert wird: Die Behauptung, Nichtregierungsorganisationen seien nicht unabhängig genug, arbeiteten politisch voreingenommen oder seien gar von der Regierung gesteuert. Was als scheinbar sachliche Frage nach Transparenz präsentiert wird, ist längst Teil des autoritären Playbooks, wie wir es aus den USA kennen. Es ist eine Strategie, die darauf abzielt, die Zivilgesellschaft als demokratische Gegenmacht zu schwächen.
Passend zur medialen Erzählung versucht die AfD, das Thema im Bundestag weiterzutreiben. Mit einem wohl aussichtslosen Antrag auf einen Untersuchungsausschuss mit dem Titel „Mögliche parteipolitische Beeinflussung durch steuerfinanzierte Nichtregierungsorganisationen“ möchte sie die vermeintliche Skandalisierung demokratischen Engagements erneut institutionalisieren. Schon der Titel zeigt, dass es hier nicht um Aufklärung geht. Die Schlussfolgerung steht bereits im Antrag, lange bevor irgendetwas untersucht wurde.
Dass die Debatte um staatliche Förderungen von demokratischem Engagement Fahrt aufnahm, liegt auch daran, dass die CDU/CSU im Bundestagswahlkampf 2025 eine umfangreiche Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte: 551 Fragen zu angeblichen politischen Verflechtungen von gemeinnützigen Organisationen. Wer die Liste las, fand dort ein buntes Sammelsurium von ganz unterschiedlichen Organisationen, die miteinander kaum etwas gemein hatten – außer der Tatsache, dass sie in irgendeiner Form Teil der demokratischen Zivilgesellschaft sind. Die meisten von ihnen wussten nicht einmal, warum sie genannt wurden. Dennoch bildeten sie plötzlich das Herzstück einer Erzählung über angebliche politische Einflussnahme und einen „NGO-Schattenstaat“. Eine Erzählung, die ursprünglich in Staaten wie Russland, Ungarn oder der Türkei, im Zuge autoritärer Ermächtigung ihren Ursprung fand. Dort wurden NGOs seit den 2010er-Jahren zunehmend als „ausländische Agenten“ diffamiert. Damit sollten kritische zivilgesellschaftliche Organisationen geschwächt und vor allem kriminalisiert werden. Aber auch in den USA konnte sich spätestens seit der Tea-Party-Bewegung ein Anti-NGO-Narrativ etablieren, durch die verschwörungsideologische QAnon-Bewegung wird die Erzählung ergänzt und zu einem kohärenten Narrativ, dass vor allem George Soros und die Open Societies Foundations in den Vordergrund rückt. Dieser Wandel macht sich auch sprachlich bemerkbar: In Deutschland spricht man mittlerweile nicht mehr von Vereinen, Verbänden oder Stiftungen, sondern von NGOs, als Chiffre für undurchsichtige Macht- und Finanzierungsstrukturen.
Ebenfalls fehlte in der ttt-Sendung wichtiger Kontext: Die Amadeu Antonio Stiftung hat nicht zu den Demonstrationen aufgerufen, die in der Anfrage als Anlass genannt wurden. Auch fast alle anderen Organisationen auf der 551-Fragen-Anfrage hatten mit den Protesten nichts zu tun. Tatsächlich waren es nur wenige zivilgesellschaftliche Akteure wie Campact und Ortsgruppen von Omas gegen Rechts, die im Frühjahr 2025 zu Protesten aufriefen und das aus einem klar nachvollziehbaren Grund: Die CDU/CSU hatte im Bundestag in Kauf genommen, mit Stimmen der AfD einen Antrag durchzubringen. Das war ein politischer Tabubruch, den rückblickend selbst CSU-Chef Markus Söder kritisch sieht. Dass demokratische Organisationen dagegen mobilisierten, ist ihr gutes Recht – ja, es ist Ausdruck demokratischer Wachsamkeit. Dies nun als vermeintlichen Beleg für mangelnde Unabhängigkeit zu instrumentalisieren, ist eine gefährliche Verdrehung demokratischer Grundsätze – zumal insbesondere Campact nicht gemeinnützig ist, keine staatlichen Mittel bekommt und auch nur ein kleiner Teil der Omas gegen Rechts jemals eine Kleinstförderung bekommen haben.
