25 Jahre nach dem rassistischen Mord erinnern Freund*innen, Angehörige und zivilgesellschaftlich Engagierte in Dessau an Alberto Adriano – mit Trauer, politischen Forderungen und einem Blick auf die Kontinuitäten von Rassismus und rechter Gewalt. Das Multikulturelle Zentrum Dessau organisierte die Gedenkveranstaltung, unterstützt durch eine Förderung der Amadeu Antonio Stiftung.
Von Luisa Gerdsmeyer
Alberto Adriano lebte mit seiner Familie über zwölf Jahre in Dessau. 1988 war er als sogenannter Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR gekommen. Auch nach der Wende blieb er in Dessau und arbeitete hier als Fleischermeister. 1990 lernte er seine Partnerin kennen, die er zwei Jahre später heiratete. Gemeinsam bekamen sie drei Kinder.
Am Abend des 10. Juni 2000 traf Adriano sich mit einigen Freunden, um mit ihnen ein Spiel der Fußball-Europameisterschaft zu schauen. Gleichzeitig feierte die Gruppe eine kleine Abschiedsfeier für Adriano, da dieser im Juli seine Eltern in Mosambik besuchen wollte. Die Flugtickets waren bereits gebucht. Nach dem Spiel machte sich Adriano zu Fuß auf den Heimweg, der auch durch den Dessauer Stadtpark führte. Hier begegnete er drei jugendliche Neonazis. Diese hatten sich zuvor zufällig am Dessauer Bahnhof getroffen und anhand ihrer Kleidung gegenseitig als Naziskinheads erkannt. Im Park grölten sie neonazistische, und gewaltverherrlichende Parolen und Lieder. Als sie Alberto Adriano sahen, beschimpften sie ihn rassistisch und griffen ihn mit extremer Brutalität gewaltsam an. Sie quälten und erniedrigten ihn – so lange, bis schließlich die Polizei eintraf, die Nachbar*innen aufgrund der Schreie alarmiert hatten. Drei Tage später, am 14. Juni 2000 starb Alberto Adriano an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus.
„Warum Alberto Adriano?“ – Eine Frage, die zum Handeln aufruft
Teile der Stadtgesellschaft reagierten auf den brutalen rassistischen Mord mit Schweigen, Relativierung und Entpolisierung. Aber es entstand auch ein – vor allem von der migrantischen Community getragener – Protest. Bereits am Abend von Adrianos Todestag versammelten sich zahlreiche Freund*innen, Familienangehörige und antirassistisch und antifaschistisch Engagierte im Multikulturellen Zentrum Dessau. Gemeinsam trauerten sie – und organisierten eine Demonstration, die zwei Tage später, am 16. Juni 2000 unter dem Motto „Warum Alberto Adriano?“ stattfand. Die Frage richtete sich an die gesamte Gesellschaft und war gleichzeitig ein Aufruf zum Handeln: Die Gesellschaft hatte versagt, Alberto Adriano zu schützen. Umso dringlicher war die Forderung: Es muss alles dafür getan werden, solche grausamen rassistischen Morde in Zukunft zu verhindern.
Zwischen 3.000 und 4.000 Menschen kamen zusammen, um zu trauern, auf die Kontinuitäten rassistischer Gewalt in Dessau aufmerksam zu machen, gegen ihre Verharmlosung zu protestieren und Konsequenzen einzufordern. Für die Schwarze Community in Dessau war die Angst vor rassistischer Gewalt in den 1990er und 2000er Jahren ein ständiger Begleiter. Ihr Alltag war geprägt von Bedrohung durch Neonazis und Straßengewalt, von Alltagsrassismus, rassistischen politischen Diskursen, Verschärfungen von Asyl- und Aufenthaltsrecht und von Kriminalisierung und Schikanen durch die Polizei.
Der Gerichtsprozess gegen die Täter
Im November 2000 begann der Prozess gegen die drei Täter am Landgericht Dessau. Die rassistische Tatmotivation wurde dabei eindeutig benannt. Einer der Täter wurde zu lebenslanger Haft verurteilt – es war das erste Mal seit der Wiedervereinigung, dass in Deutschland nach einem rassistisch motivierten Mord die Höchststrafe verhängt wurde. Der Prozess offenbarte auch die Brutalität und Kälte der Täter. Keiner von ihnen zeigte Reue. Stattdessen äußerten sie sich weiterhin rassistisch – und verhöhnten Alberto Adriano selbst im Gerichtssaal.