Zugleich ist bemerkenswert, dass die Union nach der Wahl ihre eigene Rhetorik relativiert hat. Heute bekennt sie sich auch im Koalitionsvertrag klar zur Bedeutung zivilgesellschaftlicher Demokratieförderung. Der ttt-Beitrag bildet nach wie vor die aufgeheizte Wahlkampflogik ab – nicht die politische Realität danach.
Dass die Erzählung von der angeblich fehlenden Kontrolle von NGOs sachlich falsch ist, hätte ebenfalls klarer benannt werden können. Die Programme zur Demokratieförderung gehören zu den am besten evaluierten Bereichen des Bundeshaushalts. Wirkungsüberprüfungen, detaillierte Verwendungsnachweise und strenge Qualitätsanforderungen sind der Standard, nicht die Ausnahme. Wer behauptet, NGOs agierten in einem rechtsfreien Raum, ignoriert bewusst, wie engmaschig diese Programme beaufsichtigt sind.
In der ttt-Sendung wurde auch der Vorschlag diskutiert, eine unabhängige Kommission solle künftig über die Vergabe von Fördermitteln entscheiden. Was technokratisch klingt, wäre in Wahrheit ein tiefgreifender Angriff auf die parlamentarische Demokratie. Wenn demokratisch gewählte Abgeordnete Kontroll- und Entscheidungsrechte an eine externe Instanz abgeben, verlieren sie nicht nur Einfluss – sie entziehen dem demokratischen Prozess seine Legitimation und Kontrolle. Kein funktionierender demokratischer Staat der Welt lagert diese Kernaufgabe seiner politischen Ordnung aus. Es wäre ein gefährlicher Präzedenzfall.
Der politische Kern dieser Debatte ist jedoch ein anderer: Es geht nicht um Neutralität, sondern darum, das Engagement gegen Rechtsextremismus umzudeuten. Genau jene Organisationen, die rechte Gewalt dokumentieren, Betroffene unterstützen, Präventionsarbeit leisten und demokratische Proteste organisieren, geraten ins Visier. Die AfD stört sich nicht an NGOs im Allgemeinen – sie stört sich an jenen, die sichtbar machen, was sie selbst verharmlosen oder leugnen möchte. Und je erfolgreicher diese Arbeit ist, desto härter werden die Angriffe.
Der von der AfD gewünschte Untersuchungsausschuss zeigt, wie offensiv diese Strategie inzwischen verfolgt wird. Er soll den Eindruck erwecken, es gebe ein strukturelles Problem, das nur eine parlamentarische Sonderkommission klären könne. Tatsächlich soll jedoch die Zivilgesellschaft in eine defensive Position gedrängt werden. Wenn kritische Akteure befürchten müssen, jederzeit Gegenstand eines politischen Tribunals zu werden, erfüllt das den Zweck in der Strategie: Abschreckung, Verunsicherung, Schweigen.
Die entscheidende Frage lautet also nicht, ob NGOs unabhängig genug sind. Die entscheidende Frage lautet, ob wir bereit sind, jene zu schützen, die durch ihr Engagement täglich dazu beitragen, dass Demokratie nicht nur ein Verfassungsbegriff ist, sondern gelebte Praxis. Die ttt-Sendung hätte diese politische Dimension deutlich stärker herausarbeiten können. Die Debatte über die Unabhängigkeit von NGOs ist kein abstrakter Diskurs, sondern ein Versuch, eine der zentralen Säulen der demokratischen Kultur anzugreifen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Belltower.News.