Der jährliche Tag der Erinnerung an Alberto Adriano
Seit dem Jahr 2000 organisiert das Multikulturelle Zentrum Dessau immer am 11. Juni den Tag der Erinnerung zum Gedenken an Alberto Adriano. Das Multikulturelle Zentrum wurde 1993 als erste Migant*innenorganisation in Sachsen-Anhalt gegründet, es ist ein Ort des Austauschs sowie des interkulturellen- und interreligiösen Dialogs, eine starke Stimme gegen Rassismus und wichtiger Akteur in der lokalen Erinnerungsarbeit. Zum diesjährigen 25. Jahrestag des Mordes an Alberto Adriano wurde, gefördert durch die Amadeu Antonio Stiftung, ein mehrteiliges Programm organisiert.
Den Auftakt bildete eine Podiumsdiskussion im Bauhaus Museum Dessau. Dabei standen strukturelle Dimensionen von Rassismus und rechter Gewalt im Mittelpunkt. Die Teilnehmenden sprachen über das Erstarken von Rassismus und Rechtsextremismus in den letzten Jahren und die bedrohlichen Auswirkungen für Betroffene. Deutlich wurde: Rassismus ist tief in der Gesellschaft verankert, in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus. Seine Bekämpfung fordert nicht nur entschlossenes staatliches Handeln, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und die Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen gegen Rassismus.
Besonders betont wurde die Rolle migrantischer Selbstorganisationen, die nicht nur Schutzräume schaffen, sondern auch zentrale Akteurinnen im Kampf gegen Rassismus und für demokratische Teilhabe sind. Auf dem Podium sprachen Nathalie Schlenzka, Referatsleiterin bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Günter Piening, ehemaliger Integrationsbeauftragter in Sachsen-Anhalt und Berlin, Rimma Fil, Geschäftsführerin des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, und Abdoul Coulibaly, Integrations- und Migrationsbeauftragter der Stadt Magdeburg.
Gemeinsames Erinnern am Tatort im Dessauer Stadtpark
Im Anschluss fand die Kranz- und Blumenniederlegung an der Gedenkstele im Dessauer Stadtpark statt. Aus Stein gefertigt trägt sie die schlichte Inschrift:
„Alberto Adriano
Opfer rechter Gewalt
11. Juni 2000“.
Das gemeinsame Erinnern und Innehalten stand im Mittelpunkt – begleitet von Musik und zwei Redebeiträgen. Es sprachen der ehemalige Bundestagsabgeordnete Dr. Karamba Diaby aus Halle und die Kreisoberpfarrerin von Dessau-Roßlau Annegret-Friedrich Berenbruch. Diaby machte in seiner Rede auf die aktuelle Bedrohung durch Rassismus und den Anstieg rechtsextremer Gewalttaten der letzten Jahre aufmerksam und betonte:
„Gerade deshalb ist unser Gedenken heute kein Ritual. Es ist eine politische Notwendigkeit. Denn wo das Erinnern endet, beginnt das Verdrängen. Und wo verdrängt wird, wiederholt sich Geschichte. Wenn wir heute an Alberto Adriano erinnern, dann dürfen wir nicht nur an das Opfer denken. Wir müssen auch an die vielen denken, die heute wieder in Angst leben. An die, die sich einsetzen, die ihre Stimme erheben, die Gesicht zeigen.“
Den Abschluss des Gedenktages bildete eine Filmvorführung am Abend, die die rassistischen Pogrome in Rostock Lichtenhagen 1992 thematisierte. Auch dadurch wurde deutlich gemacht: Der Mord an Alberto Adriano war kein Einzelfall, sondern Teil einer Kontinuität rassistischer und rechter Gewalt, die bis in die Gegenwart reicht.
Gedenken als Mahnung – gemeinsam gegen Rechtsextremismus und Rassismus
Mit seiner Ermordung verloren Alberto Adrianos Familie und Freund*innen einen geliebten Menschen – ihr Schmerz und ihre Trauer sind bis heute präsent. Ihm zu gedenken heißt, diesen Gefühlen Raum zu geben und die Erinnerung an ihn wachzuhalten. Zugleich ist es ein politischer Auftrag: „Gerade heute – wo rassistische Hetze und Rechtsextremismus erstarken, auch hier in Dessau – ist es umso wichtiger, der Opfer zu gedenken und aufzuzeigen, wohin Hass und Menschenverachtung führen können“, so Jean-Luc Ahlgrimm vom Multikulturellen Zentrum Dessau.